Bonn: „Asrael“, Alberto Franchetti (Erste Besprechung)

Wieder einmal die Frage gestellt: Wer kennt die Oper Asrael“ oder den Komponisten Alberto Franchetti?

Zumindest letzteren könnte man kennen, denn Kirsten Harms hatte sich als Intendantin in Kiel für Christoforo Colombo“ und an der Deutschen Oper Berlin für Germania“ eingesetzt, von ersterem gibt es eine CD-Aufnahme aus Frankfurt (1991) mit Renato Bruson, letztere ist als Mitschnitt auf DVD erhältlich. Alberto Franchetti stammt aus einer der reichsten Familie Italien, die Mutter war aus dem Hause Rothschild. Nachdem der Vater akzeptiert hatte, dass der Filius nicht in Bankwesen oder Wirtschaft geht, unterstützte er die künstlerischen Ambitionen seines Sohnes; sorgte als Impresario der Oper in Reggio Emilia auch für die Uraufführung (1888) des Opernerstlings seines Sohnes mit reicher Ausstattung. Der große Erfolg des Werkes rief das Haus Ricordi als Verleger für Franchetti auf den Plan und Asrael“ machte erfolgreich (bis 1903) seinen Weg über die Bühnen der Welt, in New York an die MET, in Hamburg unter der musikalischen Leitung Gustav Mahlers. Seine erfolgreicheren Werke jedoch waren die beiden oben genannten, die beliebtesten Werke des Komponisten. Jüdischer Herkunft lebte Franchetti zurückgezogen in Zeiten des Faschismus bis zu seinem Tod 1942 in Italien.

Was macht den Asrael für uns so interessant ? Er stammt aus der Zeit eines musikalischen Vakuums“ in Italien; denn Verdi hatte sich nach Aida“ mit neuen Werken zurückgezogen und ein Thronfolger war noch nicht in Sicht, erst mit der Giovane scuola italiana“, zu der Franchetti mit Puccini, Giordano, Mascagni und Leoncavallo gehörte, hatte die Produktion italienischer Opern wieder eine Richtung. Aus der Zwischenzeit gibt es eigentlich nur drei Werke, die noch regelmäßig, wenn auch selten, auf den Spielplänen auftauchen: Ponchiellis La Gioconda“, Boitos Mefistofele“ und Catalanis La Wally“. Aus dieser Zeit stammt also der Asrael“.

Die Handlung: die Engel Asrael und Nefta waren im Himmel ein Paar, in den Wirren um den Sturz Lucifers geriet Asrael irgendwie unschuldig in die Hölle, Nefta auf der himmlischen Seite. Im ersten Bild erlangt Asrael vom Höllenfürsten die Erlaubnis in Menschengestalt auf Erden aus der unterweltlichen Langeweile, eine Seele dem Himmel zu rauben; Nefta erhält gleichesfalls die Möglichkeit (in Gestalt einer Klosterfrau) in der Welt nach Asrael zu suchen. Im zweiten Akt wiedersteht Asrael dem Blickduell der zauberischen Königstochter Lidoria, um die kalte Frau zurüchzuweisen. Die Roma Loretta verliebt sich in Asrael, Nefta erkennt den Geliebten in der Menschengestalt. Im dritten Akt fühlt sich der gefallene Engel zunächst zu Loretta hingezogen, jene spürt eine Unsicherheit in dieser Liebe und erfährt, durch einen Zauber-/Liebestrank Lidorias den Namen der wahren Liebe Asraels. Dieser Trank entkräftet den Halbdämonen, den Nefta im vierten Akt in einem Kloster pflegt. Das Jahr ist fast abgelaufen, als der gute Engel mit dem Halbdämon um dessen Glauben ringt. In einem spektakulären Schlußbild rettet ein Gebet Asrael, beide Liebenden können in den Himmel aufsteigen. Merkwürdigerweise stürzt das Kloster im Schlusskampf ein und scheint alle Nonnen unter sich zu begraben. Gottes Wille? Leider sind auch die Worte zu diesem hanebüchenem Libretto von Ferdinando Fontana , sagen wir einmal, nicht sehr glücklich.

Die Musik: dazu muß man wissen, dass Franchetti seine kompositorische Ausbildung in München und Leipzig machte, dort ein Bewunderer der deutschen Musik und natürlich auch Richard Wagners wurde. Doch wurde aus der Musik kein Postwagnerianismus, sondern Franchetti amalgamierte deutsche Einflüsse mit italienischem Geist, dazu setzte er ein gutes Quantum an Einfluss der französischen Grand Opera ,(Meyerbeers Robert der Teufel“ vor allem), eine abwechslungsreiche Musik mit höllischen Balletten, himmlischen Heerscharen, historischem Prunk und romantischen Flussufern. Musik , die unterhält, aber die Pappkameraden des religiösen Rührstücks nicht wirklich lebendig macht; mit einer Ausnahme: das leidenschaftlich liebende Romamädchen Loretta wird zu einer menschlichen Figur, eingeführt mit einem koketten Bolero“, führt es zu einem glühenden Liebesduett mit Asrael, wo auch Wagners Tristan“ um die Ecke schielt. Der Rest ist gut gemachte Theatermusik, die eben gut unterhält, aber auch nicht mehr.

Die Aufführung: Christopher Alden hat die unglückliche Aufgabe dem Werk durch seine Regiearbeit Leben einzuhauchen. Weil die Oper A mio padre“, also dem Vater Franchetti, gewidmet ist macht der Spielleiter eine Art Familienaufstellung aus der Zeit der Entstehung daraus. Charles Edwards entwirft dazu eine Art Gründerzeit-puppenstube mit höllischem Kriegskeller und himmlischem Dachboden. Aus den Bassrollen Lucifer/Herzog von Brabant wird ein fieser, kriegstreiberischer Übervater, die Mutter bleibt stumm und darf sich aus Verzweiflung erhängen, um irgendwann wieder aufzutauchen; die drei Frauen sind Schwestern Asraels: Lidoria die Emanze, Loretta die hedonistische Künstlerin und Nefta die Krankenschwester, natürlich alle vom Vater missbraucht, dazwischen Asrael als unverstandener Künstler. Um das Bild zu beleben gibt es viele Möglichkeiten für Statisten (Choreographie: Tim Claydon). Die Sänger stehen sehr oft statisch zum Publikum gewendet und singen. Das ganze Konzept überzeugt mich nicht, weil alles so stereotyp und pseudo wirkt.

Peter Auty hat die anstrengende Aufgabe die tenorale Titelpartie zu geben, er bewältigt seine Aufgaben ordentlich und mit Respekt, aber für mich hat er eine merkwürdige Art zu singen, die Höhe entfaltet sich nicht so richtig und klingt mehlig“, oft werden Töne von unten angeschliffen. Svetlana Kasyan als Nefta singt mit leicht metallischem Sopran beeindruckend, aber auch etwas eindimensional im Ausdruck, was sich auch szenisch spiegelt. Tamara Gura als zauberische Liguria bleibt mit dunklem Mezzo etwas blass, vielleicht liegt es auch an der Partie. Khatuna Mikaberidze als Loretta darf dagegen wirklich einen Charakter gestalten, mit leuchtendem Mezzo zieht sie alle möglich Register und gewinnt auf voller Linie. Pavel Kudinov darf sich als Ekelpaket von Vater einen Wolf spielen und klingt mit voll-tönendem Bass einfach zu gut für diese Negativperson. Hermes Helfricht leitet am Pult des Beethoven Orchesters Bonn sicher durch die eklektische Musik, mehr kann ich darüber nicht urteilen. Die Chöre und Extrachöre der Oper Bonn machen eine richtig gute Figur bei dieser großen Choroper, szenisch hat sie der Regisseur weitestgehend auf den Seitenrang entsorgt.

Was bleibt: es ist gut, dass nicht alle wiederentdeckten Opern Meisterwerke sind. Hier gibt es immerhin eine interessante Musik zu entdecken, die man sicher mit einer Aufnahme sichern und besser beurteilen könnte. Das Werk ist, so glaube ich, durch dieses ungeschickte Machwerk von Libretto verdammt, in den Archiven weiter zu schlummern. Mir viele auch nichts wirklich Interessantes ein, was man aus dieser Handlung an Funken schlagen könnte. Doch hätte es das Theater Bonn nicht gezeigt, so wüßte man es nicht besser. Also, wenn Franchetti, dann Christoforo Colombo“ oder Germania“, denn die haben Aufführungspotential, wie sich in Kiel und Berlin gezeigt hat.

Martin Freitag, 16.10.2022


Alberto Franchetti – Asrael“ / Premiere am 16.10.2022 Theater Bonn

Inszenierung: Christopher Alden

Musikalische Leitung: Hermes Helfricht

Beethoven Orchester Bonn

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