Premiere am 24.02.2018 besuchte Aufführung: 04.03.2018
Abstruser geht es kaum
Schon einmal hat Armin Petras für das Bremer Theater ein gewichtiges Werk der Weltliteratur zu einem Stück für die Bühne bearbeitet. 2014 war es „Anna Karenina“ von Leo Tolstoi, diesmal ist es der Roman „Die Wahlverwandtschaften“ von Johann Wolfgang von Goethe. Damals wie heute lieferten die Komponisten Thomas Kürstner und Sebastian Vogel die Musik dazu. Was bei „Anna Karenina“ wenigstens in Ansätzen gelungen war, erwies sich bei den „Wahlverwandtschaften“ allerdings als langweiliges Fiasko. Das liegt weniger an der Musik, die zwar alle möglichen Stilrichtungen plündert, die aber ihre begleitende und kommentierende Funktion erfüllt und mit apart konstruierten Klängen punktet, die von machtvollen Clustern und Klangfetzen bis zu kammermusikalischer Feinheit reichen. Eingestreut sind Anlehnungen an „Pop-Songs“, ein tieftrauriges Lamento und am Ende eine intensiv berührende Arie. Clemens Heil am Pult der in Freizeitkleidung und kleiner Besetzung spielenden Bremer Philharmoniker setzt diese Musik mit offensichtlicher Spielfreude um und sichert der zweistündigen Aufführung ihre Erträglichkeit.
Denn von Goethes „Wahlverwandtschaften“ ist außer der Grundkonstellation von zwei Paaren, die an ihrer Beziehung zweifeln und sich „über Kreuz“ orientieren, nicht viel geblieben. Auch die Namen Eduard, Charlotte und Otto der handelnden Personen wurden übernommen (wobei aus Ottilie hier der unreife Teenager Tilly wird), während ihre Stellung in der Gesellschaft völlig geändert wurde. Armin Petras hat das Stück „überschrieben“ und das Ergebnis ist eine unsägliche Ansammlung von Banalitäten. Hier Goethe als Autor Goethe zu bemühen, grenzt an Etikettenschwindel. Textpassagen wie „Lasse ich mir meine Brüste machen oder vielleicht den Hintern“, „Ich lasse mich scheiden – Geht nicht, wir sind nicht verheiratet – Scheiße, hab ich vergessen“ oder die Diskussion über den Preis von Badehosen sind nur kleine Bespiele für den „Tiefsinn“ dieser Textfassung. Zudem wird ständig und unmotiviert zwischen deutscher und englischer Sprache gewechselt. Eine überflüssige Zumutung für den Zuschauer. Der Ansatz, die Brüchigkeit von Beziehungen, den Sinn des Lebens und speziell die individuelle Bedeutung von Glück zu hinterfragen, ist zeitlos und hätte durchaus spannend sein können. Aber wenn es so platt herüberkommt wie hier, dann ist praktisch alles verschenkt. Fast unerträglich die Auslassungen der hinzuerfundenen Figuren Wolfgang und Christina: Er hält mit aufgesetztem Pathos einen Monolog über Ehe und die Lust auf andere Partner, sie über das Glück und die Langweile eines ewigen Paradieses.
Die Regie von Stephan Kimmig verstärkt obendrein die Defizite des Abends. Er hat die Handlung wie ein Experiment angelegt. Schauplatz ist ein Partyzelt, auf dessen Wänden laufend Videos von Menschen im Wasser und unter Wasser zu sehen sind (Bühne von Katja Haß). Die Figuren können kaum Profil entwickeln, und ergehen sich oft in zuckenden und zappelnden Bewegungen. Charlotte und Otto trommeln wie besessen mit Bestecken auf dem Küchentisch oder präsentieren immer neue Bademoden. Tilly (unten herum nackig) lässt Eduard in seinem albernen Kleidchen Zirkuskunststücke vorführen, klettert an den Zeltstangen herum oder begleitet sich selbst bei einigen Songs am Klavier. Abstruser geht es kaum, seelische Sinnfragen werden mit vordergründiger Pseudo-Philosophie und einer merkwürdigen Vorstellung von groteskem Humor erschlagen.
Gleichwohl sind besonders die Leistungen von Nadine Lehner als Charlotte und Patrick Zielke als Eduard aus der Opernsparte hervorzuheben. Lehner setzt ihren wandlungsfähigen Sopran punktgenau ein und beeindruckt besonders in ihrem Schlussgesang. Ihre Bühnenpräsenz ist auch in diesem Kontext bezwingend. Ähnliches gilt auch für den wie immer spielfreudigen Patrick Zielke, dessen satter Bass bestens zur Geltung kommt. Die anderen (Sprech-)Rollen sind in diesem spartenübergreifenden Projekt mit Schauspielern besetzt: Robin Sondermann als Otto, Markus John als Wolfgang, Annemaaike Bakker als Christina und nicht zuletzt Hanna Plaß als Tilly, die ihre eingestreuten Chansons gekonnt servierte. Wie schrieb eine Kollegin nach der Premiere? „Der glücklichste Moment dieser Aufführung ist der, wenn das Licht im Zuschauerraum wieder angeht.“ Recht hat sie!
Wolfgang Denker, 05.03.2018
Fotos von Jörg Landsberg