am 7.6.2019
Desillusionierung im Grand-Hotel
Mozarts Oper Cosi fan tutte gehört mittlerweile zu den am häufigsten gespielten Opern, und das trotz eines Librettos (Lorenzo Da Ponte), das es dem Opernbesucher in Sachen Wahrscheinlichkeit nicht gerade leicht macht. Zu Mozarts Zeiten waren Treueproben, waren erotisch aufgeladene Verwandlungs- und Verwechslungsszenarien ein beliebtes dramatisches Sujet zum Zwecke der Unterhaltung der höfischen, zunehmend dekadenten Gesellschaft im Ancien Régime. Doch diese Maskeraden und Rollenwechsel interessieren heutige Regisseurinnen wie Ute M. Engelhardt und Regisseure der Cosi fan tutte nicht mehr. Viel interessanter ist für sie eine hochaktuelle tiefere Bedeutungsebene von Mozarts in gerade einmal drei Wochen komponiertem Geniestreich Es geht in der Oper um die zwischen-menschlichen Beziehungen der Akteure, um verletzte, betrogene Gefühle, um unerfüllte Sehnsüchte, um den Versuch, aus dem Korsett auferlegter Konventionen und Regeln auszubrechen. Das frivole, von Don Alfonso inszenierte Spiel mit Treue und Liebe hinterlässt am Ende nur Verlierer. Das in der Musik Mozarts zum Ausdruck kommende Happy End ist keines: Guglielmos und Ferrandos Freundschaft ist zerstört, das schwesterliche Verhältnis zwischen Dorabella und Fiordiligi ruiniert und auch Despinas Vertrauen zu Don Alfonso nachhaltig beschädigt. Nicht nur die Schwestern trifft hierbei die Schuld, sondern gerade auch deren Verlobte, die sich auf Don Alfonsos Wettangebot einlassen und sich immer tiefer in das zynische Spiel von Verführen und Verführtwerden verstricken.
Ute M. Engelhardt erzählt die Story ganz in diesem Sinne geradlinig und mit sezierender Schärfe, ohne dem Besucher große Verständnisprobleme aufzubürden. Sie verlegt die Handlung in die Gegenwart. Ferrando und Guglielmo logieren als Soldaten während einer Kampfpause in einem ziemlich heruntergekommen „Grand Hotel“ (Bühne: Mara Scheibinger, Licht: Eduard Joebges), wo sie von ihren Verlobten besucht werden. Don Alfonso ist der Hoteldirektor, Despina das im Hotel angestellte Zimmermädchen. Mittels Drehbühne variieren die einzelnen Schauplätze der Handlung: Eingangshalle mit Rezeption, Zimmer der beiden Schwestern, Eingang des Hotels und kleiner Garten mit römischem Brunnen.
Viele Details verorten das Geschehen in das Hier und Jetzt. Die Soldaten trinken Bier, Despina nascht aus einem Glas mit Nutella, Don Alfonso schmiert sich ein Brot mit Nutella, ein Video mit Kriegsszenen (2. Bild) macht verständlich, warum Fiordiligi und Dorabella um ihre Geliebten existentielle Angst haben und ein großes Plakat mit einer Südseelandschaft weckt die Sehnsucht nach einem friedlichen, idyllischen Aufenthalt in einer exotischen Gegend.
Damit das Komödiantische nicht ganz verloren geht, greift die Regisseurin – leider – tief in die Klamottenkiste. Die beiden Schwestern haben sich die Fotos ihrer Geliebten auf ihre Unterhosen aufdrucken lassen, und Ute M. Engelhardt schreckt sogar nicht davor zurück, Dorabella dem Publikum den Popo mit dem Konterfei ihres Geliebten entgegenstrecken zu lassen. Wie lustig! Besser gelungen ist Despinas Rettungstat als Ärztin mit Fernsehmonitor und Handys, die Guglielmo und Ferrando vor dem Gifttod mittels Lackdose und Silikon-spritze bewahrt. Warum Despina im letzten Akt wie im Karneval kostümiert als Notar mit Gehrock und Perücke erscheint, bleibt angesichts der Verlegung der Story in die Gegenwart unerfindlich.
Ihre starken Momente hat die Inszenierung, wenn es darum geht, die Gefühlsverwirrung aller Personen zu verdeutlichen. Wer wirbt hier eigentlich um wen? Ferrando und Guglielmo stellen – nun in südländischem Outfit mit Sonnenbrillen (Kostüme: Dorothee Joisten) – zunächst ihren richtigen Partnerinnen nach, erst später werben sie um die Verlobte des jeweils anderen. . Dorabello gibt nur zu gerne dem Machogehabe Guglielmos nach und auch Fiordiligi zeigt sich schon früh den Avancen Ferrandos gegenüber nicht abgeneigt. Am Ende ist sie es, die sich im Schlusstableau zum Entsetzen ihrer Schwester Ferrando zuwendet, während Guglielmo in großer Desillusionierung über seine Verlobte, aber auch über sich selbst die Szene verlässt. Ferrando und Dorabella stehen in weiter Entfernung zueinander isoliert auf der Bühne. Zwischen ihnen geht nichts mehr. Das sind starke Bilder, die den Interpretationsansatz der Regisseurin sehr gut verdeutlichen.
Musikalisch steht die Aufführung in Aachen auf recht gutem Niveau. Bei den Sängerinnn und Sängern gebührt die Palme der Despina von Suzanne Jerosme. Mit ihrem glockenklaren Sopran und ihrem komödiantischen, ganz natürlichen Spiel blieb sie der Partie der Kammerzofe nichts schuldig. Die Mezzosopranistin Fanny Lustaud stand ihr in der Rolle der Dorabella kaum nach. Die Stimme der jungen Französin klingt besonders in der Mittellage voll und rund und besitzt auch in der Höhe die nötige Durchschlagskraft. Netta Or als Fiordiligi kann bereits auf eine sehr erfolgreiche Karriere zurückblicken. In Wiesbaden war sie erst unlängst als Elettra in Mozarts „Idomeneo“ zu hören. Untadelige Musikalität und perfekte Beherrschung ihrer Stimme gerade etwa in der hochdramatischen Arie „Come scolio“ mit ihren extremen Intervallsprüngen und virtuosen Triolen wird man der Künstlerin sehr gerne attestieren, wenn auch mancher Spitzenton sehr scharf ausfällt und die Mittellage und die Tiefe bisweilen verstörend aus der Gesangslinie herausfallen. Sehr schön klingt die Stimme dagegen im Piano und Mezza Voce. Da hört man, dass Frau Or eine bedeutende Mozart-Interpretin ist.
Die Männer stehen den Damen in nichts nach. Der australische Bariton Andrew Finden sang den Guglielmo mit weich timbrierter, wunderbar strömender Stimme und lief dadurch Patricio Arroyo als Interpret des Ferrando etwas den Rang ab. Der in Aachen ungemein beliebte und gefeierte Tenor verfügt zwar über eine schmelzende Mittellage und hohe Stimmkultur, aber in der Höhe klingt die Stimme bisweilen etwas angestrengt und fast timbrelos. Hrólfur Saemundsson als Alfonso war ein stimmlich und schauspielerisch umtriebiger Don Alfonso, der stets die Fäden in der Hand behielt, an denen seine Wettopfer zappeln.
Justus Thorau leitete das Sinfonieorchester Aachen mit Umsicht und Temperament. Einige Wackler und Koordinationsschwierigkeiten mit den Sängerinnen und Sängern werden sich sicherlich in den kommenden Vorstellungen beheben lassen. Überraschten zu Beginn die langsamen Tempi, so gewann die Aufführung dann doch zunehmend an Schwung und Spritzigkeit. Spätestens bei dem herrlichen Terzett „Soave il vento“ bei der Verabschiedung der beiden Verlobten trafen Orchester und Dirigent dann endgültig den „Mozart-Ton“.
Das Publikum feierte alle Künstlerinnen und Künstler mit lang anhaltendem Beifall. Publikumsliebling an diesem Abend war allerdings – und dies völlig zu Recht – Suzanne Jerosme, die Sängerin der Despina.
Fazit: Eine vor allem musikalisch ansprechende Cosi fan tutte, die einen Besuch im Theater Aachen auf jeden Fall lohnenswert macht.
Norbert Pabelick, 08.06.2019
Bilder (c) Carl Brunn
Weitere Aufführungen: 10.06./15.06./26.06