Bonn: „Die blaue Sau“, Anno Schreier

Wie konzipiert man eine erfolgreiche Familienoper? Indem man richtige Opernsänger, das echte Beethovenorchester und den Opernchor der Bonner Oper in einem Stück auftreten lässt, in dem Kinder die Helden sind und magische Kräfte entwickeln. Es muss bildstark sein, gut gesungen und gespielt und nicht länger als eineinviertel Stunde. Das war bei der Welt-Uraufführung der „Blauen Sau“ in Bonn der Fall. Das Wichtigste aber war die wundervoll abwechslungsreiche und spannende Musik von Anno Schreier.

© Bettina Stöß

Die Oper Bonn war am 22. Mai 2025 um 11:00 Uhr bis auf den letzten Platz ausverkauft. Schulklassen von Grundschulen, Gesamtschulen, Gymnasien, Hauptschulen und sogar von einer Förderschule mit drei Rollstuhlfahrenden waren mit ihren begleitenden Lehrerinnen und Lehrern in die Bonner Oper gekommen, um die spannende Geschichte um die Rettung der blauen Sau zu erleben. Theaterpädagoginnen hatten vorher in Workshops mit den Klassen den Besuch vorbereitet. Am Schluss bekam jede Klasse ein Poster mit den Autogrammen der Sängerinnen und Sänger.

Mit fantastischen Bildern und Metaphern ist die Handlung illustriert, wie Video-Einspielungen in Comic-Optik, eine Zeitreise, das Schwebeland, die blaue Sau als Kraftzentrum, das Energie spendet und das rote Waldvöglein. Am Anfang sah man die blaue Sau inmitten von Dreiecken, die im Drei-Viertel-Takt tanzten und strengen Quadraten, die zeitgleich im Stechschritt marschierten zu einem Chor aus dem Off in einer Videoprojektion von Gretchen fan Weber fortschweben. Comic-Elemente in Video-Projektionen zogen sich durch das gesamte Stück und ermöglichten, den Flug in den Weltraum zu zeigen. Sprechblasen mit „Wham“ oder „Crash“ findet man in der Oper sonst eher selten. Das Bühnenbild von Ansgar Borsody zeigte einen gelb gestrichenen Schulhof mit variablen Kletterelementen.

Die bunten Kostüme der Kinder und der Fantasiefiguren in klaren Farben schuf Sven Bindseil. Die vier Helden werden alle gemobbt: Hannah (Katerina von Bennigsen) nehmen Kinder ihren Roller weg, Natan (Carl Rumstadt) wird wegen seiner Mütze ausgelacht, Aziza (Charlotte Quadt) hat Hunger, weil sie nicht genug zu essen hat und bekommt vom Anhalter einen Pfannekuchen geschenkt, und Otto (Santiago Sánchez) wird von den bösen Mädchen nicht mit unter das Regendach gelassen und mit Handys gefilmt und verspottet. Ein Blitz verleiht ihm magische Kräfte, und die anderen drei helfen ihm gegen die Widersacherinnen.

© Bettina Stöß

Der Anhalter (Mark Morouse), der die Zeit anhalten und sogar zurückdrehen kann, spricht die vier an: Die blaue Sau sei verschwunden, vermutlich hätten böse Menschen sie entführt. Er schickt die vier mit einem Raumschiff auf die Suche nach der blauen Sau. Beim Zusammentreffen mit Käpt´n Flughörnchen (Rinnat Moriah), Giganta (Romina Boscolo), Dampfflammator (Ralf Rachbauer) und Robomat Drilling (Juhwam Cho) und ihren Anhängern verhalten sich die vier Helden jedoch sehr klug: sie sprechen mit den Tatverdächtigen, und es stellt sich heraus, dass es der Anhalter ist, der scharf auf das Fett der blauen Sau ist, die er schlachten will. Gemeinsam holen sie die blaue Sau wieder nach Hause und entlarven den Anhalter als Bösewicht.

Das Libretto von Jürgen R. Weber alias Oberst Grubert glänzt durch Wortwitz und zeugt von überbordender Fantasie mit kühnen Ausbrüchen aus der Realität wie einer Zeitreise in die Zukunft, bei der die Kinder zu erwachsenen Ausgaben ihrer selbst werden. Es gibt erwachsenen Opernfans interessante Zitate zu raten. So kommt zum Beispiel ein rotes Waldvöglein per Projektion auf die Bühne, aber statt mit den Kindern zu reden, bläst es sich auf und platzt mit lautem Knall. Etwas zu kurz kam der große Spannungsbogen. Bis zum großen Aufbruch in den Weltraum wirkte alles etwas wie aneinandergereihte Episoden, die zwar bildstark illustriert waren, aber letzten Endes keinen erkennbaren Zusammenhang hatten. Der erschloss sich erst am Schluss, als die Kinder mit den Monstern kämpften und die blaue Sau befreiten. Eine entführte Person wie Pamina hätte vermutlich mehr Empathie erzeugt. Regisseurin Yaroslavia Kalesidis choreografiert die Chorszenen, in denen das Mobbing der Helden gezeigt wird, sehr anschaulich: Das Mobbing-Opfer gegen eine übermächtige homogene Gruppe. Mit diesen Szenen können sich Kinder ab acht Jahren gut identifizieren. Auch die Entlarvung des Anhalters als eigentlichem Bösewicht fanden sie nur gut.

Die Erwartung, einen würdigen Herrn mit Frack zu sehen, der das farbenprächtige Beethoven Orchester leitet, wird von der 1997 geborenen jungen Dirigentin Mareike Jörling im schwarzen T-Shirt gründlich konterkariert. Musikalisch wandert Komponist Anno Schreier souverän zwischen Mozart, Händel, Verdi, Philipp Glass, Jazz und Pop und liefert am Ende sogar eine waschechte (Kampf-) Fuge. Es gibt viele stilistische Elemente einer Oper: Der (Zeit-)Anhalter ist ein Bass-Bariton, der sich, begleitet von Cembalo und Trompete, in Form von Barock-Arien äußert. Schnell hatten die Schulkinder spitz, dass man nach jeder solche Arie applaudiert. Der Chor der Dreiecke und Vierecke um die blaue Sau ist greifbar polyphon, weil in zwei Taktmaßen gleichzeitig gesungen wird. Otto, der Tenor, wird durch lateinamerikanische Rhythmen charakterisiert und bringt das Publikum sogar zum Mitklatschen. Hannah, die Operndiva, singt beim Schweben immer höhere Töne und zitiert virtuos Phrasen aus Koloraturarien von Mozart. Die Szene, bei der sie im Schwebeland auf immer höheren Wolken immer höhere Töne sang, fanden die Kinder faszinierend. Aziza, die Mezzo-Sopranistin, singt ein Regen-Lied, das ein Phänomen beklagt, das alle kennen: Dauerregen. Hannah, die Koloratur-Sopranistin, intoniert einen Gummi-Gummi-Song, der wie der Regen-Song Chancen hat, ein Kinderlied zu werden. Auch Otto und Natan haben ihren Auftritts-Song.

Es war eine großartige Ensembleleistung, bei der eine große Spielfreude rüberkam. Neben zwei weiteren Schulvorstellungen am Vormittag, bei denen die Gruppenkarten nur 6,00 € pro Kind kosten, gibt es noch zwei Familienvorstellungen, bei denen die teuersten Karten im Vorverkauf 32,90 € kosten, Kinderkarten die Hälfte. Es ist auch für Erwachsene ein veritables Vergnügen, dieses fantastische Feuerwerk an Einfällen, das so gar keine Ehrfurcht vor der Kunst der Oper kennt, zu genießen. Die Produktion ist eine Koproduktion mit der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg, dem Theater Dortmund und der Theater und Philharmonie Essen im Rahmen der Reihe Junge Opern Rhein-Ruhr.

Ursula Hartlapp-Lindemeyer, 29. Mai 2025


Die blaue Sau
Musik von Anno Schreier

Theater Bonn

Welturaufführung
22. Mai 2025

RegisseurinYaroslavia Kalesidis
Musikalische Leitung: Mareike Jörling
Beethoven Orchester 

Trailer