
Nach der Sommerpause begann die Scala wie üblich mit einer Vorstellungsserie, die aus der Accademia hervorgegangenen bzw. noch darin Studierenden die Möglichkeit gibt, sich einem internationalen Publikum vorzustellen. Dafür wurde diesmal die klassische, alterslose Produktion eingesetzt, die Claudio Abbado gemeinsam mit Jean-Pierre Ponnelle 1971 in Florenz und 1973 dann in Milano herausgebracht hatte, und die in weiteren sechs verschiedenen Spielzeiten an der Scala zu sehen war. Ponnelle, der bekanntlich auch sein eigener Bühnen- und Kostümbildner war, hat mit der Inszenierung der drei großen Buffoopern Rossinis Geschichte geschrieben, und seine Auslegung der Erzählung vom Aschenbrödel ist vielleicht die allergelungenste davon. Der dem Libretto von Jacopo Ferretti zugrunde liegende, auf gute Feen verzichtende, Zynismus kommt voll zur Geltung und setzt Angelinas Gutmütigkeit scharf von den anderen Figuren ab, denn Don Magnifico und seine Töchter Clorinda und Tisbe werden in ihrer ganzen Bösartigkeit gezeigt, aber auch Don Ramiro, der verliebte Prinz, erweist sich teilweise als aufbrausend, und Dandini genießt mit großer Schadenfreude die Szene, in der er Don Magnifico über den Rollentausch von Prinz und Diener aufklärt. Geheimnisvoll und von Mystik umgeben erscheint der Angelina zu ihrem Glück verhelfende Alidoro (=Goldflügel). Der in der Einstudierung durch Salvo Sgrò sehr gut singende (nur aus Herren bestehende) Chor der Accademia hatte köstliche Auftritte in synchroner Bewegungsregie. Don Magnificos wenig repräsentables Haus und der Ballsaal im Schloss (wo sich die geladenen Gäste gierig auf die gedeckte Tafel stürzen) versetzten den Zuschauer sofort in die zum Geschehen passende Atmosphäre. Mehr Details sind zur Beschreibung der Inszenierung wohl überflüssig, wurde sie doch durch verschiedene Tourneen, u.a. nach London und Washington, international bekannt.

Gianluca Capuano als Leiter der von Cecilia Bartoli gegründeten Musiciens du Prince stark ins Rampenlicht gerückt, dirigierte einen rasanten Rossini, in dem aber auch duftige Klangfarben ihren Platz fanden. Allerdings setzte er offenbar seine Vorstellungen durch, ohne zu bedenken, dass er erst in Ausbildung befindlichen Musikern vorstand, sodass das vom Orchester der Accademia erzeugte Klangbild nicht immer einheitlich war.
Da diese Produktionen stets einen erfahrenen Sänger zum Tutor haben, war es diesmal Marco Filippo Romano als Don Magnifico, der mit seiner Kenntnis vom Setzen szenischer und vokaler Pointen die Sängerriege anführte. Es ist immer ein Genuss, der in ihrer Qualität über das Buffofach hinausgehenden Stimme zu lauschen und die facettenreiche Charakterisierung dieser im Grunde unsympathischen Figur zu bewundern. Dass Romano der einzige Italiener auf dem Besetzungszettel war, wirft wieder einmal ein trauriges Licht auf das Fehlen von geeignetem Nachwuchs in dem Land, das die Oper als Genre erfunden hat. Außerdem waren die vier auftretenden Asiaten lauter Exschüler der Accademia, deren Karriere schon vor einiger Zeit begonnen hat. Die Titelrolle sang die Japanerin Aya Wakizono mit angenehm timbriertem, aber nicht sehr umfangreichem Mezzo, der in der Tiefe fast unhörbar wurde. Im Spiel war sie nett, aber arm an Persönlichkeit. Der Chinese Chuan Wang als ihr Ramiro verfügt über einen absolut höhensicheren Tenor wie er für seine vertrackte Arie „Sì, ritrovarla io giuro“ absolut vonnöten ist, doch ist das Material recht trocken und wird einförmig eingesetzt.

Der Koreaner Sung-Hwan Damien Park gab einen szenisch sehr wendigen Dandini mit passabler Koloratur, aber sein Bariton hat sich nicht weiterentwickelt, seit er hier bereits vor ein paar Jahren zu hören war. Und dem chinesischen Bass Huanhong Li tat man mit dem Alidoro keinen Gefallen, denn die von Rossini später hinzugefügte Arie gehört zum Schwersten, das in diesem Fach zu finden ist. Das ist schade, denn der Sänger hat interessantes Material und war mir in anderen Rollen schon mehrmals positiv aufgefallen. „Echte“ noch Studierende waren die Interpretinnen von Clorinda und Tisbe, welche Rollen in ihrer Überdrehtheit ja dankbar sind. Clorinda (ohne ihre von Luca Agolini stammende Arie) war der Spanierin María Martín Campos anvertraut, die sie zufriedenstellend sang; Tisbe war die Türkin Dilan Şaka, deren Mezzo man gern länger zugehört hätte.
Ohne Marco Filippo Romano und Ponnelles so köstliche Produktion wäre es ein langatmiger Abend geworden.
Eva Pleus, 16. September 2025
La Cenerentola
Gioachino Rossini
Teatro alla Scala
Besuchte Aufführung: 9. September 2025
Regie: Jean-Pierre Ponnelle (betreut von Federica Stefani)
Musikalische Leitung: Gianluca Capuano
Orchestra dell’Accademia Teatro alla Scala