Premiere: 16. Februar 2018,, besucht wurde die zweite Vorstellung am 18. Februar 2018
Händel ist nicht gleich Händel. Er schrieb nicht nur große italienische Opern mit Ausstattungsprunk und pompöser Musik, die den Kehlen der damals besten italienischen Sänger alles abforderte: ein Beispiel dafür werden wir demnächst mit „Ariodante“ an der Wiener Staatsoper sehen. Aber Händel, der nicht nur ein genialer Musiker, sondern ein höchst geschickter und vor allem flexibler Geschäftsmann war, konnte auch anders, wenn er musste. Wenn kein Geld für Dekorationen und Kostüme da war und man sich nur „normale“ Sänger leisten konnte – dann bot er London ein Oratorium in englischer Sprache. „Saul“ kam 1739 zur Aufführung und ist in den Orchesterpassagen interessanter als in den sängerischen Aufgaben. Aber an sich steht es in Händels Werk – obwohl es auch ein „Hallelujah“ besitzt, wenn auch nicht so eindrucksvoll wie jenes aus dem „Messias“ – doch in der zweiten Reihe.
Im Theater an der Wien hat Claus Guth nun einiges Geschick dabei gezeigt, aus dieser biblischen Erzählung um den von Gott verlassenen König Saul, der die Herrschaft an David verliert, ein paar halbwegs bühnengerechte Geschichten herauszuschälen – eine Familiengeschichte, die wohl etwas ausgeschmückt wird (wenn alle drei Nachkommen von Saul, zwei Töchter, ein Sohn, diesen David in aller Eindeutigkeit und einmal auch alle gemeinsam sexuell belästigen), und die Geschichte eines Herrschers, der sich von einem Nachfolger bedrängt sieht und die Machtübergabe gewissermaßen nicht schafft – er versucht, in Haß und Neid den Rivalen ermorden zu lassen, aber Gott will es anders. David war schließlich von Gott als König von Israel auserwählt…
Wie immer bei Claus Guth gibt es eine einschlägige Dekoration von Christian Schmidt, deren „Palast“-Umriß nicht gerade prunkvoll ist, auch eine Badezimmerwand mit Waschmuschel muss dabei sein, weiters steht ein Hof auf der Drehbühne, ein halbwegs „repräsentativer“ Eßsaal, in dem sich die psychologisch interessantesten Zusammentreffen abspielen, und ein nicht definierter Kachelraum, in dem Saul seine seelischen Krämpfe auch pantomimisch ausübt. Hier kann man seinen Namen auch groß auf die Wand schreiben oder auch durchstreichen oder auch wegwaschen, und wenn am Ende der neue Herrscher David (der sich bei Guth auf seine Aufgabe gar nicht freut, sondern zuckend unter ihr zusammen zu brechen scheint) seinen Namen an die Wand schreibt… ja, dann hat sich der Kreis von der Theaterlogik her schön geschlossen.
Im übrigen erlebt man einen Saul, der machtvoll in Schwarz als Florian Boesch da steht, oft mit einem Speer, der ihn Wotan-gleich erscheinen lässt. Obwohl die Hauptfigur, ist er musikalisch nicht überreich bedacht, kann aber in einigen Rezitativen stark ausdrücken, wie er unter Druck zu immer böseren Gedanken und Absichten fortschreitet. Er geistert übrigens auch nach seinem Tod (da geht das Werk noch gut eine halbe Stunde weiter und will und will nicht enden) über die Bühne…
Und da kommt David, mit dem abgeschlagenen Kopf des Goliath in der Hand, erst in Ruderleiberl und Trainingshose, nach und nach immer eleganter im Outfit, bis er am Ende, ganz in Weiß, wie ein strahlender Erlöser dasteht (der er bei Guth, der um die Brüchigkeit von Macht weiß, natürlich nicht sein darf). Schade, dass Jake Arditti nicht nur ein schmaler junger Mann ist (das würde zur Rolle ja passen), sondern auch eine schmale Stimme hat, die nichts vom Reiz und vom Glanz versprüht, die Countertenöre im besten Fall mitbringen. So wird er zum etwas schwächlichen zweiten Zentrum der Geschichte.
Und da sind die drei erwachsenen Kinder von Saul: Anna Prohaska als die schillernd böse, Giulia Semenzato als die sympathische Tochter, beide stimmlich perfekt, dazu noch der unverhohlen homoerotisch agierende Andrew Staples als Jonathan (immerhin darf David später gestehen, dass die Liebe Jonathans ihm wichtiger war als jene der Frauen…).
In mehreren Rollen immer nachdrücklich und interessant ist der brillante, schneidende Tenor von Marcel Beekman. Quentin Desgeorges hat nur eine kurze, dramatische Szene – und einen besonderen Clou hat sich Claus Guth für „the Witch of Endor“ ausgedacht, zu der König Saul hinabsteigt, um den Teufel zu beschwören (wenn Gott ihn schon im Stich lässt): Denn diese Hexe (Ray Chenez) war als servierendes Stubenmädchen die ganze Zeit im Schloß schon da…
Der Arnold Schoenberg Chor kann auch Händel hervorragend, und gleiches muss man höchst anerkennend vom Freiburger Barockorchester und dem Dirigenten Laurence Cummings sagen. Gewiß hat sich Händel hier mehr auf die Feinheiten der Partitur als auf virtuose Kunststücke für die Sänger konzentriert, aber dieses reiche „Spiel“ mit vielen Instrumenten, das hier immer wieder aufhorchen lässt, muss auch zum Tragen kommen: Der Abend klang fulminant. Und das Publikum hatte zu „Saul“ eine Geschichte gesehen, die es – der Beifall war auch in der zweiten Vorstellung sehr stark – offenbar überzeugt hatte.
Bilder (c) Monika Rittershaus
Renate Wagner 20.2.2018