Lieber Opernfreund-Freund,
im Orientalismus in der Oper, der sich in Mozarts Entführung aus dem Serail ebenso findet wie in Lakmé von Léo Delibes oder Puccinis Turandot, wollten Komponisten dem mitteleuropäischen Publikum ferne Länder zeigen, andere, fremdartige Klänge präsentieren, oft ohne je selbst in den betreffenden Regionen gewesen zu sein. Auch Georges Bizet hat Ceylon, wie Sri Lanka seinerzeit noch hieß, nie bereist und präsentiert in seinen Perlenfischern doch außergewöhnliche Melodielinien und Rhythmen, nutzt – seinerzeit noch unüblich – Tambourin und Triangel. Ob Regisseur Andreas Wiedermann die Gegend kennt, entzieht sich meiner Kenntnis. Doch auch er entführt die Zuschauer in Hof bei der gestrigen Premiere von Les pêcheurs de perles in einen uns fremden Mikrokosmos des Inselstaats im Indischen Ozean, in dem seit Mitte der 1980er ein erbitterter Bürgerkrieg tobte und wo im Zuge des verheerenden Tsunamis im Dezember 2004 mehr als 35.000 Menschen starben und mehr als eine halbe Million Einwohner obdachlos wurden.

Die geheimnisvolle Sängerin Leila betet bei Andreas Wiedermann also nicht um die gesunde Rückkehr der namensgebenden Perlenfischer, sondern um eine ruhige See und das Abwenden einer Katastrophe. Zu den in der Oper ohnehin angelegten beiden Zeitebenen der Vorgeschichte und der eigentlichen Handlung ersinnt er eine dritte hinzu und teilt die Geschichte in eine Zeit vor und eine nach dem Tsunami. Er erzählt jedoch nicht chronologisch, sondern in diversen Zeitsprüngen, die sich auf der Bühne im unterschiedlichen Bühnenbild visualisieren. Auf der einen Seite sind im klaren Aufbau von Aylin Kaip, die auch für die aus indischen Stoffen geschneiderten, an die sri-lankische Alltagsmode der Nullerjahre angelehnten Kostüme verantwortlich zeichnet, Wellblechdächer zu einer überdimensionalen Welle gebogen; dreht sich die Bühne, wird diese zu den Wänden der Notunterkünfte, in denen die Menschen nach der Naturkatastrophe hausen. Zusätzlich lässt Wiedermann die Erinnerungen und Träume der Protagonisten von Mitgliedern der Ballett-Compagnie des Theaters Hof zur gefälligen Choreografie von Barbara Buser ertanzen und schafft so eine weitere zusätzliche Ebene. Dadurch gelingt ihm eine entstaubte Version der ansonsten eher märchenhaft anmutenden Geschichte, holt sie ins Hier und Jetzt. Er beraubt sie des vermeintlichen Happy Ends und kreiert so spannendes Musiktheater.

Das Ensemble des Theaters Hof stemmt die Produktion aus eigenen Kräften und tut dies – naturgemäß sind bei dieser Rarität alle Rollendebüttanten – vortrefflich. Die Leila von Annina Olivia Battaglia gefällt mir durch ihre enorme stimmliche Beweglichkeit, ihre zarten Höhen und ihren klaren, intensiven Ausdruck auch im Spiel. Der Südkoreaner Minseok Kim bringt für den Nadir den erforderlichen Stimmumfang mit und stattet seinen feinen Tenor mit enormem Gefühl aus. Andrii Chakov gelingt mit seinem facettenreichen Bariton ein imposantes Rollendebüt als Zurga, der zwischen Eifersucht, Rachelust und Liebe schwankt, und macht neugierig auf seinen Onegin im Herbst. Der aus Polen stammende Michal Rudziński komplettiert das junge Solistenensemble als in Hof blinder Dorfältester Nourabad mit imposantem Bass.

Die Damen und Herren des Chores haben in den Perlenfischern viel zu tun und singen und spielen, von Ruben Hawer betreut, überzeugend und bühnenpräsent, während Peter Kattermann im Graben die „Jungendsünde eines doch schon reifen Komponisten“, wie Andreas Wiedermann die Pêcheurs de perles im Programmheft bezeichnet, als genau das: eine frische Mischung aus Leichtigkeit und emotionaler Tiefe. Das Premierenpublikum dankt den Mitwirkenden diesen szenische wie musikalisch überzeugenden Abend mit lang anhaltendem Applaus voller Bravo-Rufe und auch ich lege Ihnen, lieber Opernfreund-Freund, diese Produktion ans Herz. Sie müssen aber schnell sein: wie oft üblich, wird es am Theater Hof keine Wiederaufnahme in der kommenden Spielzeit geben.
Ihr
Jochen Rüth
22. Juni 2025
Les pêcheurs de perles
Oper von Georges Bizet
Theater Hof
Premiere: 21. Juni 2025
Regie: Andreas Wiedermann
Musikalische Leitung: Peter Kattermann
Hofer Symphoniker
weitere Vorstellungstermine im Prinz-Georg-Garten: 28. Juni sowie am 4., 6., 12. und 16. Juli 2025