Gefeierter Star des Konzerts des Chamber Orchestra of Europe unter Leitung des jungen Dirigenten Robin Ticciati beim Bonner Beethovenfest war die aus Südafrika stammende lyrische Koloratursopranistin Golda Schultz, die in Kapstadt geboren wurde und noch als Kind die Rassentrennungspolitik Südafrikas erleben musste. Sie feiert als Sängerin große Erfolge weltweit, zum Beispiel an der Metropolitan Opera und bei den Salzburger Festspielen.

Beim Beethovenfest sang sie Summertime aus Gershwins Porgy and Bess, ein Song, in dem Bess die Wirklichkeit durch den Sommermorgen verklärt sieht und vom Flug in bessere Welten träumt. Lost in the Stars von Kurt Weill, der als Jude 1933 nach Frankreich emigrierte und 1935 in die USA, wo er das gleichnamige Musical komponierte, ist eine Reflektion über die Verlorenheit des Menschen in den Sternen. No word from Tom aus Strawinskys Oper The Rake´s progress ist eine der großen Arien, die an Beethovens Leonoren-Arie und Mozarts Felsen-Arie erinnert. Anne Trulove – Nomen est Omen – ist die Verlobte des Wüstlings Tom, die spürt, dass ihr Geliebter in Schwierigkeiten ist, und dass sie zu ihm nach London fahren und ihn retten muss. Schultz eroberte mit ihrer Darstellung der Anne Trulove das Publikum der Metropolitan Opera. Die dreiteilige Arie wird gerne auch als Vorsingstück für dramatische Koloratursoprane eingesetzt, denn sie endet mit einem dreigestrichenen C, und mit ihren dramatischen Stimmungsumschwüngen stellt sie höchste Anforderungen nicht nur an die Gesangstechnik, sondern auch an die Interpretation der Rolle. Mariettas Lied aus Erich Wolfgang Korngolds Oper Die tote Stadt singt Marietta, eine Tänzerin, in der der Witwer Paul glaubt, seine verstorbene Frau Marie zu erkennen. Sie stellt sich als Projektion seiner Sehnsucht nach der Verstorbenen heraus und gipfelt in: „Sterben trennt uns nicht. Musst du einmal von mir gehen, glaub, es gibt ein Auferstehn.“ Korngold wurde als Komponist von Filmmusik in Hollywood weltberühmt. Seine 1920 uraufgeführte Oper Die tote Stadt wurde von den Nationalsozialisten als Musik eines jüdischen Komponisten verboten. Somewhere aus „Westside Story“ des amerikanisch-jüdischen Komponisten Leonard Bernstein thematisiert die Sehnsucht Puertorikanischer Einwanderer nach Integration in den USA und aller Migranten nach einem friedlichen Leben an einem irgendwo gelegenen Ort. Mit diesen Zeilen spricht sie allen Menschen aus der Seele, die ihre Heimat verlassen, weil sie dort aufgrund von Rassismus und Diskriminierung bis hin zu politischer Verfolgung keine Zukunft für sich und ihre Kinder mehr sehen.
Golda Schultz war für mich mit ihrem souveränen Auftritt, was sowohl die musikalische Seite als auch die inhaltliche Interpretation der Aussage angeht, eine Offenbarung, nicht zu reden von der hervorragenden Textverständlichkeit. Ihr Sopran ist in allen Lagen wunderschön timbriert und klingt, auch bei Spitzentönen, niemals schrill. Ihre Verzierungen klingen eher beiläufig und dienen dem dramatischen Ausdruck. Das Orchester zog kongenial mit, und man erlebte fünf hochdramatische Szenen, die unter die Haut gingen und in denen sich der Inhalt der Stücke fokussierte. Dieses Plädoyer für friedliche Integration von Migranten weltweit werde ich so schnell nicht vergessen.
Der russische Komponist und Dirigent Igor Strawinsky verließ 1940 das von den Nationalsozialisten besetzte Frankreich und verlegte seinen Wohnsitz in die USA. Seine größten Erfolge hatte er bereits mit den Ballettmusiken Feuervogel (1910), Petruschka (1911) und mit Le sacre du printemps 1913, die er für die Pariser Ballets Russes von Sergei Djagilew komponiert hat. Seit 1920 wohnte er, auch aufgrund der bolschewistischen Revolution, in Frankreich, wo er als prominenter Vertreter der Neuen Musik, die die Grenzen der Tonalität auflöste und in der Sowjetunion verboten war, als gefeierter Komponist und Dirigent lebte.
Seine Ballettmusik zum Feuervogel war so erfolgreich, dass Strawinsky mehrere Suiten herausgab, die die wichtigsten Szenen enthielten und konzertant gespielt werden konnten. Die Musik ist impressionistisch-lautmalerisch und gibt die märchenhafte Stimmung der Natur wieder, in der das magische Reich des Zauberers liegt, in dem der Feuervogel, ein flirrendes Fabelwesen, gefangen ist. Die Primaballerina, der Feuervogel, bewegt sich zu Musik, die von einfachen Rhythmen und leicht fasslichen Melodien weit entfernt ist. Mit sirrenden, flirrenden Kombinationen von Streichern, Bläsern und Glockenspiel entsteht ein ungeheurer Farbenreichtum im Orchester, der in seiner Opulenz dem Jugendstil in der Malerei entspricht. Effekte werden häufig im Zusammenspiel mehrerer Instrumentengruppen erzielt.
Diese Ballettmusik, bei der auch die Primaballerina der Uraufführung, Tamara Karsawina, einfache Melodien und leicht zu tanzende Rhythmen vermisste, wurde im Konzert kontrastiert mit Beethovens 1814 uraufgeführten 8. Sinfonie in F-Dur, die genau das im überreichen Maß besitzt. Sie ist Beethovens Hommage an den Erfinder des Metronoms, Johann Nepomuk Mälzel, der das mechanische Metronom, das mit einer einstellbaren Schlagzahl pro Minute zur rhythmischen Disziplin erzieht, erfunden hat. Beethoven hat mit dem Thema des zweiten Satzes einen beliebten Kanon komponiert, den ich noch in der Schule gelernt habe, mit einer einfachen Melodie und klarem Rhythmus. Darüber hinaus hat Beethovens 8. Sinfonie, die eine knappe halbe Stunde dauert und im Schatten seiner dritten, fünften und neunten Sinfonie steht, einen eher heiteren Charakter. F-Dur gilt als „Pastoraltonart“, was auf einfache Hirtenmelodien und Naturnähe hinweist. Aber auch hier liefert Beethoven im 4. Satz eine veritable Fuge, die das Schema der klassischen Sinfonie komplettiert.

Nach dem klaren und rhythmisch besonders akzentuierten Beethoven hatte ich Mühe, mich nach der Pause mit Strawinskys flirrenden Klängen anzufreunden, zumal mir die Bebilderung der Balletthandlung des Feuervogels durch Bühnenbild und Tanz fehlte, war aber fasziniert vom ungeheuren Farbenreichtum der Musik, die das Orchester präsentierte. In der Regel kommt Beethoven bei klassischen Konzerten immer am Schluss.
Das Chamber Orchestra of Europe, ein frei finanziertes Orchester mit rund 60 festen Musikern, spielte unter der Leitung des jungen Dirigenten Robin Ticciati die letzte Fassung, die Strawinsky 1945 mit 12 von 18 Tanznummern als Suite herausgab, und zeigte in der rhythmischen Präzision, mit der es Beethoven spielte, aber auch in der facettenreichen Farbigkeit, mit der es die impressionistische Musik Strawinskys präsentierte, dass es zu Recht in der ersten Liga spielt. Nicht zu reden von seiner Funktion als Opernorchester, das die Solistin perfekt begleitete.
Als Bonnerin bin ich dem Intendanten Steven Walter dankbar, dass er beim Beethovenfest internationale Klangkörper präsentiert. Als Besucherin bin ich dankbar für den Denkanstoß, den er mit der Programmgestaltung gegeben hat, nämlich den Kontrast zwischen Wiener Klassik, zu der Beethoven ja gerechnet wird, obwohl er das Tor zur Romantik weit aufgestoßen hat, und der Hochromantik eines Strawinsky mit der Auflösung der üblichen Regeln zu Beginn der 20. Jahrhunderts greifbar zu machen. Aber am meisten beeindruckt mich die politische Botschaft: „There’s a place for us“, die Hoffnung, dass wir eine friedliche Welt schaffen können, wenn wir Rassismus und Diskriminierungen aller Art überwinden.
In den nächsten vier Wochen wird das Beethovenfest mit viel hochkarätiger Kammermusik, mehreren Ballettabenden und einem vielfältigen Programm an mehr als 20 Spielstätten fortgesetzt.
Ursula Hartlapp-Lindemeyer, 7. September 2025
Besonderer Dank wieder an unseren Kooperationspartner Das Opernmagazin
George Gershwin: »Summertime« aus der Oper »Porgy and Bess«
Kurt Weill: »Lost in the Stars« aus dem gleichnamigen Musical
Igor Strawinsky: »No Word from Tom« aus der Oper »The Rake’s Progress«
Erich Wolfgang Korngold: »Mariettas Lied« aus der Oper »Die tote Stadt« op. 12
Leonard Bernstein: »Somewhere« aus dem Musical »West Side Story«
Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 8 F-Dur op. 93
Igor Strawinsky: »Der Feuervogel«. Ballettsuite für Orchester (1945)
Beethovenfest Bonn 2025
Oper Bonn
30. August 2025
Golda Schultz, Sopran
Dirigent: Robin Ticciati
Chamber Orchestra of Europe