Premiere: 23.03.2019
Dunkel wie die Nacht
Eine Zeitreise ins 16. Jahrhundert bietet uns das Theater Mönchengladbach mit der Oper Boris Godunow, dessen Premiere am 23. März stattfand. Auch wenn historisch inzwischen widerlegt wurde, dass Boris Godunow im Jahre 1591 den Auftrag zur Tötung seines Neffen Dimitri gab führt uns Modest Mussorgskijs gleichnamige Oper zurück in eine Zeit voller Intrigen um die Macht. Basierend auf dem gleichnamigen Drama von Alexander Puschkin und auf dem Buch „Geschichte des russischen Staates“ des Historikers Nikolai Karamsim aus dem Jahr 1818 entstand das Libretto zu diesem Werk, zu dem Wolfgang Körner in seinem wunderbaren Buch „Der einzig wahre Opernführer“ (unbedingte Literaturempfehlung am Rande) schreibt: „In dieser Oper, deren Hauptpersonen einander so sehr hassen, dass sie sich in keiner einzigen Szene begegnen, geht es (wie immer in der Politik) nur um Macht.“
Und damit ist auch der zeitlose Bezug hergestellt, den Agnessa Nefjodov in Ihrer Inszenierung wählt. Sie steckt die Geschichte in einen eher zeitlosen Rahmen in dunklen Mauern (Bühne: Eva Musil) und durchaus moderner Kleidung (Kostüme: Nicole von Graevenitz), was leider nicht immer überzeugen kann, da vieles im Vagen und somit auch recht beliebig bleibt. Zudem wird auch nicht ganz klar, warum die sehr präsenten Leuchten auf Fahrgestellen montiert sind, die an einem Tropf in der Ambulanz erinnern. Diese Gestelle vermindern eher die Wirkung der optisch an sich guten Idee dieser sehr präsenten Lichtstangen. Auch die Flucht des „falschen Dimitri“ Grigorij Otrepjew aus der Schenke zum Ende des vierten Bildes unmittelbar vor der Pause wird durch einen Lichtschein auf die auf den Tisch gemalte Fluchtkarte nur angedeutet und schickt viele Zuschauer etwas ratlos in die Pause. Ich persönlich bin grundsätzlich der Meinung, man sollte jede Inszenierung auch ohne Lektüre des Programmheftes verstehen können, auch wenn dieses in diesem Fall sehr gut gemacht ist und natürlich zu einem interessierten Opernbesuch auch dazu gehört. Gelungen ist allerdings der Übergang vom dominierenden Schwarz ins Goldene bei der Ernennung des Boris Godunow zum neuen Zaren und die stringente Beibehaltung des gewählten Regieansatzes.
Was den Besuch dieser Oper zudem sehenswert macht, ist wieder einmal die Ensemble-Leistung am Theater Krefeld-Mönchengladbach. Gleich zu Beginn nachdem sich der Vorhang hebt, zieht der Opernchor (ergänzt um den Extrachor und einer Gruppe von Gästen, insgesamt somit knapp 70 Choristen) den Zuschauer komplett in den Bann. Hier gebührt Michael Preiser für die Einstudierung des Chores höchster Respekt. Auch im weiteren Verlauf bietet die Oper für Liebhaber gewaltiger Chorstücke einiges. Johannes Schwärsky überzeugt in der Titelrolle einmal mehr sowohl durch seine körperliche Erscheinung wie auch durch seine stimmliche Leistung. Ganz hervorragend. Auch der ukrainische Tenor Igor Stroin gibt einen überzeugenden Grigorij Otrepjew ab. Eine kleine Besonderheit der Oper sind die vielen kleineren Rollen, die teilweise nur einmal, teilweise auch zweimal auftreten, dennoch aber jeweils ein recht großes Lied vortragen dürfen. Hier kommt dem Hause einmal mehr das auch in der Vielfalt breit aufgestellte Ensemble zu Gute. Sei es Hayk Dèinyan als chronikschreibender Mönch Pimen, Kairschan Scholdybajew als intrigierender Fürst Schujskij, Matthias Wippich und Markus Heinrich als vagabundierende Mönche, die in der Schenke von Schenkwirtin Janet Bartolova auf den falschen Dimitri treffen oder David Esteban als Narr, alle machen eine sehr gute Figur.
Dies gilt auch für Rafael Bruck als Geheimschreiber Andrej Schtschelkalow sowie Susanne Seefing als Boris Sohn Fjodor und Sophie Witte als seine Tochter Xenia. Auch die weiteren kleineren Rollen sind allesamt auf den Punkt besetzt. Generalmusikdirektor Mihkel Kütson leitet die Niederrheinischen Sinfoniker souverän durch die mitunter schwierige Partitur.
Trotz kleinerer Schwächen in der Regie, kann man dem Theater hier erneut wieder zu einer gelungenen Premiere gratulieren, auf Grund der dunklen Bühne sollte man sich einen Besuch nach einem anstrengenden Arbeitstag allerdings zweimal überlegen. Sehr zugute kommt der Aufführung zudem, dass man sich für die rund 2 1/2stündige „Urfassung“ der Oper entschieden hat, was doch einige der in anderen Versionen durchaus vorhandenen Längen verhindert.
Markus Lamers, 24.03.2019
Bilder: © Matthias Stutte