Premiere: 15. November 2018
Ballett von Johan Inger
Dazu der schwedische Choreograph Johan Inger: In meinem Ballett steht nicht allein die weibliche Hauptfigur Carmen im Mittelpunkt der Geschichte. Wie in Prosper Mérimées Original konzentriert sich das Stück auf Don Josés Liebeskummer. Er ist unfähig, den Freiheitsdrang seiner Geliebten zu ertragen und wird getrieben von blinder Leidenschaft und zermürbenden Rachegelüsten.
Interessant für mich waren die dramaturgischen Anspielungen Ingers auf Amor Brujo. Vor allem die Todesboten in schwarz aus der Geisterwelt weisen auf das Ballett von Manuel de Falla hin. Sie erscheinen immer wenn das schlechte Gewissen und die Eifersucht bei Don José überhand nehmen. Dieses Element fehlt im Original von Bizet, da dort vor allem die starke Frau, Carmen, dargestellt wird. Dazu kommt, dass Johan Inger die Wichtigkeit der kurzen Pausen kennt und diese in seiner Choreografie gekonnt einsetzt.
Immer wieder gibt es einen kurzen Stillstand in der Handlung, um die dramaturgischen Effekte zu verstärken. Diese dramaturgischen Verstärkungen hat der Cho-reograf schon in seiner letzten Basler Inszenierung Per Gynt eingesetzt. Auch die Rolle des Beobachters, dargestellt durch ein Kind, vor dem Mord an Zuñiga in weissem Kostüm, nach dem Verbrechen ganz in Schwarz, fehlt im Original von Bizet.
Dazu Inger: Eine Annäherung an das Thema wollte ich mithilfe einer reinen, unberührten Sichtweise zugänglich machen: der eines Kindes. Es ist eine Figur, die uns dazu bringen soll, einer-seits das Geschehen mit unschuldigem Blick zu beobachten, die uns andererseits aber auch dazu zwingt, Zeuge davon zu werden, was die Gewalt wiederum mit diesem Kind macht.
Johan Inger versteht es, in seinen Choreografien Geschichten verständlich und überzeugend zu visualisieren.
Die Musik zum Ballett Carmen, schrieb der russische Komponist Rodion K. Schtschedrin, wobei Anspielungen auf Bizets Original nicht fehlen. Weitere wichtige Musik wurde vom Spanier Marc Alvarez komponiert. Unter der Stabführung von Thomas Herzog läuft das Sinfonieorchester Basel zur Hochform auf und interpretiert die Ballett-Musik emotionell und musikalisch hervorragend.
Eine spezielle Erwähnung im musikalischen Geschehen verdient die Arbeit des Basler Tonmeisters Jan Fitschen. Seine Einspielungen über Lautsprecher waren derart gut gesetzt, so professionell abgeglichen, dass der Unterschied zur Life-Musik des SOB kaum wahrzunehmen war.
Don José, dargestellt/getanzt von Max Zachrisson, überzeugt auf der ganzen Linie. Seine Eifersucht und seine emotionale Unbeherrschtheit werden mit seinem tänzerischen Können für die Zuschaue-rInnen/Zuhörerinnen körperlich spürbar.
Die Rolle von Carmen tanzte Debora Maiques Marin mit überzeugender Emotion, ausgezeichneter Körpersprache, welche ihre Bühnenpräsenz optimal unterstrich. Ihr Wunsch nach Eigenständigkeit, ihr unbändiger Drang nach Freiheit ist zu fühlen und nachzuvollziehen.
Das Kind, eine kleine aber wichtige Rolle in dieser Choreografie, gibt Alba Carbonell Castillo. Sie überzeugt, trotz Lockerheit, mit präziser Tanzkunst.
Als Zuñiga wird Piran Scott von Don José ermordet und den Torero tanzt Javier Rodriguez Cobos. Auch die Leistungen dieser beiden Solo-Tänzer sind über jeden Zweifel erhaben und gefallen gut.
Dramaturgisch hervorragen eingesetzt sind die Arbeiterinnen, dann auch die vier jungen Männer und die Wärter. Alle sind Mitglieder des "Ballett Theater Basel", genau wie die Solotänzer und -Tänzerinnen.
Die Arbeiterinnen: Paige Borowski, Lydia Caruso, Gaia Mentoglio, Annabelle Peintre, Raquel Rey Ramos, Marina Sanchez Garrigós, Dévi-Azélia Selly
Vier junge Männer: Diego Benito Gutierrez, Mirko Campigotto, Jorge García Pérez, Anthony Ramiandrisoa
Wärter: Giacomo Altovino, Florent Mollet
Der lautstarke, langanhaltende Schlussapplaus des zahlreich erschienenen Premierenpublikums belohnt die Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne, die hervorragende musikalische Interpretation des SOB im Dirigat von Thomas Herzog und die Arbeit des ganzen Teams dieser Produktion.
Peter Heuberger 18.11.2018
Fotos © Lucian Hunziker