Im Herbst 2010 erlebte diese neunte Oper des gerade einmal achtzehnjährigen Mozarts in der Regie von David Alden und René Jacobs am Pult des Freiburger Barockorchesters eine ungestrichene, grottenlangweilige Aufführung im Haupthaus des Theaters an der Wien. Die neue Direktion unter Stefan Herheim hat dazu gelernt, wenn man schon dieses Auftragswerk des Münchner Intendanten Joseph Anton von Seeau einem interessierten Publikum von heute bietet, dann in einer stark gekürzten Version und in einer modernen Bühnenadaption. Gemeinhin, aber nach wie vor nicht vollends gesichert, wird das konfuse Libretto Giuseppe Petrosellini (1727-1797) zugeschrieben, welches 1774 bereits von Pasquale Anfossi (1727-1797) vertont wurde. Seit der von Mozart 1780 autorisierten deutschen Singspielfassung von Franz Xaver Stierle wird die Oper auch als „Die Gärtnerin aus Liebe“ bezeichnet. Der Gattung nach gehört sie der „Opera buffa“ an und folgt dem in jener Zeit beliebten Typ der Opera semiseria, also der halbernsten Oper. Die Personen der Oper gehen auf die schablonenartigen Figurentypen der Commedia dell’arte zurück. Die in Makinsk/Kasachstan geborenen Regisseurin Anika Rutkofsky und ihr Team siedelten die Handlung der Oper in einer Fernsehstudiowelt an, in der die sieben agierenden Personen, getrieben vom Ehrgeiz, die Aufmerksamkeit, Anerkennung und Liebe des Publikums in der Kammeroper zu erringen, von einer Show in die andere stolpern.
Um jeder der Figuren in diesem Garten der Eitelkeit die ideale Präsentationsfläche zu bieten, lässt Ausstatter Adrian Stapf vom Schnürboden verschiedene Kulissenwände herabfahren, so eine im Stil des US-amerikanischen Pop Art Malers Roy Lichtenstein, einen Fitnessraum mit Sprossenwand, Barren, Sprungpferd und einem Tisch, auf dem Sandrina in der berühmten Marilyn Monroe Pose über dem U-Bahn Schachtgitter zu sehen ist, einen silbernen Eisenbahnwagon mit drei Fenstern, Rollläden und einer Türe sowie eine idyllische Gebirgsszenerie mit See. Das Setting dieser TV-Studiowelt erinnert an die TV-Soap „Walking on Sunshine“ und kopiert die beiden Ebenen „on air“, wenn man auf Sendung ist, und „off air“, wenn die Kamera ausgeschaltet ist. Für spannende Beleuchtungseffekte sorgte Franz Tscheck. Das Gesangsensemble wartete durchwegs mit gut geführten Mozartstimmen auf. Die in Freiburg geborene Carina Schmieger als Violante und verkleidete Sandrina berührte mit ihrer Eingangskavatine „Geme la tortorella lungi dalla campagna;…“ mit ihrem ausdrucksstarken Sopran. Paul Schweinester gab einen umtriebigen Podestà und verhinderten Frauenhelden Don Anchise. Von der Typenkomödie her entspräche seine Rolle der des blöden Alten, des Pantalone. Das dem nicht so ist, bewies er gleich mit seiner ersten großen Arie, der sogenannten Instrumentenarie „Dentro il mio petto io sento un suono, una dolcezza di flauti e di oboè“ worin er seine Verliebtheit in Sandrina gefühlvoll ausdrückt und das Duett von Oboen und Flöten seine ureigensten Herzensnöte unterstreicht. Sein Gemüt verdüstert sich zusehends mit dem Einsatz der Bratschen und am Ende treiben ihn Pauken und Naturhörner endgültig in den Wahnsinn. Der französische lyrische Tenor Adrian Autard machte in der Rolle des irrsinnigen Contino Belfiore gute Figur. Seinen zunehmenden Wahnsinn in der Arie „Da scirocco a tramontana,…“ hat Mozart durch Vogelstimmen, ein Relikt der Barockoper, unterstrichen. Die aus Ohio stammende US-amerikanische Sopranistin Michaella Cipriani als Arminda versucht aus ihrer verstrickten Beziehung zu der Mezzosopranistin Valerie Eickhoff in der Hosenrolle des eifersüchtigen Geliebten Cavaliere Ramiro zu entfliehen.
Als „Diva“ liebt sie es alle herumzukommandieren und in einem Wutanfall, das Notenpult des Hammerklaviers umzuwerfen. Anton Beliaev aus Jekaterinburg als Roberto Nardo glänzte mit seinem erdigen Bariton und hatte das Mitleid des Publikums an seiner Seite, wenn er voller Verzweiflung versucht, das Herz der in Tiflis/Georgien geborenen Sopranistin Elisabeth Freyhoff als intrigierendes Hausmädchen Serpetta zu gewinnen und in seinem Bemühen darin immer wieder kläglich scheitert. Am Pult des La Folia Barockorchesters stand mit Clemens Flick ein Spezialist historischer Aufführungspraxis zur Verfügung, der durch kleinere Einsprengsel aus Mozarts Don Giovanni, Entführung aus dem Serail und der Zauberflöte sowie weiterer Werke den Spannungsbogen bis zum finale lieto anhalten konnte. Als Referenz auf die Singspielfassung wurde fallweise auch Deutsch gesungen. Für die Rezitative stand ihm dabei Gianni Fabbrini am Hammerklavier zur Seite. Am Schluss gab es stürmischen Applaus für alle Beteiligten und für Carina Schmieger, Paul Schweinester und Adrian Autard auch verdiente Bravo-Rufe.
Harald Lacina 3. Dezember 2023
La Finta Giardiniera
Oper von Wolfgang Amadé Mozart
MusikTheater an der Wien in der Kammeroper
1. Dezember 2023
Inszenierung: Anika Rutkofsky
Musikalische Leitung: Clemens Flick
La Folia Barockorchester