Bonn: „Columbus“, Werner Egk

© Bettina Stöß

Beim Namen des Komponisten Werner Egk beschleicht den Kenner immer ein unbestimmtes Gefühl der Unsicherheit. Auf der einen Seite schrillen die Alarmglocken, da der 1901 geborene Komponist sich mit den Nazis gut stellte, auf der anderen Seite weiß man auch um seine zahl- und erfolgreichen Werke, die in den 1950er Jahren noch oftmals zur Aufführung kamen und dann nicht mehr einem modernistischen Zeitgeist entsprachen und in der Bedeutungslosigkeit verschwanden. Egk selbst wurde von den Größen des Regimes wie Hitler oder Goebbels bewundert, engagierte sich in der Reichsmusikkammer, bezeichnete sich nach dem Krieg aber selbst als glühenden Antifaschisten und vertrat den Standpunkt, dass durch seine Kunst nie ein Mensch zu Schaden gekommen sei. So bleibt ein ambivalenter Eindruck zu einem Menschen, dessen Werk bestens in die nun abgeschlossene Reihe „Fokus ´33“ des Theater Bonn passt.

Egks Columbus, mit dem Untertitel „Bericht und Bildnis“ versehen, wurde im Juli 1933 als Rundfunkoper uraufgeführt, bevor 1942 eine szenische Erstaufführung in Frankfurt folgen sollte. Dem Genre der Rundfunkoper, als für die damalige Zeit progressive Kunstform, haften einige Besonderheiten an, wie etwa die Einführung von erläuternden Sprecherfiguren, eine Komposition hin auf eine enorme Textverständlichkeit und eine nicht zu komplexe Dramatik – das Werk sollte eben vor dem Volksempfänger gut zu verstehen sein. Interessant ist dabei auch, dass Egk dem Werk einen dokumentarischen und durchaus kritischen Duktus im Hinblick auf die Figur des Christoph Columbus verlieh, den die Bonner Inszenierung vortrefflich aufgreift. Egk, der auch sein eigener Librettist war, verklärt Columbus nicht, macht ihn nicht zum Heiligen, sondern zeigt sehr wohl den Sturz dieser Figur, der bettelnd von Hof zu Hof zieht, bis er Unterstützung für sein Projekt findet, der aber stürzt, als das versprochene Gold nicht in Europa ankommt, und dessen Entdeckung unendliches Leid über die Ur-Bevölkerung Südamerikas brachte. Sklaverei, Folter, Brandschatzung und barbarisches Verhalten der Eroberer werden dokumentiert.

Die Musik Egks folgt überwiegend einer Tonalität, die sich Neo-Klassizismen verschreibt, die ihre Anklänge bei Stravinsky findet, die aber auch in der Wucht der Chorpassagen an Orffs Carmina Burana erinnert. In den großen, massiven Tableaus dominieren immer wieder perkussive Rhythmen, greifen große Effekte und schlagen mit Wucht in Richtung des Zuhörers. Der üppig besetzte Chor verleiht dem Werk immer wieder oratorienhaften Pathos, die wenigen Protagonisten haben dagegen nur kurze dramatische Passagen, die beinahe von kontemplativer Natur sind, um dem Berichthaften des Stücks auch auf Bildnisebene gerecht zu werden.

© Bettina Stöß

Man kann sicherlich noch viel über Egks Musik und die historische Dimension des Werkes sprechen, aber es soll natürlich auch ein Blick auf die Bonner Produktion geworfen werden, die – das sei so pauschal vorweggenommen – ein Erlebnis ist. Regisseur Jakob Peters-Messer lässt sich von der komplizierten Struktur des Werkes nicht abschrecken. Er baut große Tableaus, wo diese gefordert sind, er zeichnet Figuren, wie man sie versteht. Sein Columbus ist nicht der heroische Reisende, er ist ein Suchender, ein Unsicherer, vielleicht auch wirklich der Narr, als der er immer wieder im Werk tituliert wird. Die Regie nutzt zum Spiel den gesamten Saal des Opernhauses und gerade dieser Kunstgriff und der stimmige Einsatz von Videos gibt dem Stück eine berührende Unmittelbarkeit. Dabei entwickelt die Regie die Handlung logisch und nachvollziehbar, zeigt den Weg hin zur Entdeckung Amerikas und zeigt am Ende aber auch klar und eindringlich die tragischen Auswirkungen des Kolonialismus, zeigt auch den gegenwärtigen Umgang mit dem Erbe des Columbus und den Sturz der kolonialen Säulenheiligen. Sebastian Hanak hat hierfür einen spannenden Bühnenraum entworfen, der das Orchester keinesfalls aus Verlegenheit auf der Bühne positioniert, sondern es dezent im Zentrum eines vermeintlichen Tempels positioniert und die Handlung, die fast überwiegend auf dem hochgefahrenen Orchestergraben spielt, nah an das Publikum, ja in den Saal hinein holt. Das Königin Isabella versprochene Gold ist omnipräsent, scheint aber nie greifbar, Fragmenten indigener Kunst wird europäischer Pomp entgegensetzt. Sven Bindseils Kostüme lassen Chor und Columbus immer wieder an Forscher erinnern, Menschen auf Expedition in verhaltenen Beige-Tönen, denen Klerus und Adel in plakativen Goldroben gegenüberstehen.

© Bettina Stöß

Die Darsteller liefern eine exzellente Leistung, allen voran Giorgos Kanaris, der die Zerrissenheit der Titelfigur vortrefflich verkörpert, der stimmlich mal mit Kraft, mal mit lyrischen Momenten zu überzeugen weiß. Als Königspaar sind Santiago Sanchez mit strahlendem Tenor und Anna Princeva als Königin mit viel Dramatik in der Stimme eine vortreffliche Besetzung. Auch die weiteren kleinen Gesangspartien sind allesamt hervorragend besetzt. Bernd Braun und Christoph Gummert vermögen als Erzähler ebenfalls zu überzeugen. Die vielleicht größten Stars des Abends sind Chor- und Extrachor des Theaters Bonn, die den immensen Chorpart mit einem ausgewogenen und homogenen Klangbild meistern. Die Massen spielen engagiert, entfalten die Wucht und die Macht der Partitur, klingen aber auch in den leisesten Piani makellos, und trotz der ungewohnten Positionierung des Dirigenten im Rücken der Sänger wird mit größter Exaktheit gesungen. Hermes Helfricht am Pult des Bonner Beethoven-Orchesters interpretiert Egks Partitur vortrefflich. Er gibt den großen Momenten viel Raum, lässt sie wuchtig klingen, lässt das Schlagwerk wummern und versteht es genau, auch die kammermusikalischen Momente des Werkes zu interpretieren, weiß, wie er das Lyrische zart und luzide erklingen lassen muss.

© Bettina Stöß

Der Oper Bonn ist mit Columbus erneut ein Coup abseits des Mainstreams gelungen, der musikalisch wie szenisch voll und ganz zu überzeugen vermag und behutsam, aber doch nachdrücklich die Aktualität dieses Werkes unterstreicht. Die musikalische Seite ist ein dringendes Plädoyer, die Werke Egks aus der Versenkung zu holen und die Leistung des Komponisten differenzierter zu betrachten. Wie bei allen Werken der Reihe „Fokus 33“ bietet die Bonner Oper, neben einer kleinen Ausstellung im Foyer, auch wieder ein umfassendes und hochinteresssantes Programmbuch, dass eine außerordentliche Erwähnung wert ist.

Bemerkenswert war zudem, dass die teuren, vorderen Plätze nur sehr dünn besetzt waren, sehr wohl aber die günstigeren Preisgruppen mit vielen, jungen Zuschauern gefüllt waren. Vielleicht auch ein Hinweis an andere Häuser, dass die Zauberflöte nicht das einzige Mittel ist, um den Saal zu füllen und junge Menschen für Oper zu interessieren.

Sebastian Jacobs, 23. Juni 2024


Columbus
Werner Egk

Theater der Bundesstadt Bonn

Premiere: 16. Juni 2024
Besuchte Vorstellung: 22. Juni 2024

Inszenierung: Johann Peters-Messer
Musikalische Leitung: Hermes Helfricht
Beethoven-Orchester Bonn

Trailer: https://vimeo.com/961353922