Hildesheim: „Die Schönste von New York“ konzertant

Premiere am 26. Mai 2022

Super-Rarität

Das Theater für Niedersachsen (TfN) und sein musikalischer Leiter Florian Ziemen sind immer wieder für eine Überraschung gut. So war es auch gestern mit der Ausgrabung eines munteren Stückes aus der Anfangszeit der Operette: „Die Schönste von New York“ (The belle of New York) des heute weitgehend unbekannten deutsch-amerikanischen Dirigenten und Komponisten Gustave Adolph Kerker (1857-1923). Aufgewachsen als Kind einer Musikerfamilie in Herford begann er schon früh mit dem Cellospiel; als er 10 Jahre alt war, emigrierte die Familie nach Louisville/Kentucky. Hier setzte er seine musikalischen Studien mit Komponieren und Dirigieren fort und brachte es schließlich 1888 zum musikalischen Leiter des Casino Theatre am Broadway, damals eine wichtige Bühne. Bis 1912 komponierte er insgesamt 29 Musical/Operetten, die zumeist auch am Broadway mit mehr als 100 Vorstellungen uraufgeführt wurden. Dagegen blieb „The Belle of New York“ hier mit 64 Aufführungen nur ein Achtungserfolg; der Durchbruch kam erst in London am Shaftesbury Theatre mit 697 Vorstellungen! Viele Bühnen in Europa und Amerika brachten das Stück in den folgenden Jahren heraus. „Die Schönste…“ wurde so zum Inbegriff der amerikanischen „musical comedy“.

Julian Rohde/Robyn Allegra Parton/Uwe Tobias Hieronimi

Am TfN hatte man sich für eine konzertante Aufführung in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln (Textfassung: Beka Savic-Förster) entschieden, um diese Musical Comedy mit den Texten von Hugh Morton (editiert von Dario Salvi) bekannt zu machen. So beschränkte man sich auf typisierende Kostüme (Marlee van Goor), flotte Tanzeinlagen und schauspielerische Effekte des Ensembles; wer für die wunderbare Einstudierung mit Nonsense und Slapstick verantwortlich war, blieb leider im Programm unerwähnt!

Florian Ziemen leitete den Abend mit gewohntem Schwung, und das kleine, begeistert mitgehende Orchester gab auf all seine Zeichen wirklich das Beste. Viel Drive und mehrere Walzer gingen auch den Zuschauern in die Beine. Der fast drei Stunden währende Abend verging wie im Fluge. Die leicht eingängigen Melodien Kerkers überzeugten das Publikum, das erfolgreich noch eine Zugabe „herausklatschte“.

Zur Handlung: Ichabod Bronson ein gestrenger Vater vom Lande überrascht seinen gerade 21 Jahre alt gewordenen Sohn Harry in New York just in dem Moment, als dieser kurz vor seiner (von ihm nicht unbedingt beabsichtigten) Hochzeit mit der „Operetten-Diva“ Cora Angelique steht, sich gerade in ein hübsches Zimmermädchen Fifi Fricot verliebt hat und von einer „Ehemaligen“ Kissie Fitzgarter mit zwei Freunden bedrängt wird. Das missfällt dem Vater und er enterbt den Sohn mit dem Hinweis, dass er sein Erbe der ersten vorbeikommenden Person vermachen wird. Das ist ausgerechnet die schöne Violet Gray von der Heilsarmee, die Harry kurz vorher im Vorübergehen gesehen und deren Anblick ihn wie ein Blitz getroffen hatte. Diese herzensgute Violet, die sich auch noch als Tochter von Ichabods altem Freund herausstellt, findet es ungerecht, das Geld zu nehmen und versucht sich aus diesem Dilemma zu lösen. Nach turbulenten Verwicklungen kommt es natürlich zum Happy End. In diese irrwitzige Handlung noch neu die Figur Karl von Pumpernick – Florian Ziemen – einzuführen als mordlustigen Verfolger eines Mr.Bronson war dann fast des Guten zuviel.

Von den Ausführenden sind zunächst Uwe Tobias Hieronimi (Ichabod), der seine große Bühnenpräsenz und schlank geführte Stimme unter Beweis stellen konnte, und Julian Rohde (Harry) zu nennen, der in dem turbulenten Spiel die Wandlung vom Filou zum braven Mann klarstimmig glaubhaft machen konnte. Die brave Violet erfüllte Robyn Allegra Parton mit viel Charme im Kampf gegen das weltliche Lotterleben und wunderbar frei schwingendem Sopran in allen Lagen. Neele Kramer gab die Operetten-Diva Cora mit großer Geste und als verlassene Braut mit in ihrem Zorn passend keifigen Tönen. Als anhängliche Fifi machte Kathrin Finja Meier gute Figur mit bestens durchgebildetem Sopran. Teilweise urkomisch und tänzerisch hinreissend gefiel die quirlige Lara Hofmann in einer Doppelrolle. Der wunderbare Bariton von Eddie Mofokeng (Blinky) kam bei dem Song „She is the Belle of New York“ am Besten zur Geltung. Ebenso gut gespielt und gesungen haben Felix Mischitz (Kenneth), William Baugh (Billy/Twiddles) und last not least die witzigen „portugiesischen Zwillinge“ Johannes Osenberg und Daniel Wernecke. Dazu kam der sauber einstudierte Chor des TfN, der die Solo-Songs meist aufgriff und vervollständigte (Achim Falkenhausen).

Es war eine rundum gelungene Ensemble-Leistung, die das Publikum lautstark honorierte. Es ist schon schade, dass es insgesamt nur 2 konzertante Vorstellungen davon gibt (heute ist schon die zweite!).

Bilder: © Tim Müller

Marion Eckels 27.05.2022