Kann man das spielen?
Es gibt Opern mit deren Wiederaufführung man nicht gerechnet hätte, weil sie innerhalb ihrer Rezeption so sehr speziell sind, wie zum Beispiel Giacomo Meyerbeers "Ein Feldlager in Schlesien" (Singspiel in drei Akten in Lebensbildern aus der Zeit Friedrichs des Großen). Dieses patriotische Singspiel wurde 1844 zur feierlichen Wiedereröffnung der Berliner Hofoper, nach ihrem Brand, mit lebenden Bildern des preussischen Staates uraufgeführt. 1847 als "Vielka" zu einer durchkomponierten Oper in Wien wiederbelebt, 1854 werden für Paris große Teile in "L étoile du Nord" übernommen. Keines davon gehört zu den ganz großen Erfolgen Meyerbeers, doch bei Aufführungen hört man aus zeitgenössischen Quellen von Begeisterung reden. Immerhin stammt das Werk aus der großen Schaffenszeit des Komponisten, und befindet sich zeitlich zwischen den "Hugenotten" und dem "Propheten". Auch in Berlin stand das eigentliche Singspiel, manchmal auch nur in Teilen, über mehrere Dekaden auf dem Spielplan, und war besonders für Staatsbesuche ein Vorführspektakel. Als Librettist galt offiziell der Literat Ludwig Rellstab, der doch lediglich das Libretto von Eugene Scribe übersetzte, man wollte bei einem patriotischen Anlass halt keine "Ausländer" beteiligt sehen. Meyerbeer übernahm den ehrenvollen Auftrag zum einen, weil er der preussische Generalmusikdirektor war, zum anderen, weil der Stammsitz der Familie Meyer Beer in Berlin war. Amüsante Randnotiz: das Libretto wurde sogar dem preussischen König unterstellt. Man sollte also meinen, das eine Wiederaufführung an der Berliner Staatsoper unter den Linden passiert; doch weit gefehlt die Bonner Oper hat das Werk im Rahmen von "Fokus`33" auf den Spielplan genommen. Hier sei allerdings auch die Frage gestellt, was die Oper mit dem Jahr 1933 verbindet? Schließlich, was überhaupt für das Oeuvre Meyerbeers gilt, verschwanden die Werke schon um 1900 aus dem eigentlichen Repertoire, was erst recht für das "Feldlager" gilt. Am ehesten vielleicht das Verbot Meyerbeers als jüdisch stämmigem Komponisten durch die Nazis.
Das Singspiel hat nicht die zeitlichen Dimensionen von Meyerbeers Grand Operas, sondern drei nicht überlange Bilder; auf die patriotischen Traumbilder hatte man in Bonn dann doch verzichtet. In einem Landhaus in der Nähe des Krieges lebt der emeritierte Hauptmann Saldorf mit seiner Nichte Therese und seiner romastämmigen Pflegetochter Vielka, deren Verlobte Leopold (Therese) und der Musiker Conrad (Vielka), ersterer ist preussischer Offizier und taucht szenisch nicht auf, zweiter will nach Berlin arbeiten. Als Conrad durch das Schlachtgebiet will, trifft er, unter einer Brücke versteckt, einen preussischen Offizier mit Windhund, der von seiner Truppe abgeschnitten wurde. Ja, Sie vermuten richtig, es ist der preussische König, der mit einem Kleidertausch durch die Linien gerettet wird, während Conrad als Friedrich II. von den feindlichen Soldaten verhaftet wird. Vielka darf die , es sind ungarische Panduren, Soldaten noch durch Wein, Wahrsagerei und Koloraturen ablenken. Friedrich der Große, darf als preussischer Nationalheros nicht auf der Bühne erscheinen, so hört man ihn nur "offstage" Flöte spielen.
Das zweite Bild gilt dem Titel der Oper: lustiges Lagerleben mit Tanz und Gesang, bis die vermeintliche Saga des gefangenen Friedrich, durch Saldorf verraten, demoralisierend, alle verwirrt. Als Saldorf auch noch eintrifft droht ihm Lynchjustiz, doch die Gerüchte werden entkräftet. Der alte Soldat befeuert durch eine herzhafte Ansprache die mannhaften Krieger gegen den Feind.
Das dritte Bild spielt nach der für Preussen erfolgreichen Schlacht im Schloss Sanssouci in Potsdam, dorthin wurde die Familie Saldorf bestellt. Es gibt noch etliches zögerliches Hin und Her mit dem zu belohnenden Conrad, so wird der fälschlicherweise bezichtigte Leopold (, der nie auftaucht,) vom Tode gerettet werden, Conrad selbst erhält eine Anstellung bei der Hofmusik, Vielka darf (mit Koloraturen) und zwei Flöten (eine dabei von Alten Fritz selbstmündig "offstage" geblasen) konzertieren und prophezeit (Wahrsagerei!) Preussen eine rosige Zukunft. Soweit meine etwas flapsige Inhaltsangabe.
Kann man in unserer Zeit noch so ein patriotisches Zeug spielen, mit unserer Zeit, meint die Zeit des Ukraine-Krieges, in der von allen Seiten, sei es gerechtfertigt oder nicht, wieder patriotisch mit dem Säbel gerasselt wird. Diese Frage stellt sich natürlich auch das Produktionsteam um den Regisseur Jakob Peters-Messer. Das Ergebnis mag ein bißchen schockieren, denn man spielt das Stück einfach vom Blatt, natürlich nicht im realistischen Set, sondern Sebastian Hannak baut eine verfremdete Bühnenszenerie und der Schauspieler Michael Ihnow spricht den Großteil der Texte, bei einem Singspiel gibt es schließlich Sprechtexte, als eine Art Chronist, der auch Scheinwerfer einrichtet oder mit einer Videokamera die Bühnensituation verfremdet. Sanssouci schwebt im dritten Bild, wie ein barocker Traum, auf der Bühne. Sven Bindseils Kostüme verankern in der historischen Zeit. Inmitten der patriotischen Vorgänge wird der Brief eines Soldaten aus dem schlesischen Krieg vorgelesen, der das Schlachtengrauen auf Realitätsbezug bringt und damit den patriotischen Pomp gegen die Mauer fährt. Überhaupt bildet das zweite Bild eine Zäsur, denn das Feldlager findet mitten im Zuschauerraum statt, nach der ersten Pause wird ein Teil des Publikums auf die Bühne gesetzt. So befindet man sich auch akustisch mitten im Geschehen. Meyerbeer hat hier absolut überrumpende Qaudrupelchöre geschrieben und die räumlichen Möglichkeiten von Bühnen- und Fernmusik werden in dieser Aufführung auf`s Beste ausgeschöpft..
Überhaupt, die Musik, Meyerbeer hat das Singspiel in einem, für ihn, sehr kurzem Zeitrahmen von etwa einem Jahr komponiert, dabei kam eine sehr abwechslungsreiche Musik auf kompositorisch sehr hohem Niveau zustande, über den patriotischen Teil, außer den finalen Traumbildern, habe ich schon geschrieben, doch die beiden Rahmenakte unterlaufen den preussischen Prunk nahezu: denn sie haben die damals sehr populäre Opera Comique a la Auber oder Boieldieu zum Vorbild, das bürgerliche Rührstück steht Pate. Unterhaltung bleibt der Garant, sei es die bezaubernde Ensemblekunst, der semikomische Zuschnitt mancher Szene, die pittoresken Chortableaus oder das bekannteste Stück: Vielkas Koloraturszene aus dem dritten Akt mit den zwei konzertierenden Flöten;übrigens ein Paradestück solcher Sangesdiven wie Jenny Lind oder Henriette Sonntag. So werden gleichsam zwei Genres bedient. Zum zweiten ist die eigentliche Heldin keine Preussin, sondern das "Zigeuner-"mädchen Vielka, die durch Charme, Gewitztheit und gesunden Menschenverstand die preussischen Felle ins Trockene bringt und ihrem etwas dümmlichen Bräutigam die rechten Entscheidungen eingibt.
Auch in Musikalischen zeigen sich die Kollektive der Oper Bonn an erster Stelle der Beteiligten, der Chor in den komplexen Quadrupelchören und szenischen Positionierungen des Feldlagers, das Orchester mit seinen wunderbaren Soloflötistinnen (Mariska van der Sande und Julia Bremm). Hermes Helfricht hatte die Derniere von GMD Dirk Kaftan übernommen und sicher durch sämtliche musikalischen Klippen gesteuert, lediglich die französischen Opera-Comique-Anteile hätten noch etwas mehr Leichtigkeit und Esprit benötigt. Meyerbeer hatte für die großen Bühnen und besten Sänger seiner Zeit komponiert; die finden wir an der Oper Bonn nicht, aber zumindest ein gutes Gesamtniveau. Elena Gorshunova bestreitet die Hauptpartie der Vielka sauber und ordentlich, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Ihr nicht allzu großes Sopranvolumen geht in der unteren und mittleren Lage etwas unter, der hohe Koloraturteil ist solide, mir persönlich fehlt es für die Partie einfach an der nötigen vokalen Brillianz. Barbara Senators Therese punktet da schon allein durch sattes, lyrisches Soprantimbre . Tobias Schabel singt mit etwas knorrigem Bassbariton passend den liebenswerten, alten Krieger Saldorf. Jussi Myllys hat die schwierige Aufgabe einen , für mich, unangenehmsten Charaktere zu geben, denn der Verlobte Conrad hat nicht nur seine Dummheit und unangenehme Egozentrik gegen sich, eine übermäßige Furchtsamkeit verbunden mit zögerlichem Zaudern, macht es auch nicht besser. Gesanglich leistet Myllys Beachtliches, denn die Partie hat eine recht hohe Tessitur, halt französische Comique wie der "Postillion von Lonjumeau". Der Tenor hat zudem noch ein leicht heroisches Timbre, was die Figur eher aufwertet. Martin Tzonev als Tronk gefällt durch seinen charakteristischen Bass zunächst als Ulanenhauptmann, dann vom König als Bedienter nach Potsdam übernommen. Die Nebenfiguren gestalten auf Augenhöhe des Ensembles.
Für mich hat sich der kurzweilige Abend(vier Stunden mit zwei Pausen) sehr gelohnt. Meyerbeers beachtliche Musik rechtfertigt eine Aufführung, zumal sich die Szene gut aus der schwierigen Affaire rettet. Die Publikumsreaktion sagte `d accord. Mein persönlicher Wunsch nach einer Aufnahme des auf Tonträger nicht vorhandenen Werkes bleibt vorhanden. Besondere Erwähnung noch des ausgezeichneten, umfangreichen Programmheftes, wie auch bei Franckensteins "Li-Tai-Pe". Eine wirklich bereichernde Lektüre bei diesen wirklich unglaublichen Raritäten. Nächste Saison kann man in Bonn dann im "Fokus `33" dann Weills "Mahagonny", Franchettis "Asrael" und Schrekers "Der singende Teufel" erleben, dazu kommt noch eine Übernahme von Giordanos "Siberia" von den Bregenzer Festspielen; ich hoffe, ich kriege das in meinem Terminkalender unter.
Martin Freitag, 31.5.22