Giuseppe Verdi
Besuchte Vorstellung: 27.01.2013 (Premiere)
Zeitlebens hat sich Verdi mit Shakespeare beschäftigt, erkannt in dessen Werken riesiges Potential für das Musiktheater und setzte drei Werke des englischen Dichters in Musik: MACBETH, OTELLO und FALSTAFF. Mit KING LEAR beschäftigte er sich ebenfalls ausgiebig, gelangte jedoch nie zur Niederschrift einer Partitur und vernichtete schliesslich sämtliche Skizzen.
MACBETH stellte 1847 geradezu ein revolutionäres Werk dar: Keine Liebesgeschichte, eine Handlung voller Blut und Düsternis, der Tenor in einer Nebenrolle (Macduff). Von der Kritik wurde das Werk abgelehnt, das Publikum der Uraufführung feierte zwar den Komponisten mit 38 Vorhängen, doch so richtig durchsetzen konnte sich MACBETH nie. Für Paris arbeitete Verdi seine Lieblingsoper etwas um, fügte das obligate Ballett ein, komponierte für die Lady eine neue Arie im zweiten Akt (La luce langue), der Chor der vertriebenen Schotten (O patria oppressa) und ein neuer Schluss für den vierten Akt kamen dazu. Dafür wurde Macbeths Sterbeszene geopfert, welche nun in Bern wieder ins Werk aufgenommen werden wird. Als Schlachtmusik griff Verdi, der sonst mit traditioneller Schulmusik nicht allzu viel am Hut hatte, auf eine Fuge zurück, da ihm deren Reibungen und Gegenüberstellungen von Themen als besonders angemessen dafür erschienen. Doch auch die Pariser Fassung war seinerzeit heftig kritisiert, ja gar als „unshakespearisch“ bezeichnet worden, was den Shakespeare-Kenner und –Verehrer Verdi ganz besonders schmerzte. Erst nach 1920 erkannte man die immensen Qualitäten des Werks und seine herausragende Stelle im Schaffen des Komponisten auf dem Weg von den konventionellen Anfängen zum echten Musikdrama, mit psychologisch feinsinnig und intelligent durchformten Charakteren. Gerade mit der Figur der Lady ist ihm eine Gestalt gelungen, die sich wie ein erratischer Block aus der italienischen Opernlandschaft erhob: Eine Frau, die mit hässlicher, rauer, hohler aber auch Mark und Bein durchdringender Stimme und dann wieder in tragfähigstem Piano flüsternd zu singen hatte, keine Sympathien erwecken durfte – eine Sängerin mit diabolischer Klangfarbe ist gefordert. Die Partie wurde im 20.Jahrhundert sowohl von Sopranistinnen (Callas, Rysanek, Barstow, Zampieri), hochdramatischen Sopranen (Nilsson, Dame Gwyneth Jones) als auch von dramatischen Mezzosopranistinnen erfolgreich verkörpert (Cossotto, Verrett, Ludwig).
Kritik: Mutig, brisant und relevant – Konzert Theater Bern verblüfft, wühlt auf und begeistert mit einer im besten Sinne des Wortes radikalen (an die Wurzeln gehenden) Aufführung von Verdis ambitioniertem Musikdrama. Sowohl Robin Adams als auch Fabienne Jost gelingen Gänsehaut erregende Darstellungen des mörderischen, von den Verführungen der Macht korrumpierten Duos. Geradezu unheimlich genau die Personenführung von Ludger Engels, grossartig die Kostümdramaturgie (Moritz Junge) und bedrückend das kalte "Kanzlerbungalow" Bühnenbild von Ric Schachtebeck. Pavel Shmulevich (als wunderbar sonorer Banquo), Adriano Graziani (ein Macduff mit hellem wunderschön phrasierendem Tenor) sowie Claude Eichenberger und Andries Cloete (Dama und Malcolm) komplettieren das begeisternde Ensemble. Prägnante Akzente setzt Srboljub Dinic mit dem Berner Symphonieorchester.
Mut beweist das Theater Bern mit der Wahl des Werks zum Verdi-Jahr: Nicht einer der landauf, landab bekannten Reisser des Maestros wird präsentiert, sondern mit der Berner-Fassung des MACBETH ein Werk, welches zwar von Kritikern, Sängerinnen/Sängern und aficionados hoch geschätzt, ja zu Recht abgöttisch geliebt wird, den Durchbruch zum Publikumsmagneten aber (noch) nicht geschafft hat. Denn mit dieser Shakespeare Adaption ist dem jungen Verdi ein mutiges, für die damalige Zeit geradezu revolutionäres und verstörendes Drama gelungen. Dass das Werk nichts an seiner Brisanz und Relevanz verloren hat, zeigt die Berner Produktion auf eindringliche Art und Weise. Die Inszenierung von Ludger Engels lässt uns nicht wohlig schauernd zurücklehnen und dabei etwas Theaterblut und schotttischen Nebel geniessen, sondern rüttelt auf, dringt zum Kern des Werkes vor, zeigt die höllische Spirale des korrumpierten Strebens nach Macht parabelartig im an den Bonner Kanzlerbungalow gemahnenden Raum, welchen Ric Schachteback entworfen hat.
Eine brutale Geschichte, wie sie sich im Verlauf der Menschheitsgeschichte immer wieder ereignet hat und ereignen wird, läuft mit atemberaubender Spannung vor unseren Augen ab, ein veritabler Psycho- und Politthriller mit Tiefgang. Denn Engels hat die Figuren und deren seelische Zustände genau unter die Lupe genommen, seziert sie quasi vor unseren Augen. Subtilste (auch mal zärtliche und zum Schmunzeln verführende!) Regungen, stumme Mundbewegungen, aber auch Schreie, Sarkasmus und Hohn fliessen in die Personenführung ein – Musiktheater vom Feinsten! Einige Erklärungsversuche für das mörderische Tun des Paares hat Engels sehr nachvollziehbar in die Szene eingebaut: Die Kinderlosigkeit der Macbeths (das leere Kinderzimmer mit den Kuscheltieren und Spielzeugpanzern spielt eine gewichtige Rolle), die Unfruchtbarkeit der alternden Lady, die Schwäche ihres deutlich jüngeren Ehemanns, der in seiner Gemahlin wohl eine Mutterfigur gesucht hat, die Infantilität von Macbeth, seine Ängste, ihre Psychosen). Zwar sind die Kostüme mehrheitlich im Stil der 50er und 60er Jahre gehalten, wollene Deux pièces für die Damen, Schlaghosen für einige Herren, daneben Kampfanzüge, biedere Bürokleidung, auch mal Kilts für die Herrschenden (Moritz Junge hat eine überaus stimmige Kostümdramaturgie entworfen!). Doch immer wieder wird durch „unpassende“ Accessoires (Bier in Aludosen, Laptops) die Allgemeingültigkeit der zentralen Aussage betont, die Inszenierung lässt sich nicht auf eine bestimmte Zeit und/oder konkrete Personen festnageln. Die ganze Handlung spielt sich im Inneren des Bungalows ab, Fremdes, Störendes, Unnatürliches dringt durch die gigantische Glasfront von aussen herein: Die Hexen sind eigentlich Kopfgeburten des infantilen Macbeth. Mit den gigantischen Perücken erinnern sie an Struwwelpeter, die riesigen Glasaugen haben sie Puppen und Kuscheltieren aus dem Kopf gerissen, die wollenen Kostüme hingegen wirken mütterlich und betonen den Oedipuskomplex des Titel“helden“. Für den zweiten Auftritt haben die Hexen ihre Augen dann abgelegt und sich die Teddybären auf den Kopf gestülpt – alles gerät aus den Fugen. Die Prophezeiungen der Thronfolge: Blutüberströmte Körper, das brutale Machtstreben wird weitergehen und mit dem Tod Macbeths eben nicht enden. Und gerade deshalb war es eine kluge Entscheidung der Verantwortlichen eine Mischfassung aus Florentiner (1847) und Pariser (1865) Fassung zur Diskussion zu stellen. Hier in Bern endet die Oper nicht mit dem Triumph der Befreier (die mit Tischbeinen und Aktenordnern die Festung "Bungalow" stürmen), sondern mit dem von Malcolm und Macduff mit unglaublich roher Gewalt herbeigeführten Todes des einsamen Königs Macbeth. Musikalisch mag da zwar ein gewisser Bruch auszumachen sein, doch rechtfertigt die Aussage und die Radikalität von Verdis ursprünglicher Idee diesen Eingriff.
Mut beweist auch Fabienne Jost in der Rolle der Lady, indem sie Verdis Forderung nach einer rauen, durch Mark und Bein gehenden Stimme konsequent umsetzt. Die Wahnsinnsszene reichert sie bewusst mit „falsch“ klingenden Tönen an. Die zu Beginn so starke Frau ist nun total irre geworden und Fabienne Jost spielt und singt diesen Wahnsinn mit einer Intensität, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Ihr stark überschminktes Gesicht ist zu einer hässlichen Fratze geworden, die Töne strömen fahl, rau, dann wieder zärtlich verklingend aus ihrer Kehle – grossartig und wie gesagt: MUTIG! Denn dass sie auch fulminant und bravourös singen kann, hat sie in ihren grossen Szenen Vieni t’affretta, La luce langue und im Brindisi sowie im zentralen Duett bereits bewiesen. Robin Adams gibt einen ebenso intensiv durchgestalteten Macbeth. Sein Bariton verfügt über alle erforderlichen Schattierungen: Machohaft kann er auftrumpfen, infantil und ängstlich zittern, fahl und unbeteiligt wirken, hämisch und fordernd sein, mit nihilistischen Aussagen um sich werfen. Die Original Shakespeare-Zitate die er zusätzlich zu seiner umfangreichen Gesangsrolle noch zu sprechen hat, wirken bei ihm ganz organisch in den Aufstieg und Fall des Tyrannen eingebaut. Mit wunderbar sonorem Bass gestaltet Pavel Shmulevich den Banquo. Adriano Graziani glänzt mit sehr schönem, hellem Timbre und eindrucksvoller Phrasierung als Macduff. Geradezu luxuriös besetzt sind die Dama der Lady (aus ihr macht Engels eine effiziente und intrigante Assistentin mit Wendehals-Charakter!) mit Claude Eichenbergers sattem Mezzosopran und der Malcolm mit Andries Cloete.
Genauso spannungsgeladen wie das Geschehen und der Gesang auf der Bühne sind auch die Klänge aus dem Graben. Srboljub Dinic und das Berner Symphonieorchester bleiben dem Werk nichts an geradezu lautmalerischen Effekten schuldig. Eindrücklich und mit gekonnter Vulgarität singen und spielen die Damen des Chors Konzert Theater Bern (Leitung Zsolt Czetner) die dankbaren Hexenszenen.
Das Theater Bern zeigt ein kühnes Werk eines relativ jungen Komponisten in einer szenisch und musikalisch brisanten, eindringlichen Umsetzung.
Kaspar Sannemann © Originalfassung in oper-aktuell
Fotos © Annette Boutellier, Konzert Theater Bern, mit freundlicher Genehmigung