Aufführung am 27.06.2021, Aufführungen in Zürich: 25.6. | 27.6.2021
Das Internationale Opernstudio Zürich (IOS) wurde 1961 durch den damaligen Intendanten Herbert Graf gegründet, der seinen Posten 1960 unter der Bedingung angetreten hatte, dass dem Opernhaus (Stadttheater) eine Ausbildungsstätte für junge Sänger angegliedert werde, so wie er es während seiner vielen Jahre im Dienst amerikanischer Opernhäuser kennengelernt hatte. Als Patronatsgesellschaft und Mäzenin dient seither die Gesellschaft zur Förderung der Zürcher Oper (heute Freunde der Oper Zürich). Bereits aus dem ersten Sudienjahrgang ging eine Sängerin hervor, welche die Bühnen der Welt erobern sollte, Dame Gwyneth Jones. Das IOS entwickelte sich unter der Leitung engagierter musikalischer Leiter schnell zur renommierten Talentschmiede für junge Künstler, u.a. absolvierten Noëmi Nadelmann, Michèle Crider, Jukka Rasilainen, Peter Straka, Javier Camarena, Benjamin Bernheim sowie die heute noch im Zürcher Ensemble singenden Martin Zysset, Oliver Widmer und Judith Schmid das IOS. Dozenten sind zur Zeit u.a. Brigitte Fassbaender, Ann Murray, Fabio Luisi und Edith Wiens, sowie der amtierende Intendant Andreas Homoki. Homoki zeichnete auch für szenische Einrichtung dieser Gala verantwortlich. Dazu hatte er den abgedeckten Orchestergraben als Spielstätte für die verschiedenen Szenen ausgewählt, das herausragend und beseelt spielende Zürcher Kammerorchester (in grosser Besetzung und unter dem subtil differenzierenden Dirigat von Adrian Kelly) konnte auf der weit in die Tiefe reichenden Bühne des Opernhauses Platz nehmen und dabei die notwendigen Corona – Abstände wahren. Für das Programm hatte der derzeitige musikalische Leiter des IOS, Adrian Kelly, nicht etwa Wunschkonzert-Bravourarien ausgewählt, sondern liess die jungen Sänger ganze Szenen interpretieren. So konnten die Talente ihre Ensemble-Tauglichkeit und ihre schauspielerischen und mimischen Fähigkeiten (ein wichtiger Punkt der Ausbildung am IOS) gekonnt unter Beweis stellen. Homoki hat diese Szenen geschickt arrangiert, mit ein paar Stühlen, Smokings und von der Schneiderei des Opernhauses wunderschön auf die Figuren der Sängerinnen geschneiderte Abendroben.
„Mozart ist Balsam für die Stimme“, hat die grosse Vesselina Kasarova einmal gesagt, „Mozart hat alles. Er hat Liebe, Traurigkeit, Dramatik.“ Und an ihrem Mozart-Gesang kann man auch sehr gut die Qualitäten einer Sängerin, eines Sängers ermessen. Denn Mozart erfordert ein immenses Einfühlungsvermögen in die dargestellte Figur, erfordert Reinheit der Intonation gepaart mit differenzierter Ausdruckskraft, braucht dramatische Verve ebenso wie subtil eingesetzte Piani. Und Mozart stellte an diesem Abend einen Schwerpunkt der Szenen dar: Begonnen wurde mit der ersten Szene des ersten Aktes aus DON GIOVANNI, mit der fulminanten Donna Anna von Erica Petrocelli, den wunderbar timbrierten Bariton- und Bass-Baritonstimmen von Xiaomeng Zhang (Don Giovanni) und Andrew Moore (Leporello), dem schön klingenden, besorgten Tenor von Savelii Andreev (Don Ottavio) und dem autoritären, festen Bass von Oleg Davydov. Gleich danach sang Lina Dambrauskaité mit geforderter Hochdramatik, sicherer, stupender Höhe und geläufiger Linienführung die Arie Barbaro! aus Mozarts früher Oper IL RE PASTORE. Siena Licht Miller mit interessant herbem Timbre (Dorabella) und erneut Andrew Moore (als Guglielmo) glänzten im Duett aus Mozarts COSÌ FAN TUTTE und Vladislav Tlushch brachte alle Häme und seinen aufgestauten Zorn in der Szene des Grafen Almaviva aus dem dritten Akt von Mozarts LE NOZZE DI FIGARO zum Ausdruck.
Besondere Kehlkopfgeläufigkeit war in den diversen Ausschnitten aus Belcanto-Opern von Rossini und Donizetti gefragt, so bei Venti scudi aus Donizettis L’ELISIR D’AMORE, wo die weichen Kantilenen des Nemorino von Andrei Skliarenko wunderbar mit den Agitato-Parlandopassagen von Yannick Debus (Belcore) kontrastierten. Gleich drei Männerstimmen brillierten im musikalischen Räderwerk-Terzett aus Rossinis IL TURCO IN ITALIA: Luis Magallanes (Narciso), Vladyslav Tlushch (Prosdocimo) und Ilya Altukhov. Es folgten zwei Szenen aus Donizettis selten gespielter Oper LINDA DI CHAMOUNIX (war 1996 mit Edita Gruberova und Deon van der Walt in Zürich auf der Bühne zu erleben): Luca Bernard begeisterte mit seinem differenziert eingesetzten und herrlich dynamisch abgestuften Tenor in einer Soloszene aus dem zweiten Akt und Xiaomeng Zhang (Antonio) und Brent Michael Smith (Il prefetto) intrigierten gekonnt über Lindas Schicksal in der vierten Szene aus dem ersten Akt. Mit humoriger Verschlagenheit agierte Yuri Hadzetskyy als Dandini in der sechsten Szene aus Rossinis LA CENERENTOLA, assistiert von den kokettierenden Schwestern Tisbe (Katia Ledoux) und Clorinda (Lina Damrauskaité), deren Vater Don Magnifico (Oleg Davydov) und dem sanften Prinzen Don Ramiro (Luis Magallanes). Wunderbar in der Abstimmung der Stimmen erklangen das Schmugglerquintett aus Bizets CARMEN (Katia Ledoux, Ziyi Dai, Siena Licht Miller, Andrei Skliarenko und Savelii Andreev) und der Auftritt Zerbinettas mit ihrer Komödiantentruppe aus Richard Strauss‘ ARIADNE AUF NAXOS (Lina Dambrauskaité, Luis Magallanes, Luca Bernard, Yannick Debus und Oleg Davydov). Von Mut in der Zusammenstellung des Programms zeugte der Einbezug einer Szene aus Debussys PELLÉAS ET MÉLISANDE (an vielen Orten ist dieses wunderbare Werk leider „Kassengift“), in welcher Brent Michael Smith einen intensiven Auftritt als Arkel hatte. Ganz besonders nachhaltigen Eindruck haben auf mich die folgenden beiden Szenen dieses spannenden Abends gemacht: Ziyi Dai als Adina (zusammen mit Ilya Altukhov als Dulcamara) in der siebten Szene des zweiten Aktes aus Donizettis L‘ ELISIR D‘ AMORE. Mit atemberaubender Schönheit, Koketterie und Geläufigkeit, gepaart mit blühender Höhe und fein hingetupften Tönen und weichen Phrasen sang Ziyi Dai mit ihrem lichten Sopran die Adina. Herrlich! Ebenso grandiosen Eindruck hinterliess Katia Ledoux mit der „Suizid“-Arie aus Gounods SAPHO. Was für eine fantastische, farbenreiche und ausdrucksstarke Stimme. Frau Ledoux (sie liess bereits in der Produktion von IPHIGÉNIE EN TAURIDE aufhorchen) beeindruckte tief mit ihrem satten, wunderbar gestützt strömenden Mezzosopran. Hoffentlich kann man diese Künstlerin für einige Zeit am Haus halten.
Zum letzten Programmpunkt (zum Glück nicht das Brindisi aus der TRAVIATA!) durfte man nochmals alle Beteiligten mit Mozart erleben, dem musikalisch so packenden und mitreissenden Finale aus LE NOZZE DI FIGARO, das nach dem grossen und dankbaren Applaus des Publikums wiederholt werden musste.
Zum Abend:
Das Internationale Opernstudio feiert dieses Jahr einen „Runden“: Seit 60 Jahren besteht die Zürcher Talentschmiede nun schon, und einige der grössten Sängerpersönlichkeiten unserer Zeit sind daraus hervorgegangen. Grund genug, dieses Jubiläum gebührend zu feiern! In einem Gala-Konzert ist nun der aktuelle Sängernachwuchs im Opernhaus zu hören. Die jungen Sängerinnen und Sänger haben zwar wegen Corona ein schwieriges Jahr hinter sich, konnten aber unlängst in Donizettis Viva la mamma im Theater Winterthur glänzen, in Liederabenden wie Opera goes wild oder in wichtigen kleineren Partien in der Neuproduktion von Offenbachs Les Contes d’Hoffmann, die wir live gestreamt haben. Gemeinsam mit dem Zürcher Kammerorchester und unter der musikalischen Leitung von Adrian Kelly, der seit dieser Spielzeit auch Leiter des IOS ist, bringen sie berühmte Arien, Duette und Ensembles aus Opern von Mozart, Donizetti, Rossini und Richard Strauss zu Gehör. Auch Französisches mit einem Ausschnitt aus Debussys Pelléas et Mélisande, einer Arie aus der unbekannten Oper Sapho von Charles Gounod oder dem Schmugglerquintett aus Bizets Carmen werden besondere musikalische Leckerbissen sein. (Text: Opernhaus Zürich)
Kaspar Sannemann, 30.6.2021