Turin: „Un ballo in maschera“, Giuseppe Verdi

Die Produktion dieser von französischen Stilelementen beeinflussten Tragikomödie Giuseppe Verdis war das Highlight der heurigen Turiner Opernsaison, stand doch mit Riccardo Muti ein Dirigent am Pult, dem – wohl auf eigenen Wunsch – das Tor der Mailänder Scala verschlossen bleibt, so er nicht, wie kürzlich geschehen, mit „seinem“ Orchester aus Chicago dort auftritt. Die Präsenz des Maestros bewirkte denn auch eine Verdoppelung der Preise.

© Andrea Macchia

In Andrea De Rosa hatte Muti einen seinem Geschmack entsprechenden Regisseur gefunden, der den Sängern szenisch nicht zu viel abverlangte und ihnen stets den eventuell nötigen Blick auf den Dirigenten freigab. De Rosas Konzept wollte zeigen, dass am Bostoner Hof Riccardos ein sozusagen ständiger Maskenball stattfindet und eine Vergnügung die andere ablöst. Wenn man einen gewissen Leichtsinn in Riccardos Charakter bedenkt (er nimmt weder Renatos Warnungen vor einer Verschwörung ernst, noch erschrecken ihn Ulricas Weissagung seiner Ermordung durch einen Freund), könnte De Rosas Auffassung grundsätzlich stimmen, hätte er nicht übertrieben, denn im 1. Bild, als der Chor singt, Riccardo ruhe sich von seinen Amtsgeschäften aus, erscheint dieser mit zwei aufreizend gekleideten Damen am Arm – man glaubt, den vom Ballett umringten Herzog von Mantua vor sich zu haben. Vieles ist aber auch geschickt gemacht, so der nahtlose Übergang vom ersten zum zweiten Bild, wo Ulrica, von schwarzen Schleiern verhüllt, auf einem thronähnlichen Stuhl sitzt, den Riccardo unter dem Jubel der Menge gegen Schluss des Bildes besteigen wird. Im Dunkel des Galgenbilds sind nur ein paar herumliegende Leichen auszunehmen, sowie ein gut herausgeleuchtetes Podest in der Mitte, das für das große Liebesduett genützt wird (Bühnenbild: Nicolas Bovey, Licht: Pasquale Mari). Dass der Sopran ein gutes Stück größer war als der Tenor, löste De Rosa geschickt, indem Amelia hingegossen an Riccardos Brust lag. Seltsamer schien, dass Renato seine Frau nach Riccardos Abgang noch in dieser Lage vorfand und ihr beruhigend über die Hände strich – dass er sie da noch immer nicht erkannte? Das vierte Bild zeigte im Hintergrund einen Palast, davor war Renatos Wohnzimmer nur durch einen Schreibtisch angedeutet. Während des „Eri tu“ gab es nicht das übliche Bild Riccardos an der Wand, sondern dieser erschien dem vermeintlich betrogenen Ehemann wie ein Gespenst. Amelia zeigte sich dann mit einem Kleinkind in den Armen, während sich maskierte tanzende Elemente herumtrieben (Choreographie: Alessio Maria Romano).

© Andrea Macchia

Das Schlussbild hätte man sich wieder mit nahtlosem Übergang erwartet, doch fiel kurz der Vorhang. Dann tanzte das Ballett mit seltsam hochgereckten Armen und erinnerte damit eher an gymnastische Übungen. Insgesamt funktionierten die Lösungen aber für die Szene Renato-Oscar und das abschließende Menuett Riccardo-Amelia gut. Dieser letzte Satz mag im Ganzen für eine nicht aufregende, aber durchaus hinnehmbare szenische Produktion gelten, in der auch die Kostüme von Ilaria Ariemme gut ins Bild passten.

Muti spornte das Orchestra Teatro Regio Torino zu Höchstleistungen an, er ließ den Klangkörper förmlich singen, die dunklen Streicherklänge wie etwa in Renatos erster Arie oder auch im Racheterzett hatten durchaus hypnotische Wirkung. So stark war der Eindruck, dass ich gern meine Fahrkarte zurück nach Mailand verfallen ließ, denn die Aufführung dauerte von 15 Uhr bis 18.40! Worauf zwei überlange Pausen von je 40 Minuten zurückzuführen waren, entzieht sich meiner Kenntnis.

© Andrea Macchia

Piero Pretti war ein gesanglich untadeliger Riccardo, der sämtliche vokalen Schwierigkeiten der Rolle problemlos bewältigte. Allerdings fehlte ihm das Charisma für den auch hinsichtlich Expressivität fordernden Part. Amelia fand in Lidia Fridman eine überzeugende Interpretin. Ihr Sopran wird zwar in der Höhe gern leicht klirrend, aber ihre umfangreiche Ausdruckspalette und die überzeugende Tiefe eines authentischen dramatischen Soprans waren mehr als überzeugend. Der schön timbrierte Bariton von Luca Micheletti verlor unter Druck (und davon gab es viele Momente) leider die Farbe und klang nur rau. Sehr positiv die Leistung von Damiana Mizzi, die mit kleiner, aber gut projizierter Stimme einen äußerst spritzigen Oscar auf die Bühne stellte. Der Ulrica der Ukrainerin Alla Pozniak fehlten die Töne einer Rolle, die nach einem Alt mit guter Höhe oder einem Mezzo mit guter Tiefe verlangt. Als auffallend gut erwies sich Sergio Vitale mit einem szenisch lebendigen und stimmlich nachdrücklichen Silvano. Daniel Giulianini und Luca Dall’Amico gaben verlässlich die Verschwörer Samuel und Tom, ebenso wie Riccardo Rados als Richter und Diener Amelias nichts zu wünschen übrigließ. Der Chor des Hauses unter der Leitung von Ulisse Trabacchin stellte stimmschön seinen Mann bzw. seine Frau.

Trotz aller Beckmessereien ein mitreißender Opernnachmittag.

Eva Pleus, 14. März 2024


Un ballo in maschera
Giuseppe Verdi

Teatro Regio Torino

3. März 2024

Inszenierung: Andrea De Rosa
Musikalische Leitung: Riccardo Muti
Orchestra Teatro Regio Torino