Klagenfurt: „Salome“

Aufführung am 14. 10. 2016, Premiere am 20. 9. 2016

Packendes Musiktheater auf hohem Niveau

Der Klagenfurter Intendant Florian Scholz verfolgt eine kluge Besetzungspolitik bei seinen Opernproduktionen. Klagenfurt verfügt nur über ein kleines Stammensemble und dazu über einen guten Chor, aus dem auch kleine Solorollen qualitätsvoll besetzt werden können. Für die Hauptrollen werden dann regelmäßig Solisten der jüngeren Generation engagiert, die schon an großen Häusern erfolgreich sind und die in Klagenfurt erstmals neue Rollen gleichsam „ausprobieren“.

Diesmal waren es für Salome sowie für Herodes und Herodias Rollendebuts – und die waren allesamt höchst erfolgreich. Dazu kam ein modernes, spannungsvolles und effektvolles Bühnenkonzept des österreichischen Regisseurs Michael Sturminger und der Ausstatter Renate Martin und Andreas Donhauser (es lohnt sich, einen Blick auf deren Homepage zu werfen). Auch für den ehemaligen Klagenfurter Opernchef und nunmehrigen Mannheimer GMD Alexander Soddy war es so wie für Regisseur und Ausstatter die erste Auseinandersetzung mit Salome. In der von mir besuchten Repertoirevorstellung war das Haus ausverkauft und man hatte den Eindruck, dass sich Bühnenkonzept, gesangliche und orchestrale Leistungen zu einem geschlossenen Ganzen entwickelt haben – da „sitzt“ musikalisch und szenisch alles und es war packendes modernes Musiktheater auf hohem Niveau zu erleben. Auch die zahlreichen kleineren Partien sind werkgerecht besetzt.

Die beiden szenisch und musikalisch dominanten Figuren des Abends waren Salome und Herodes. Die Münchnerin Anna Gabler – inzwischen schon längst international geschätzte Wagner-Interpretin (hier in Video-Ausschnitten als Eva 2011 in Glyndebourne und 2013 bei den Osterfestspielen in Salzburg ) lieferte ein überzeugendes Rollenportrait der Prinzessin Salome. Wirkte für mich zu Beginn ihr kindliches Gebaren gegenüber Narraboth noch etwas künstlich-aufgesetzt, so steigerte sie sich in der Begegnung mit Jochanaan zu einer überaus intensiven Gestaltung in verbohrtem Trotz. Stimmlich gelang es ihr hervorragend die Lyrismen der Partie zart zu gestalten, aber auch die großen Ausbrüche und Spitzentöne kraftvoll zu bewältigen. Das war zweifellos eine große Leistung! Ganz großartig war auch der Herodes des aus dem lyrischen Fach kommenden Jörg Schneider . Mit exzellenter, aber nie manierierter Wortdeutlichkeit sang er die heikle Partie ausgezeichnet und stattete auch die Spitzentöne mit dem nötigen heldischen Glanz aus. Dazu kam eine ausgeprägte Spielbegabung. Ein Kabinettstück der Gestaltungskraft und der Personenführung war der Schleiertanz, der geradezu zu einem bedrückenden Pas de deux der verführerischen Prinzessin mit ihrem lüsternen Stiefvater wurde.

Ausgezeichnet gelang es Ursula Hesse von den Steinen die Figur der Herodias zu zeichnen. Auch sie ist eine bereits an ersten Häusern erprobte Wagner-Interpretin (Fricka, Venus und Ortrud). Durch die ausgezeichnete Maske und ihr intensives Spiel war sie geradezu eine frappant ihrer Tochter ähnlich sehende Figur, die am Ende die Handlung zum letalen Ende hintreibt. Der schmachtende Narraboth war der etwas schmalstimmige Mathias Frey. Auffallend plastisch gestaltet war das Judenquintett, die beiden Soldaten hatten das nötige stimmliche Gewicht ebenso wie die beiden Nazarener und auch der Page, der in dieser Inszenierung am Ende Salome erschießt, stimmlich und darstellerisch adäquat besetzt. Die Namen der umfangreichen Besetzungsliste können hier nachgelesen werden.

Bleibt noch Jochanaan. Man weiß, dass diese Gestalt dem gegenüber der christlichen Religion eher reservierten Richard Strauss zu schaffen gemacht hatte. „Für mich“ schrieb Strauss in einem späteren Brief an Stefan Zweig „hat so ein Prediger in der Wüste, der sich noch dazu von Heuschrecken ernährt, etwas unbeschreiblich Komisches“. Durch gewaltigen, ja fast gewaltsamen stimmlichen Einsatz und durch konzentriert-intensives Spiel hat sich der Wagner-, aber auch Jochanaan-erfahrene Michael Kupfer-Radecky über diese Assoziation souverän hinweg gesetzt. Sein mächtiger Heldenbariton schöpft aus dem Vollen – ich gestehe allerdings, dass mir das gutturale Organ vom Stimmsitz her zu wenig zentriert ist. Aber wie auch immer: er bot eine höchst achtbare Interpretation.

An diesem Abend konnte man jedenfalls das Strauss’sche Meisterwerk in einer höchst spannenden Interpretation erleben. Das Klagenfurter Orchester wuchs geradezu über sich selbst hinaus und bot (im

tiefer gefahrenen Orchestergraben) eine grundsolide Leistung. Das Publikum war merklich beeindruckt und spendete für alle Ausführenden langen und lauten Beifall.

Die Bezüge zur Gegenwart waren in der Inszenierung deutlich herausgearbeitet, ohne dass dies (allzu) penetrant in den Vordergrund gerückt wurde. Der große Rudolf Hartmann hatte schon 1980 in seinem Werk „Richard Strauss – seine Werke von der Uraufführung bis heute“ zum politischen Bezug dieses in Palästina spielenden Werks geschrieben:

Es erscheint bemerkenswert, dass die gärende Unruhe im Lande denselben Motiven entsprang, die heute nach bald 2000 Jahren, den Nahen Osten zu einem immer schwelenden Brandherd machen. Die Gegensätze zwischen Arabern und Juden sind bis in die Jetztzeit virulent geblieben, ihre Ursachen, religiöse und machtpolitische Ansprüche, haben sich nicht geändert. Auf dem Boden dieser von Legenden, Prophezeiungen, unbegreiflichen Wundertaten und verwirrendem Erscheinen neuer geheimnisvoller Persönlichkeiten genährten Umwelt, wächst ein seltsames Geschöpf heran: Salome.

Und in diesem Sinne mag man akzeptieren, dass in der Deutung dieser Inszenierung nach dem Ausruf von Herodes „Man töte dieses Weib“ offenbar fundamentalistische Juden und Christen hereinstürmen und die Soldaten umbringen, die Salome erschießen wollen. Salome stirbt dann durch einen Schuss des Pagen….

Hermann Becke, 15. 10. 2016

Szenenfotos: Stadttheater Klagenfurt, © Aljoša Rebolj

Hinweise:

– Video mit Ausschnitten (1:19) : https://www.youtube.com/watch?v=e2pwJgpVTg4

– Klagenfurter Interview mit Anna Gabler

– Und ein interessanter Buchtipp zur Grazer österreichischen Erstaufführung der Salome im theater- und sozialgeschichtlichen Kontext. Die Uraufführung der Salome an der Wiener Hofoper, um die sich Gustav Mahler bemüht hatte, wurde auf Betreiben der Kirche durch die Zensur verhindert. So kam es in Österreich nach der Dresdner Uraufführung erst im Mai 1906 zur österreichischen Erstaufführung – und zwar an der Grazer Oper. Das war ein denkwürdiger Abend! Richard Strauss dirigierte selbst und im Publikum saßen seine illustren Kollegen Berg, Mahler, Schönberg, Puccini und Zemlinsky. Angeblich war auch der 17-jährige Adolf Hitler auf dem Stehplatz dabei……