Innsbruck: „Turandot“

besuchte Vorstellung: 26.12.2015

Verpasste Chancen…

Lieber Opernfreund-Freund,

"Turandot" geht auf ein altes chinisches Märchen zurück, das Carlo Gozzi im 18. Jahrhundert zur Tragikomödie umarbeitete und 1762 in Venedig herausbrachte. Auch Friedrich Schiller widmete sich um 1800 dem Stoff, dessen Version die Grundlage für die Opernbearbeitungen beispielsweise von Antonio Bazzini, Ferruccio Busoni und eben auch Gioacomo Puccini bildet. Und doch entscheidet sich der Regisseur René Zisterer, am Tiroler Landestheater in Innsbruck eben kein Märchen zu erzählen.

Um die psychologisychen Aspekte der handelnden Figuren geht es ihm, wie er im informativen Programmheft bekennt. Aber ein wirkliches Psychogramm gelingt dem Österreicher nicht. Der Stoff wird nahezu alles Asiatischen beraubt ins Orts- und Zeitlose versetzt, die Personenführung der Massenszenen wirkt wenig durchdacht, das offensichtliche Fehlen einer irgendwie gearteten Lichtregie entzaubert selbst musikalisch berückendste Momente wie das Besingen des Mondes oder die Sehnsuchtsszene der drei Minister. Der Schlager des Werkes, "Nessun dorma", wird bei voller Beleuchtung vor dem Gaze-Vorhang wie in einer Operngala dargeboten und Ping, Pang und Pong dürfen nicht eine Sekunde komisch sein. Lediglich die Szene, in der die Titelfigur vom Freitod Liús im wahrsten Sinne des Wortes berührt wird, vermag einen kurzen Moment der Gänsehaut zu erzeugen. Da helfen auch die teils phantasievollen Kostüme und der imposante Bühnenaufbau im zweiten Akt nicht, für die Agnes Hasun verantwortlich zeichnet. Die variabel gestaltete bronzefarbene Palastmauer zeigt stimmungsvoll Patina, aber alles ist irgendwie immer in Bewegung – das wirkt dadurch fast penetrant und recht beliebig. Turandots Auftrittskostüm erinnert an ein goldenes Kettenhemd und unterstreicht das Kämpferische, das dieser Frau innewohnt, da ist der Chor in C&A-Klamotte weniger originell. Und natürlich: Puccini hat mit dem Ende ja so sehr gerungen. Deshalb kanns gar nicht so sein, wie es der Text sagt – das Liebesglück der Prinzessin und Kalaf ist also in Innsbruck nur scheinbar. Tatsächlich bleibt Turandot für den Prinzen unerreichbar. Unterm Strich bleiben da für mich zu viele verpasste Chancen, den Zauber des Werkes – auch jenseits des Märchenhaften – zu nutzen.

Leider springt Alexander Rumpf am Pult auf einen ähnlichen Zug wie der Tiroler Regisseur. Er suhlt sich in der Klanggewalt der Partitur, lässt das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck im Graben förmlich explodieren. Das Schlagwerk ist prominent in den Proszeniumslogen postiert, so dass man gut sehen kann, wie viel die vier Percussionisten in zu tun haben – und hören. Da bleibt wenig Gelegenheit für Zauber. Ruhig wird es selten, doch zumindest in Liús erster Arie gelingt es, so dass Susanne Langbein da herrliche Töne fein wie Glas produzieren kann. Die Rolle ist von der Regie ansonsten eher kämpferisch angelegt – Liú ist hier mitnichten das "Nichts", als das sie sich vorstellt. Sie wird zum Alter Ego Turandots, zur Hauptfigur, leitet den Prinzen durch die Rätselszene, gibt sich streitbar bis zum Schluss – und auch diesen Aspekt des Charakters verkörpert die junge Sopranistin wunderbar. Der portugiesische Tenor Paulo Ferreira ist der zweitbesetzte Kalaf – und nach dem gestrigen Abend frage ich mich, warum.

Er wirft sich vor allem im ersten Akt sämtlichen Spitzentönen souverän entgegen, singt nuanciert, sein warmes Timbre erinnert in der Mittellage stellenweise an Placido Domingo. Überflüssig also zu erwähnen, dass sein überzeugend dargebotenes "Nessun dorma" den einzigen Szenenapplaus des Abends hervorruft. Am meisten gespannt jedoch war ich auf die Turandot von Jennifer Maines. Ich habe sie bereits vor einigen Jahren am TLT einmal als "Manon Lescaut" gehört, später als Catalanis "Wally". Danach hat sie Mezzorollen wie die Fürstin in "Adriana Lecouvreur" interpretiert und ich war zugegebenermaßen skeptisch, wie so eine Turandot klingen kann. "Einfach toll" ist die Antwort: Bedrohliche mezzohaft gefärbte Tief- und Mittellage mit schneidend scharfer und präziser Höhe im zweiten Akt, dazu eine verletzliche, doch niemals kindliche, verunsicherte Frau in der Kusszene. Die Kanadierin bringt alles mit, was die Rolle verlangt – samt enormer Bühnenpräsenz – und meistert sie souverän.

Größere Schwierigkeiten, stimmlich über den Klangteppich aus dem Graben zu kommen, hatte Il-Young Yoon als Mandarin, erfrischend dagegen war es, den Kaiser einmal nicht als altersschwaches Männlein mit brüchiger Stimme präsentiert zu bekommen, sondern sauber und klar ausgesungen von Dale Albright. Neben dem gewitzt aufspielenden Joshua Lindsay als Pong und dem souverän singenden Florian Götz als Ping fällt Florian Sterns Pang stimmlich leider ein wenig ab. Michael Hauensteins blinder König Timur überzeugt und vermag zu berühren. Der von Michael Roberge einstudiert Chor hat wesentlichen Anteil daran, dass die musikalische Seite des Abends dann unterm Strich doch überzeugt.

Ihr

Jochen Rüth aus Köln

27.12.2015

Die Fotos stammen von Rupert Larl.