Diese Produktion der Zwillinge des Verismo war von Mario Martone 2011 erarbeitet und wurde seither auch 2014 und 2015 gespielt. Die Wiederaufnahme wurde sehr gut von Federica Stefani betreut, denn in beiden Stücken blieb die von Martone erdachte Atmosphäre bestens erhalten. So wurde die Ausgegrenztheit Santuzzas vom ersten Moment an klar, wenn sie sich im Vorraum einer Kirche mit Mamma Lucia trifft und sie von keinem der Dörfler beachtet wird. Genial die Anordnung des Chors, dessen einzelne Mitglieder ihre Stühle selbst mitbringen und dann der Messe folgen, die im Bühnenhintergrund zelebriert wird, ganz exakt mit Klingelbeutel und allem Drum und Dran. So geht Santuzza am Schluss durch die Stuhlreihen davon und lässt die bigotte Dorfgemeinschaft hinter sich. (Während des Vorspiels ist zu sehen, wie die Männer nächtlicherweile ins Bordell schleichen, aber für die „entehrte“ Santuzza nur Verachtung haben).
In Leoncavallos Oper ist es ein Zubringer zur Autobahn, unter dem sich Canios Truppe eingerichtet hat (Bühnenbild und Kostüme beider Opern: Sergio Tramonti bzw. Ursula Patzak). Ein kleiner, ziemlich mitgenommener Wohnwagen zeigt uns, dass es mit den Finanzen der Komödianten nicht zum Besten steht. In beiden Werken wird das für die Handlung nötige Ambiente eindrucksvoll vermittelt.
Leider musste bei dieser fünften Vorstellung der Serie Elīna Garanča wegen Erkrankung die Santuzza absagen und die für weitere Vorstellungen vorgesehene Saioa Hernández kam zu ihrem Rollendebüt. Persönlich ziehe ich in der Rolle einen Mezzo vor, aber die spanische Sopranistin schuf ein starkes Rollenporträt, wobei es ihr gelang, ihr riesiges Material zu zähmen, sodass sie nie allzu wuchtig klang. Ihr Turiddu fand in Brian Jagde eine zwar stimmstarke Verkörperung, die aber (auch szenisch) jeglichen Ausdruck vermissen ließ. Das war schade, denn die baritonal gefärbte Stimme des Künstlers ist ausgesprochen interessant. Roman Burdenko war ein stimmlich und schauspielerisch überzeugender Alfio, und sehr gut machte sich auch Francesca Di Sauro als nicht nur kokette, sondern fast bösartige Lola. Ohne Elena Zilio als Mamma Lucia ist offenbar keine Vorstellung der „Cavalleria“ mehr denkbar…
Mit dem Canio hat Fabio Sartori seine Traumrolle gefunden, denn nie sah man diesen Sänger szenisch so überzeugend und gelöst. Dazu sang er prachtvoll, zeigte keinerlei Ermüdungserscheinungen und gestaltete „Ridi, pagliaccio“ überaus eindringlich, ohne die Arie zur tränentreibenden Schnulze zu degradieren. War die Absage von Garanča noch vor dem Vorhang von Intendant Meyer verkündet worden, so hatte es vor „Pagliacci“ eine Lautsprecherdurchsage gegeben, dass sich Irina Lungu trotz plötzlicher Indisposition erklärt hatte, die Nedda zu singen, was ihr mit leicht verschleiertem Sopran auch mehr als akzeptabel gelang. Den Tonio gestaltete Roman Burdenko sehr facettenreich und sang einen mitreißenden Prolog. Sehr gut auch die Leistung von Mattia Olivieri, dessen leidenschaftlicher Silvio verstehen ließ, dass Nedda mit ihm fliehen will. Für den Peppe brachte Jinxu Xiahou einen auffallend schönen Tenor mit.
Der von Alberto Malazzi einstudierte Chor des Hauses gefiel gesanglich in beiden Opern und mit der von ihm verlangten Spielfreude bei Leoncavallo. Das Dirigat, das Giampaolo Bisanti der „Cavalleria“ angedeihen ließ, war von hoher Qualität, und das Scala-Orchester entfaltete einen vollen, zehrenden Klang, wie ich ihn mir für dieses Werk erwarte. Die an sich überzeugende Interpretation der „Pagliacci“ schien mir unter teilweise zu hoher Lautstärke zu leiden.
Starke und lang anhaltende Zustimmung des Publikums an einem vom Joch des Abonnements befreiten Abend.
Eva Pleus, 28. April 2024
Cavalleria rusticana
Pietro Mascagni
Pagliacci
Ruggero Leoncavallo
Teatro alla Scala, Mailand
26. April 2024
Inszenierung: Mario Martone
Musikalische Leitung: Giampaolo Bisanti
Orchestra del Teatro alla Scala