Aufführung am 13.01.2022
John Adams
CITY NOIR für Orchester
Sir Edward Elgar
1. Sinfonie in As-Dur
Von einem durch und durch faszinierenden Konzertabend ist zu berichten, das grossangelegte Werk eines zeitgenössischen Komponisten (John Adams) wird einem ebenso grossen Wurf eines Hochromantikers (Sir Edward Elgar) gegenübergestellt – und beide Werke finden die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums und die anschliessende Begeisterung im (leider nicht ganz gefüllten) grossen Saal der Tonhalle Zürich. Heute Abend bietet sich noch eine Gelegenheit, diese hoch spannenden Werke live zu erleben!
Der "Kosmos John Adams" gehört zu den Saisonschwerpunkten des Tonhalle-Orchesters Zürich, zu Recht. Adams ist einer der wenigen zeitgenössischen Komponisten, die es vermögen, ihre Kompositionen ins erweiterte Standardrepertoire der Sinfonieorchester (und Opernhäuser) weltweit einzubringen, das Publikum immer wieder zu begeistern und mitzunehmen. Der Auftakt zu dieser Werkschau des bedeutendsten amerikanischen Komponisten der Gegenwart stand unter der Leitung von Robert Trevino (später folgen Jaap von Zweden, David Zinman, John Adams selbst und dann Chefdirigent Paavo Järvi).
CITY NOIR erfordet ein Riesenorchester, mit ausgedehntem Schlagzeug, Harfen Vibraphon, Celesta und grossbesetztes, traditionelles Sinfonieorchester ergänzt mit Altsaxofon, Bassklarinette, Kontrafagott – das Podium in der Tonhalle war also prall gefüllt. Mit scharf gezackten Akzenten und Glockenklängen wurde man geradezu hineingeworfen in einen beinahe rastlosen Trip durch eine fiktive Filmhandlung. Enspannungsmomente gab es wenige, aber die waren von zauberhafter Schönheit, sei es in Kantilenen der Streicher, in Klagelauten aus der Gruppe der Holzbläser oder in geheimnisvollen Klängen der Celesta. Bewundern konnte unzählige Soli, besonders herausheben möchte ich das Posaunensolo, ein Instrument, das man selten so prägnant und intensiv solistisch wahrnimmt. Schmerzhafte Crescendi wühlten auf, fielen zurück um einem Solo der Bratsche Platz zu verschaffen. Im dritten Satz führt eine Art Glissando durchs gesamte Orchester, die Musik legte nochmals einen Zacken an Tempo zu, wurde von Sekunde zu Sekunde faszinierender, bannte einen wie ein Thriller in den Sitz. Ein wahrer Höllenritt setzte ein, durchsetzt mit Momenten des Free Jazz, die cineastische rasante Fahrt steigerte sich beinahe bis zur alles ausreizenden Unerträglichkeit, eine fortissimo-Orchesterwalze schien alles platt zu machen – und genau in dem Moment, wo mein meinte, man hielte es nicht länger aus, brach das Stück ab. Das ist punktgenau ausgeklügelte, effektvolle Kompositionskunst. CITY NOIR ist ein Werk von soghafter Wucht und man darf dem Tonhalle-Orchester Zürich und Robert Trevino nur dankbar sein für diese hochspannende Erstaufführung.
Während John Adams‘ CITY NOIR ein klares, nachvollziehbares Programm aufweist, quasi den vielfältigen Dschungel der Grossstadt Los Angeles in den 40er/50er Jahren des 20. Jahrhunderts zum Thema macht, gab Elgar zu seiner 1. Sinfonie die folgende Erklärung ab: "Es gibt kein Programm für diese Sinfonie, ausser einer weiten Lebenserfahrung mit einer grossen Liebe zu einer gewaltigen Hoffnung auf die Zukunft …". Der Hörer solle sich also auf das besinnen, was er/sie aus den Tönen heraushören könne. Was ich heraushörte, war ein Kampf eines erhabenen, friedvollen und tröstlichen musikalischen Gedankens (eine Melodie die in ihrem Klang ganz unverkennber "Elgar" ist), der sich gegen prahlerische Lärmigkeit und martialische Rhythmen am Ende in all seiner Glorie durchsetzte. Ganz erstaunlich, wie Elgar dieses "simple" Motiv nach der Exposition zu Beginn des ersten Satzes im Verlauf der Sinfonie immer wieder in verschiedenen Instrumentengruppen und Soli aufschimmern lässt, es klanglich und harmonisch subtil verändert und diese Idée fixe kunstvoll verarbeitet. Robert Trevino und das fantastische aufspielende Tonhalle-Orchester Zürich brillierten mit fulminantem Klang, durchaus auch mal gut ausgehorchten, aufgerauten Passagen und stellten einen interessanten, ungeglätteten Elgar zur Diskussion, der gar nicht so ins Bild des vornehmen Adligen (und Pomp and Circumstance Komponisten) passen will. Nur schon die Vorstellung des so unheimlich bewegenden Hauptthemas hat es in sich: Es wird nach kurzem Paukenwirbel von den wunderbar ausdrucksstark spielenden Bratschen vorgestellt, schwappt ins volle Orchester und von da zurück zu den Bratschen und wird vom zweiten, aufregenderen Thema vorübergehend verdrängt, kämpft sich erneut durch und dieses Auf und Ab zwischen Erregung und Gelassenheit zieht sich durch den gesamten ersten Satz peitscht sich durch alle Instrumentengruppen. Spritzig und flott attackierend stiegen Trevino und das Orchester ins Scherzo ein, kurze Soli der Konzertmeisterin bereicherten das Trio, bevor attacca das erneut mit Bruchstücken des Hauptthemas versetzte, wunderbare Adagio erklang. Robert Trevino vermied in diesem konzisen Satz jegliche Gefühlsduselei, Elgar hat das nicht nötig, die Schönheit und die kluge Durchdachtheit seiner Komposition sprechen für sich. Im Finalsatz schimmert das Hauptthema nach kurzer, unheimlicher Stimmung in "Parsifal"- Manier auf. Doch das Orchester erhebt musikalische Einwände, es will den Erlösungsgedanken erst auf Umwegen erreichen. Trevino disponierte das klanglich herausragend, hob das diesmal mit Trauer umflorte Thema schön hervor. Mit weit greifenden Armbewegungen motivierte er die Violinen zu schmerzhaftem Stöhnen, bevor die Apotheose des Themas aus dem sauber intonierenden Blech aufstieg, sich endlich majestätisch durchsetzte. Das ging durch Mark und Bein – und die schlichte Schönheit und Erhabenheit dieser Musik wärmte einem das Herz selbst auf dem Nachhauseweg in der kalten Nacht noch.
Kaspar Sannemann, 14.1.2022