Lieber Opernfreund-Freund
eine gelungene Symbiose ist derzeit am Theater Koblenz zu erleben. Die Rezitative zu seiner letzten Oper La Clemenza di Tito hatte schon vor der Uraufführung 1791 nicht Mozart selbst instrumentiert, sondern sich dazu seines Schülers Franz Xaver Süßmayr bedient. Gut 200 Jahre später erstellte der Komponist Manfred Trojahn für eine Amsterdamer Produktion neue, orchestral auskomponierte Rezitative – und die sind noch bis in den Dezember hinein unweit des Deutschen Ecks zusammen mit Mozarts Oper zu hören.
Mozarts heutzutage recht selten zu sehender Titus erzählt die – historisch freilich wenig verbürgte – Geschichte des gleichnamigen römischen Kaisers, der Enttäuschung und Rachegedanken hintenanstellt und stattdessen seinen Freund Sesto begnadigt, der aus Liebe zu Vitellia einen Staatsstreich angezettelt. Besonders pikant: Vitellia ist eigentlich Titus‘ auserwählte Braut. Die Milde des Titus, wie das Werk in wörtlicher Übersetzung heißt, kann also durchaus als Liebeskonflikt gelesen werden, in Koblenz fokussiert sich Intendant Markus Dietze allerdings auf die Machtaspekte und verlegt die Handlung – konsequenterweise auch dem modernen Musikanteilen folgend – in einen Konzern der heutigen Zeit. Er zeigt die Titelfigur als Firmenchef und sein Gefolge als eine Schar von Karrieristen, die Bernhard Hülfenhaus in gängige Business-Outfits steckt, die gleichwohl vom Koblenzer C&A stammen könnten. Auch die Bühnenaufbauten sind recht schlicht, beschränken sich auf Konferenztische und Bürostellwände, die mehr oder weniger sinnfällig verschoben werden (Bühne: Dorit Lievenbrück), immerhin aber abwechselnd räumliche Weite und Intimität schaffen können. Dennoch schafft es der Hauschef in diesem offenen Bühnenraum durch gekonnte Personenführung, die inneren und äußeren Spannungen zu erzählen.
Vitellia ist Treiberin des Geschehens und findet in Mirella Hagen eine ideale Gestalterin. Die Sopranistin hatte sich zwar erkältet ansagen lassen, von einer Beeinträchtigung ihres überzeugenden Rollenportraits war allerdings nichts zu spüren. Ihrer voluminösen Höhe mischt sie eine ebenso satte Tiefe bei, zeigt ihre Figur als durchtriebenes, machtbesessenes Weib voller Power. Kein Wunder, dass der brave Sesto ihr erliegt. Der wird von Danielle Rohr gestaltet. Ihr samtweicher Mezzo voller Farben ist auch wie gemacht für die zwischen Freundschaft und Liebe zerrissenen Figur. Sie ist darstellerisch eine Wucht und lotet die Figur mit all ihren Facetten aus. Ähnliche Bühnenpräsenz hätte ich mir auch von Ensemblemitglied Tobias Haaks in der Titelrolle gewünscht. In der Mozartpartie allerdings arbeitet eher mit viel Druck und zeigt unsaubere Koloraturen, im modernen Trojahn-Part hingegen läuft er zu Höchstform auf und beweist da eine stimmliche Autorität, wie man sie von einer Herrscherfigur erwartet.
Auch darstellerisch verschwindet er immer wieder in der Masse und ist so nicht die von allen vergötterte Leitfigur, die Mozart, Librettist Caterino Mazzolà und Regisseur Markus Dietze in Titus sehen. Eine unglaubliche Präsenz hingegen zeigt Jongmin Lim als stimmgewaltiger Publio mit raumfüllendem Bass und Ehrfurcht gebietendem Auftritt. Hanna Lee und Haruna Yamazaki überzeugen mich als die beiden Verliebten Servilia und Anno, erstere mit farbschönen Sopran samt weichem Timbre, letztgenannte mit ausdrucksstarkem Mezzo. Die Damen und Herren des Chores schließlich, von Lorenz Höß und Karsten Huschke betreut, leisten Großes bei der Bewältigung ihres umfangreichen Parts.
Eine der musikalischen Schwierigkeiten des Abends ist sicher der permanente Wechsel des musikalischen Stils von einer klassischen Komposition des 18. Jahrhunderts hin zu moderner klassischer Musik und umgekehrt. Sämtlichen Protagonistinnen und Protagonisten gelingen diese Wechsel scheinbar mühelos; sie finden in jedem Stil im wahrsten Wortsinne den richtigen Ton. So ergeht es auch Chefdirigent Marcus Merkel, der im Graben einen feurigen Mozart voller ohrenschmeichelnder Melodien frisch wie selten gehört präsentiert und nur Sekunden später die Schroffheit in Trojahns moderner Partitur offenlegt. So ist dieser Abend in Koblenz sicher eine gute Gelegenheit, die Begegnung mit klassischer Musik des 21. Jahrhunderts zu (ver)suchen, die Kontraste zu Mozart zu entdecken – und als Bereicherung statt als Störung zu empfinden. Durch das spannungsgeladene Dirigat von Marcus Merkel kommt keine Sekunde Langeweile auf. Also: nichts wie hin!
Ihr Jochen Rüth 29. Oktober 2023
La Clemenza di Tito
Oper von Wolfgang Amadeus Mozart
Neukomposition der Rezitative von Manfred Trojan
Theater Koblenz
Premiere: 7. Oktober 2023
Besuchte Vorstellung: 26. Oktober 2023
Inszenierung: Markus Dietze
Musikalische Leitung: GMD Marcus Merkel
Staatsorchester Rheinische Philharmonie
weitere Termine: 5. und 9. November sowie 12. Dezember