Zweite Kritik
von Frederick Delius
Besuchte Premiere am 17.01.2015
Langeweile und Banalität
Das Problem des Komponisten Frederick Delius ist in seiner Oper „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ in der ganzen Länge deutlich hörbar: Es war seine Faszination und Offenheit für Kunstströmungen seiner Zeit, einer in der Kultur und Kunst sehr bewegten Zeit. Aufeinander folgten oder vermischten einander Impressionismus – Historismus – Expressionismus – Sezession – Moderne und all das, was man im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert noch finden konnte.
Er, Delius, hat sich nach alledem umgeschaut, und überall fand er etwas, was er eigens verwerten konnte – so der Eindruck. Wagner und Humperdinck lieferten die Erzählweise und märchenhafte Stimmung, Mahler den Pomp, Grieg den Griff in die Volkskultur, Puccini und Strauss das Illustrative, Debussy den Symbolismus, die Verismo-Komponisten das Sozialkritische, die Wiener Schule einen vorsichtigen Blick in Richtung Atonalität. Das Ergebnis dieser Melange sind 100 Minuten Langeweile. Konkreter: 100 Minuten langweiliger Musik mit einigen sich vordrängenden dramatischen Höhepunkten. Man erkennt darin viel Bekanntes, leider aber keine Originalität und Eigenständigkeit, auch keine starke, die Kunst prägende Komponistenpersönlichkeit.
Ich weiß, die Musikwissenschaft sieht – und hört – manchmal anders: Delius‘ Musik zeichne sich durch eine unverwechselbare Harmonik, ein scheinbar unendliches Fließen der Musik und ein dem Impressionismus nahestehendes sensibles Erfassen feinster emotionaler Nuancen aus. Sie sei ein bedeutender musikalischer Ausdruck des Fin de siècle. Ein bestimmendes Element in seinem Schaffen sei die Schönheit der Natur in Anbetracht von Vergänglichkeit, Herbst, Verfall und Verwelken.
Hm, wir sind aber nicht in einem musikwissenschaftlichen Seminar, sondern im Musiktheater Bielefeld. Das Libretto der Oper – entstand nach einer Novelle von Gottfried Keller – hat von der Literaturvorlage die Liebesbeziehung in den Vordergrund gestellt, und das die Keller-Novelle prägende Sujet von sozialen Spannungen auf ein Minimum reduziert. Ohne diesen dramatischen Hintergrund ist die Liebesgeschichte banal, so dass man den Eindruck gewinnt, dass sie eher den Vorwand für den musikalischen Vortrag liefern sollte. Banalität der Handlung gepaart mit Langeweile der Musik versprechen nichts Gutes. Die beiden gut aufgebauten Gruppenszenen (Vrenchens Traumhochzeit und Tanzen auf dem Dorf) sind zwar gelungene Momente der konsequenten Verbindung der Musik, des Inhalts und der Regiearbeit. Aber in dem ganzen Abend ist das nur eine momentane Unterbrechung der Langeweile.
Die Banalität der Liebesbeziehung übernimmt auch die Inszenierung. Das Paar (Sarah Kuffner als Vrenchen und Daniel Pataky als Sali) sitzt zuweilen verloren da, lässt die Musik an sich vorbeiziehen, und… Ja, was und? Warum sie sich dann das Leben nehmen, ist nicht nachvollziehbar. Man weiß es wirklich nicht. Vielleicht um das glaubhaft zu beantworten, schneiden sie sich die Pulsader – nach einem Rettungsversuch vom Schwarzen Geiger (Frank Dolphin Wong) – gleich zum zweiten Mal auf, was der Sache nicht weiter hilft. Man weiß immer noch nicht, warum. Nur weil es so im Libretto stand?… Die Regisseurin Sabine Hartmannshenn hat es nicht vermocht, die Steigerung der Dramatik aufzubauen – es fehlte die sichtbare, spürbare Emotion, eine Explosion der Gefühle, die den Doppelsuizid – wie auch den Besuch dieser Vorstellung – rechtfertigt.
P.S. Die Dramatik des Abends erreichte ihren überraschenden und plötzlichen Höhepunkt beim Schlussapplaus. Zwei Herren haben mit wohl den kräftigsten Stimmen des Abends so ihre Bravo & Bravi geschmettert, als hätte es dafür Geld gegeben.
Jan Ochalski 1.02.15
© alle Photos Bettina Stöß