Premiere am 14. Mai 2016
Mit großer Spannung wurde die Neuinszenierung von Richard Wagners „Tannhäuser“ am Tiroler Landestheater – TLT in der Regie des Intendanten Johannes Reitmeier erwartet. Ihm gelang in den Bühnenbildern von Thomas Dörfler und mit den Kostümen von Antje Adamson eine äußerst überzeugende Sichtweise auf das Stück, in dem es vor allem um den Aspekt der Künstler-Oper geht. Es wird die Geschichte des ganz der Kompositionskunst und einer nahezu obsessiven Liebe zur Musik verpflichteten Tannhäuser, der zwischen den zwei Welten des Venusbergs – hier das Sanatorium Monte Verità – und der Wartburggesellschaft hin und hergeworfen wird und ist. Dass Ganze erleben wir im Rahmen einer angedeuteten Opernaufführung im virtuellen Tiroler Landestheater. Denn schon während der Ouvertüre sehen wir, wie der Sänger Tannhäuser sich nach einer Aufführung, von roten Rosen aus den Rängen überschüttet, für den Applaus dieses Theaters bedankt. Im Verlauf der Handlung erkennen wir dann, dass die roten Rosen in Wahrheit von Venus stammen und der Saal des Tiroler Landestheaters zum Schauplatz des Sängerkriegs auf der Wartburg und des 3. Akts wird. Und damit vermitteln selbst diese ersten Bilder während der von Chefdirigent Francesco Angelico relativ pathetisch vorgetragenen Ouvertüre schon einen Eindruck von Tannhäusers zerrissener Persönlichkeit zwischen dem Venusberg und der konservativen, in festen gesellschaftlichen Regeln und Zwängen verhafteten Wartburggesellschaft.
Als Metapher für den Venusberg entdeckte Reitmeier nach langem Suchen den sog. Monte Verità, den Berg der Wahrheit. Dieser Hügel über dem schweizerischen Ascona zog, wie Ingrid Lughofer in der Theaterzeitung schreibt, in den Jahren von 1900 bis 1940 zahlreiche Reformer, Alternative und Künstler aus ganz Europa an. Sie lebten in der Abgeschiedenheit des Monte ungehindert von sozialen Zwängen in freier Liebe, also dem Idealbild eines Venusbergs recht nahe kommend. Reitmaier verdeutlicht das mit einem Grüppchen weißgekleideter, zum Teil leicht beschürzter und sich in beschwingten Ayurvena-ähnlichen Bewegungen ergehenden Statisten. Allein durch ihre Art und Weise des Agierens machen sie Tannhäusers wachsendes Interesse an baldiger Abreise nachvollziehbar, auch wenn dieser liebestrunken in den schönen Armen der Venus Jennifer Maines liegt und den Lorbeerkranz bekommt… Maines besticht mit einem klangvoll blühenden, dunkel schattierten Sopran bei besten Höhen und sehr guter Diktion, abgesehen von einer überaus sinnlichen erotischen Darstellung, die sie bei ihrem zweiten Auftritt zum Ende des 3. Akts nochmals verfeinert. (Man spielt in Innsbruck also die 2. Dresdner Fassung). Da fliegen dann auch endlich die echten roten Rosen… Im Venusberg hat man eher den Eindruck, dass es nicht der Ruf nach Elisabeth ist, der das Fass der vermeintlichen oder tatsächlichen Genusssucht zum Überlaufen bringt, sondern Tannhäusers Unmöglichkeit, sich hier als Künstler zu verwirklichen. Denn er kommt mit seiner Komposition und den vielen Notenblättern, die ihn ständig umgeben, nicht mehr zu Recht. Das Gleiche wird ihm aber bald darauf auch auf der Wartburg passieren.
Die Wartburggesellschaft verortet Reitmeier in einem spießig aggressiven Burschenschaftler-Milieu. Schon der Empfang Tannhäusers nach den frühlingshaft schön klingenden Versen von Sophie Mitterhuber als junger Hirt lässt die ganze Verschrobenheit, Steifheit und gar gefährlich aggressiv wirkende Annäherung, ja Anbiederung an Tannhäuser offenbar werden, der sich von den Rittern regelrecht überrumpelt fühlt. Er scheint schon in diesem ersten Moment zu merken, dass es auf der Wartburg mit ihren Zwängen auch nicht gut gehen wird. Dennoch willigt er scheinbar wider Willen erst mal ein. Nun kommt auch noch Wolfram in unguter Art und Weise ins Spiel, der sich offenbar in Elisabeth verguckt hat und in penetranter Weise Tannhäuser aus sicherer Deckung heraus bei seinem Wiedertreffen mit ihr und auch später immer wieder beobachtet. Zu Beginn des 3. Akts kommt es sogar zu einer durch den Landgrafen quasi erzwungenen Hochzeit mit Wolfram, bei der Elisabeth jedoch im letzten Moment vor den gestrengen Augen des Bischofs das Ja-Wort verweigert und stattdessen auf des Landgrafen Geheiß ins Kloster geht. Aber auch die asketisch strengen Blicke der Äbtissin lassen da nichts Gutes erhoffen – all dies auch wieder Verweise auf die orthodoxe Verbohrtheit der Wartburggesellschaft, die in einer „Tannhäuser“-Inszenierung selten so nachvollziehbar in ein dunkles Licht gerückt wird.
Dazu trägt auch der völlig herunter gekommene Saal des Tiroler Landestheaters bei, der zu Beginn des 2. Akts gezeigt wird und auch im dritten wieder sichtbar wird. Hiermit wird bildlich nicht nur der geistige und sozialpsychologische Verfall der Wartburggesellschaft symbolisiert. Es wird zudem sinnhaft angedeutet, dass diese Gesellschaft auch auf künstlerischem Gebiet, und dazu gehört nun mal der Gesang, abgedankt hat. Wolfram bleibt nach der Pleite vor dem Altar fortan in den Kleidern des Bräutigams auf der Bühne und erlebt so die Romerzählung Tannhäusers, der sich, im Gegensatz zu ihm, immer treu geblieben ist. KS Armin Kolarczyk ist einer der besten an diesem Abend und lässt für den Wolfram einen balsamisch klingenden Bariton erstrahlen. Auch seine Darstellung der hier schwierig angelegten Rolle lässt nichts zu wünschen übrig.
Im Sängerwettstreit zeigt Reitmeier Tannhäuser nun endgültig als scheiternden Helden, der also in beiden Welten nahezu provokativ aneckt und letztlich an sich selbst verzweifelt. Schon durch seinen lockeren Künstleranzug aus dem Venusberg inmitten all der in glänzendem Wichs angetretenen Chargierten ist Tannhäuser die Provokation selbst. Seine Rettung durch Elisabeth vor den Verbindungsdegen der „edlen“ Gesellschaft wird dann zu einem emotionalen Höhepunkt des Abends. Die junge Josefine Weber aus München, schon relativ früh kompetent ins Wagnerfach u.a. mit Gutrune, Senta und Sieglinde eingestiegen, kann mit ihrem jugendlich dramatischen und klangvoll leuchtenden sowie durchschlagskräftigen Sopran bei großer Höhensicherheit und guter Diktion begeistern. Sie bildet zur Venus an diesem Abend nicht nur stimmlich, sondern auch optisch einen Kontrapunkt, der die Zwangssituation des Titelhelden noch nachvollziehbarer macht. Das Gebet singt Weber mit bewegender Verinnerlichung. Daniel Kirch erweist sich an diesem Abend als ein Tannhäuser der Extraklasse.
Der lange an der Komischen Oper unter Harry Kupfer tätige Kirch ist neben seinem breiten Lied- und Konzertrepertoire nun offenbar auch im dramatischen Fach der Oper angekommen. Mit solch darstellerischer und gleichzeitig stimmlicher Intensität hat der Rezensent den Titelhelden noch selten erlebt. Kirch singt von Anfang an mit größter Konzentration, viel Emphase und kann diese beachtliche Leistung durch eine fulminante Romerzählung noch einmal steigern. Von ihm würde man gern mal einen Siegmund hören…
Guido Jentjens ist ein bewährter Landgraf Hermann mit noblem Bass. Joshua Lindsay als Walther von der Vogelweide, Andreas Mattersberger als Biterolf, Dale Albright als Heinrich der Schreiber und schließlich Unnsteinn Arnason als Reinmar von Zweter vervollständigen das durchaus gute Ensemble. Die nach ihrer Rückkehr aus Rom optisch als sprichwörtliche menschliche Wracks gezeichneten Chöre, der Tiroler Chor des TLT und der Extrachor des TLT, klingen stimmstark und in den einzelnen Gruppen transparent.
In einem ergreifenden Finale wird Tannhäuser verrückt und kann selbst in den letzten Momenten seines Lebens von der Musikwerdung seiner Noten nicht lassen. Er dirigiert den Knabenchor, hier die Wiltener Sängerknaben, bis er endgültig,- an der Welt und sich selbst gescheitert,- in Wolframs Armen stirbt.
Francesco Angelico, dem der „Tannhäuser“ ganz besonders am Herzen liegt, weil er die erste Wagner-Oper war, die er live in seinem Leben gesehen hat, dirigierte das Symphonieorchester Innsbruck mit großem Engagement und viel Sinn für die Details. Die Steigerungen in den großen Tableaus gelangen eindrucksvoll, ebenso wie die Begleitung beispielsweise Elisabeths bei ihrem Gebet, wo aus dem Graben große Melancholie erklang. Kleinere Unebenheiten fielen dagegen kaum ins Gewicht. Man merkte dem Dirigenten und auch dem Orchester seine Begeisterung an, nach dem „Parsifal“ vor einigen Jahren wieder einmal Richard Wagner zu spielen.
Eine gute Ensemble-Leistung des ganzen Hauses, die Wagners Charakterisierung Tannhäusers „Tannhäuser ist nie und nirgends etwas nur ein wenig, sondern alles voll und ganz“ nachhaltig unterstreichen konnte. Auf diese Produktion kann das TLT stolz sein.
Klaus Billand 31.5.16
Copyright: Rupert Larl / Landestheater