Der Zauber einer Faschingsnacht
Die neue Arabella-Produktion in Bern ist sowas von erfrischend anders: Kein k.u.k. Plüsch-Mief mit viel Puderzucker, keine Hakenkreuzfahnen und SS-Uniformen, nein hier sind wir für eine Nacht im Treibhaus der Gefühle, in einer Art shakespeareschem „Sommernachtstraum“ in der Faschingszeit, mitten in einem tropischen Garten oder vielleicht im Spreewald. Überall sprießt Grün, es liegen vertäute Ruderboote da, die Hütte ist vom Moos überwuchert.
Dem Inszenierungsteam um Regisseur Marco Štorman (Bühne: Márton Ãgh, Kostüme: Axel Aust, Licht: Christian Aufderstroth) ist mit dieser augenzwinkernd daherkommenden Produktion ein veritabler Überraschungscoup gelungen, der am Ende wunderbar aufgeht. Wenn dann nämlich Arabella mit dem berühmten Wasserglas auftauchen soll, fährt die moosige Hütte nach oben, reißt alles Wurzelwerk mit sich, Arabella steht wie zu Beginn der Oper in schwarzen Hosen und schwarzer Bluse da, um ihre Beine wabern Trockeneisschwaden. Zu „Das war sehr gut, Mandryka, dass Sie noch nicht fortgegangen sind“ fällt das ganze grüne Gewucher auf den Bühnenboden und Mandryka und Arabella posieren noch für einige Polaroidfotos, welche die Inszenatorin des ganzen Spuks, die dauerpräsente Wahrsagerin, schießt. Der Zauber ist zu Ende, Arabella geht ab. Mandryka merkt viel zu spät, dass sie weg ist und sucht sie auf der falschen Seite. Es war halt doch nur der Traum einer Sommer- oder hier eher Faschingsnacht. Der Vorhang fällt. Und man spürt mit leichter Beklommenheit, dass die Menschen nach dieser Traumerfahrung entwurzelt sind.
Was in den drei Stunden (inklusive Pause) zuvor abging, hatte großartigen Unterhaltungscharakter, ohne je platt zu wirken, war im wahrsten Sinne des Wortes „bezaubernd“. Das lag auch und vor allem an dem exzellenten, spielfreudigen Ensemble, welches die Bühnen Bern für diese lyrische Komödie auf der Bühne versammeln konnte. Die Charaktere der Personen wurden vom Regisseur mit größer Plastizität und differenziert herausgearbeitet. Arabella war eine sehr selbstbewusste Frau und Kiandra Howarth sang sie mit herrlich flutenden Tönen, in der Höhe mit dem den Strauss’schen Silberklang beschwörenden Timbre. Wunderschön leuchtete ihre Stimme in „Aber der Richtige“ und bei „Und du wirst mein Gebieter sein“, gewürzt mit einer gekonnten Prise Träumerei. Daneben verfügte sie auch über die perlende Leichtigkeit in den Parlando-Passagen.
Robin Adams war eine urtümliche Wucht als Mandryka. Was waren das für atemberaubende Töne! Er schaffte den Spagat zwischen vierschrötigem, ungehobeltem Bauern und empfindsamem Liebenden hervorragend, man hing geradezu an seinen Lippen, wenn er seine wunderschönen und baritongewaltigen Phrasen ins Rund warf. Klasse! Ganz interessant war die Zdenka gezeichnet: Das Mädchen, das von den Eltern aus finanziellen Gründen als Junge verkleidet wurde. Nach ihrer Liebesnacht mit Matteo (der nicht gemerkt hatte, dass er nicht mit Arabella im Bett war, sondern mit Zdenka, die eigentlich sein Freund Zdenko war), tritt sie nur kurz als Frau auf, im Kleid Arabellas. Doch gleich darauf verwandelt sie sich wieder in Zdenko und die beiden turteln und küssen sich quasi als Mann und Mann. Es ist rührend, wie hier mit Geschlechteridentität gespielt wird und passt so herrlich in unsere manchmal so verwirrende Zeit. Wer weiß, wie lange wir diese Freiheiten noch genießen können.
Patricia Westley singt diese dankbare Rolle mit zauberhafter Stimme, auch sie mit dem herrlichen Silberklang, den nur Strauss so wunderschön in die Kehlen seiner Sopranistinnen schreiben konnte. Michal Prószyński verlieh dem Matteo eine jugendliche, naive Frische, eine tenorale Leidenschaft und eine leichte Tapsigkeit in der Darstellung, die perfekt zu dieser Rolle des jungen, in Liebesdingen unerfahrenen, Leutnants passte. Der Arme musste sich noch von Mandryka gewaltig in die Eier kneifen lassen, worauf er wie bewusstlos zu Boden fiel. Aber es war ja gut gemeint von Mandryka, denn er setzte sich mit Vehemenz bei Waldner für die Verbindung Matteo-Zdenka(o) ein. Die Rolle der Mutter Arabellas und Zdenkas, Adelaide, wird oftmals hochdramatischen Sängerinnen zum Ende ihrer Karriere angeboten. Nicht so in Bern, da durfte man mit Claude Eichenberger eine Interpretin erleben, die voll im Saft steht und auch darstellerisch das Maximum herausholt. Umwerfend gut war das, allein schon ihr Ausruf „Du Unglücklicher“ im dritten Akt fuhr einem durch Mark und Bein. Als ihr Mann, Graf Waldner, wusste Sami Littinen ebenfalls restlos zu überzeugen. Die drei gräflichen Verehrer Arabellas, Elemer, Dominik und Lamoral, wurden ebenfalls differenziert gezeichnet und Ian Matthew Castro (Elemer), Iyad Dwaler (Dominik) und Christian Valle (Lamoral) gaben ein überaus amüsantes, wohlklingendes Trio ab. Hye-young Moon führte mit wendigen Koloraturen, Jodlern und Witz unterhaltsam durch den Fiakerball (in und um die Waldhütte, zusammen mit dem bacchantisch agierenden und entsprechend antik gewandeten Chor der Bühnen Bern).
Ein ganz grosses Lob gebührt Kate McNamara, die zwar als Kartenaufschlägerin nicht gerade viel zu singen hatte, aber als spiritus rector mit starker Bühnenpräsenz durch die Aufführung führte. Bereits zum ersten Takt der Oper guckte sie hinter dem roten Vorhang hervor und streute glitzernden Zauberstaub. Später sprach sie reichlich dem von Mandryka bezahlten Moët & Chandon zu, schwebte zusammen mit Adelaide im Hintergrund auf dem Sofa durch das Gewächs und machte die erwähnten Polaroids am Ende.
Don’t add sugar to honey – sagte der Dirigent Nicholas Carter im Programmheft. Damit wollte er ausdrücken, dass man die vielen „schönen“ Passagen in Strauss‘ Partitur nicht zelebrieren, eben nicht zusätzlich mit Puderzucker bestreuen und so unerträglich süß machen soll. Eher wie Mozart sollte, das dirigiert werden. Den zusätzlichen Zucker hat er tatsächlich weggelassen, das war gewaltig vorwärtsdrängend und leidenschaftlich angelegt. Aber Strauss bleibt eben Strauss, ich erkenne in seiner Orchestersprache oder gar in der Instrumentierung wenig Mozart.
Das wunderbar süffig aufspielende Berner Symphonieorchester klang stellenweise laut, sehr laut, ja geradezu überwältigend (das gleißende Blech – ein Traum!)- echter Strauss eben, der ja gern aus dem Vollen schöpfte mit seiner farbenreichen Instrumentierungskunst. Aber, und das muss betont werden, die Sänger hatten keinerlei Schwierigkeiten, ihre Phrasen auf den Orchesterklang zu legen, eine schöne Balance innerhalb dieses Auskostens des oberen dynamischen Bereichs, den die Akustik des Berner Theaters gerade noch erträgt, wurde trotzdem erreicht.
Mir jedenfalls hat diese Arabella großen Spaß gemacht. Die kleinen Diskrepanzen, welche sich zwischen Text und Inszenierung ergeben, kann man getrost abtun als wilden Traum nach einer durchzechten Faschingsnacht.
Kaspar Sannemann, 15. Oktober 2024
Arabella
Richard Strauss
Stadttheater Bern
13. Oktober 2024
Inszenierung: Marco Štorman
Musikalische Leitung: Nicholas Carter
Berner Symphonieorchester