4. Juli 2018, Helmut-List-Halle
Monteverdi und Savall – ein musikdramatisches Wunder!
Die Auftritte von Jordi Savall mit seinen von ihm geleiteten Ensembles fanden seit Jahren bei der styriarte immer gegen Ende des Festivals statt und waren dann immer ein unbestrittener, ja ein nicht zu überbietender Höhepunkt. Heuer ist der programmatische Ablauf ein anderer: Jordi Savall kommt zweimal nach Graz – einmal in der ersten Hälfte und dann nochmals am Ende des einmonatigen Festivals mit über 40 Veranstaltungen. Und dieser erste Auftritt, über den hier zu berichten ist, war so großartig und auf derart hohem Festspielniveau, dass man fürchten muss, dass viele der noch folgenden interessanten Programmpunkte daran gemessen werden …..
Das über 500 Notenseiten umfassende Achte Madrigalbuch von Claudio Monteverdi passt ideal zum Festspielmotto Felix Austria und ebenso ideal zu Graz, ist doch der Habsburger Kaiser Ferdinand II., dem das Werk ursprünglich zugedacht war, in Graz geboren und im Mausoleum neben dem Grazer Dom begraben. Dieses monumentale Bauwerk steht so wie die Musik Monteverdis am Übergang zwischen Renaissance und Barock. Sein Sohn Ferdinand III., dem das Madrigalbuch letztendlich von Monteverdi gewidmet worden war, war ebenfalls ein gebürtiger Grazer.
Jordi Savall mit den von ihm gegründeten Ensembles La Capella Reial de Catalunya und Le Concert des Nations hat seine Auswahl aus dem Madrigalbuch in zwei Teile gegliedert: vor der Pause erklangen reine Madrigale und ein Ballo – also ein Ballett mit Gesang – und nach der Pause die Stücke in genere rappresentativo , die der kraftvolle und unvergleichliche Beginn einer heute bald vierhundertjährigen Operngeschichte sind.
War man schon nach dem ersten Teil der ungeheuer plastisch und nuancenreich vorgetragenen Madrigale überzeugt, Zeuge einer maßstabsetzenden Interpretation sein zu dürfen, gab es im zweiten Konzertteil noch eine weitere Steigerung!
Hier erlebte man überaus eindrucksvoll und überzeugend die praktische Umsetzung des berühmten Wortes von Monteverdi L’orazione sia padrone del armonia e non serva – Das Wort sei Gebieterin der Musik (des Tonsatzes) und nicht ihre Dienerin.
Wenn man erlebte, wie hoch musikalisch, plastisch und spannungsvoll der überaus erfahrene Bariton Furio Zanasi als Testo (Erzähler) in Il combattimento di Tancredi e Clorinda den Text von Torquato Tasso (auswendig!) rezitierte, wenn man die kurzen Einwürfe von Tancredi (Lluís Vilamjó ) und Clorinda (Marianne Beate Kielland ) aufmerksam verfolgte, dann war dies wahrhaft Musiktheater auf höchstem Niveau, das sich auf wenige andeutende Gesten beschränken konnte, weil sich die gesamte Dramatik der Szene durch exzeptionelle Stimmkunst vermittelte. Text und Musik waren hier ideal verbunden. Und das Orchester musizierte ebenso hervorragend – stellvertretend seien für das exzellente Instrumentalensemble Manfredo Kraemer (Violine I) und Andrew Lawrence-King an der Doppelharfe genannt. Und Jordi Savall koordinierte das Ganze mit sparsamen, stets den Gesamtzusammenhang wahrenden Gesten. Es sei nochmals gesagt: das war höchste Kunst – da erlebte man ein musikdramatisches Wunder!
Die große Kunst von Jordi Savall besteht zweifellos unter anderem auch darin, dass er seine Gesangs- und Instrumentalensembles immer wieder neu zusammenstellt – jeder einzelne unter ihnen ist ein Meister des jeweiligen Fachs und auch in anderen Zusammenhängen solistisch und in renommierten anderen Ensembles für Alte Musik aktiv. So erlebte man beispielsweise in Graz erstmals bei Jordi Savall den Bassisten Mauro Borgioni und die Sopranistin Monica Piccinini – von beider Qualität konnte man sich bereits bei der Styriarte-Eröffnung in der Fux-Oper überzeugen (siehe dazu unten den OF-Bericht vom 24. Juni)
Als Gegenstück zum Kriegsmadrigal des Combattimento erlebte man danch das Liebesmadrigal Lamento della ninfa.
Monica Piccinini gestaltete mit großer, aber nie vordergründig zur Schau gestellten Kunstfertigkeit die Verzweiflung der verlassenen Nymphe – ebenso beeindruckend das homogene und dennoch individuell gefärbte Männertrio der die Nymphe belauschenden Hirten. Überaus subtil wurde die Liebesklage begleitet, ja gleichberechtigt mitgestaltet von einem Instrumentalquartett – Bassviola, Doppelharfe, Theorbe und Jordi Savall an der Altviola und Koordinator. Auch diese Szene war ein Wunderwerk an Gleichrangigkeit von Werk und Interpretation.
Jetzt habe ich zwei Höhepunkte des Programms herausgegriffen – es sei aber ausdrücklich betont, dass auch die nicht erwähnten Gesangs-und Instrumentalsolisten ebenso hohes Niveau bewiesen. Daher seien zum Schluss alle Ausführenden aus dem online verfügbaren Programmheft angeführt:
La Capella Reial de Catalunya:
Monica Piccinini, Sopran
Marianne Beate Kielland, Mezzosopran
Raffaele Pe, Countertenor
Cyril Auvity, Tenor I
Lluís Vilamajó, Tenor II
Furio Zanasi, Bariton
Mauro Borgioni, Bass
Le Concert des Nations:
Manfredo Kraemer, Violine I
Guadalupe del Moral, Violine II
Jordi Savall, Altviola
Lorenz Duftschmid, Bassviola
Imke David, Bassviola & Lirone
Xavier Puertas, Violone
Andrew Lawrence-King, Doppelharfe
Josep Maria Martí, Theorbe & Gitarre
Luca Gugliemi, Cembalo
Leitung:
Jordi Savall
Ihnen allen verdanken wir einen Monteverdi-Abend höchster Qualität! Das Publikum in der ausverkauften Helmut-List-Halle war begeistert. Als Zugabe wiederholte das Ensemble das Petrarca-Sonett Hor che’l ciel e la terra.
Wir können uns heute schon auf das letzte Konzert der Styriarte 2018 freuen – da kommt Jordi Savall am 22. Juli mit einem Programm Krieg und Frieden – Ein klingendes Geschichtspanorama von Kaiser Maximilian I. bis zu Kaiser Karl V. Man kann nur allen Musikinteressierten dringend empfehlen: sich rasch um Karten bemühen!
Hermann Becke, 6. 7. 2018
Fotos: Styriarte, © Werner Kmetitsch
Ein kritisches Wort (samt Fotobeleg) kann ich mir am Ende dieser Eloge allerdings nicht verkneifen:
Der Umschlag des Programmhefts verschweigt Monteverdi und Savall und vermittelt den Anschein, als sei das Achte Madrigalbuch vom Sponsor des Abends – vom international tätigen Zellstoff-Unternehmen sappi . Bei allem Verständnis für unverzichtbares und zu bedankendes Kultursponsoring: das ist ein Fehlgriff in der Programmheftgestaltung!