Osnabrück: „Der ferne Klang“, Franz Schreker

Lieber Opernfreund-Freund,

rund zehn Jahre hat der österreichische Komponist an seinem ersten Opernerfolg gearbeitet – und das ist bemerkenswert, hat er die Komposition doch mit Mitte 20 begonnen und erzählt im selbst verfassten Libretto zu Der ferne Klang doch die Geschichte eines Künstlerlebens. Fritz, gewissermaßen Alter Ego des Komponisten, sucht nach einem rätselhaft weltfernen Klang und verlässt seine Verlobte Grete, um sich auf eine rastlose Lebensreise zu begeben. Die stürmt ihm nach, wird erst von der Halbwelt umschwärmte Edelprostituierte, um letztlich auf dem Straßenstrich zu landen. Fritz‘ erste Oper Die Harfe wird zum Misserfolg, an dem er zerbricht. Im letzten Akt stehen sich zwei reife und gereifte Personen gegenüber: Fritz, der krank und desillusioniert erkennt, dass die Jagd nach dem fernen Klang eine Utopie war, und eine an ihrem Schicksal gewachsene Grete, die verzeiht und in deren Armen der Komponist stirbt.

© Bettina Stöß

Das Theater Osnabrück hat sich in den vergangenen Jahren regelrecht einen Namen als Trüffelschwein bei der Wiederentdeckung vergessener Werke des ersten Drittels des letzten Jahrhunderts gemacht: Busonis Doktor Faust, Magnards Guercœur, Fremde Erde von Karol Rathaus und Weinbergers Wallenstein folgt in dieser Spielzeit nun die Oper, die Franz Schreker nach ihrer Uraufführung 1912 an der Oper Frankfurt berühmt gemacht und dafür gesorgt hat, dass er bis zu seiner Suspendierung 1933 – sein Vater war konvertierter Jude – zu den meistgespielten deutschsprachigen Komponisten gehörte. Seine Tonsprache ist der Spätromantik zuzuordnen, trägt zudem starke expressionistische Züge und doch gelingt ihm ein eigener Musiktheaterstil. Die lautmalerische Interpretation von Umweltgeräuschen zeichnet diesen ebenso aus, wie der relativ hohe Anteil an Sprechgesang. GMD Andreas Hotz zieht in seiner letzten Opernproduktion am Osnabrücker Haus am Pult noch einmal alle Register und präsentiert die klangliche Wucht der Partitur rauschhaft schillernd, so dass Schrekers Werk – um Operndirektorin Juliane Piontek in ihrer wie immer Lust auf das Werk vermittelnden Einführung zu zitieren – zum regelrecht lukullischen Genuss wird.

© Bettina Stöß

Regisseur Jakob Peters-Messer findet ausdrucksstarke Bilder für die Zeitreise zweier Menschen und stellt ihnen, gewissermaßen als Mahner für die eigene Vergänglichkeit, von Anfang an drei Greise zur Seite. Als Symbol für die Sehnsucht der beiden Protagonisten, seien es der ominöse Klang oder Liebe und Leidenschaft, wählt er einen Leuchtrahmen, der dann und wann an Brillanz gewinnt und nicht nur wie ein leerer Bilderrahmen vor der irisierend scheinenden Spiegelrückwand hängt, die Guido Petzold hinter die Bühne platziert hat und die er stimmungsvoll mit verschiedenen Farben ausleuchtet und so gekonnt Stimmungen erzeugt. Er wiederholt sich als Rahmen für die offene Bühne, auf der mit einzelnen Requisiten wie einem Theatervorhang oder einer Matratze neue Räume wie ein Theaterfoyer oder eine Künstlerwohnung entstehen. Peters-Messer zeigt die beiden Protagonisten als Individuen, nicht als Einheit. Jeder jagt seinem eigenen Traum nach und auch wenn der Operntitel die Sehnsucht von Fritz thematisiert, ist es vor allem die Entwicklung von Grete, die im Zentrum steht.

© Bettina Stöß

Heiko Börner hat als Gast die Rolle des Fritz übernommen und gilt als Wagnerspezialist. Vielleicht überzeugt er mich deshalb am ehesten in den Passagen, in denen er dem Publikum in Tristanmanier Fortissimi entgegenschleudern darf – das gelingt ihm wirklich eindrucksvoll. Sobald er aber auch nur ins Mezzoforte gleitet, wirkt er fast ein wenig blass. Das mag auch an seiner superben Partnerin Susann Vent-Wunderlich liegen, die in allen Lagen überzeugt, ihren wundervoll timbrierten Sopran kraftvoll und betörend zugleich erklingen lässt und der so ein fulminantes Rollenportrait von der Unschuld vom Lande über die Hure bis zur gereiften Frau gelingt.
Der Besetzungszettel weist eine Unzahl an Rollen auf, so dass viele Künstler gleich mehrere interpretieren: Hans Gröning gefällt mir als Dr. Vigelius und Graf mit seinem farbenreichen Bariton, Jan Friedrich Eggers gelingt sein im ersten Akt vorgetragenes Arioso genauso gut wie seine Darstellung des Schmierenschauspielers im dritten. Den nachhaltigsten Eindruck hinterlässt das junge Ensemblemitglied Dominic Barberi, der seinem ausdrucksstarken Bass mal eine Portion Wucht, mal eine Portion Balsam beimischt und so als Wirt und Rudolf gleichermaßen auftrumpft.

© Bettina Stöß

Die Damen und Herren des Chores singen furios und präsent von allen Seiten und machen den Abend so klanglich perfekt. Sierd Quarré hat den umfangreichen Part präzise mit ihnen einstudiert. So ist das Publikum im nahezu voll besetzten Haus – und das an einem Donnerstag bei 25 Grad abendlicher Außentemperatur – am Ende zu Recht begeistert. Dem Theater Osnabrück ist erneut ein großer Wurf gelungen.

Ihr
Jochen Rüth

15. Juni 2025


Der ferne Klang
Oper von Franz Schreker

Theater Osnabrück

Premiere: 26. April 2025
besuchte Vorstellung: 12. Juni 2025

Regie: Jakob Peters-Messer
Musikalische Leitung: Andreas Hotz
Osnabrücker Symphonieorchester