Aufführung am 20.12.2017
Lichter Altersglanz in souveräner Perfektion
Wolfgang Amadeus Mozart: Klavierkonzert Nr.27 in B-Dur, KV595 | Uraufführung: 4. März 1791 in Wien | Anton Bruckner: Sinfonie Nr.4 in Es-Dur, „Romantische“
Die Werke zweier österreichischer Giganten unter den Komponisten (Mozart und Bruckner) standen auf dem Programm dieses Extrakonzerts in der Tonhalle Maag – zwei „Giganten“ der Klassikszene, ja lebende Legenden (die über 70jährige Pianistin Maria João Pires und der bald 89jährige Dirigent Bernard Haitink), präsentierten sie zusammen mit dem vor bald 150 Jahren gegründeten Tonhalle Orchester Zürich in der ausverkauften Interimsspielstätte Tonhalle Maag dem begeisterten Publikum.
Den Anfang machte Mozarts letztes Klavierkonzert, die Nr.27, KV595, dieser verinnerlichte, leicht melancholisch durchwobene Abschied Mozarts von der Gattung des Klavierkonzerts. Und genau diesen nach innen gerichteten Hauch von Wehmut vermochten Maria João Pires und Bernard Haitink zusammen mit dem herrlich konzentriert aufspielenden Tonhalle Orchester Zürich mit berührender Schlichtheit zu evozieren, dank perfekt disponierter Tempi, die nie überhastet wirkten und so ein tiefe Empfindsamkeit der Interpretation ermöglichten. Es gab da immer wieder atemberaubende Momente des Zusammenspiels: So die Harmonie des sanft-weichen Anschlags der Pianistin mit der Soloflöte, die sublime Hornüberleitung im Larghetto, dessen Hauptthema zuvor von Maria João Pires so wunderbar romanzenhaft vorgestellt worden war, das Dialogisieren im finalen Rondo. Über die stupende technische und rhythmische Sicherheit der Pianistin braucht man keine Worte zu verlieren, wohl aber über die Behandlung des einzelnen Tons: Wie sie diesen Tönen quasi nachzuforschen scheint, ihren Nachhall einzufangen und dynamisch zu dosieren sucht, ihrer Bedeutung wie eine Forscherin nachzuspüren gewillt ist – auch inmitten expressiver Läufe und fantastisch präziser Triller in der Kadenz des Kopfsatzes – das lässt dann schon aufhorchen. Wenn dann am Ende, nach der zweiten Kadenz im Rondo, sich das Orchester quasi auf Samtpfoten durch die Hintertür wieder hereinschleicht, dann entsteht ein solch magischer Moment des Musizierens, wie man ihn nur im Konzertsaal erleben kann.
An magischen, ja geradezu mystischen Momenten herrscht in Bruckners 4. Sinfonie, der „Romantischen“ auch kein Mangel. Bernard Haitink strahlt dabei eine überlegene Ruhe aus, lässt die crescendierenden Wogen ausgeklügelt an- und abschwellen, malt das Geheimnisvolle und Rätselhafte des Waldesrauschens zusammen mit dem mit fantastischer Präzision intonierenden Orchester mit einer faszinierenden, transparenten Palette an Klangfarben. Wunderbar die Naturquinte des Horns über den murmelnden Streichern, welche das Hauptthema des ersten Satzes eröffnet, ein Thema, welches Bruckner dann fast bis zum Exzess in diesem Satz verarbeitet hatte, dessen man beinahe – aber eben nur beinahe – überdrüssig wird, und sich dann doch freut, wenn es sich in der Coda des Finales nochmals in all seiner Grandiosität wie ein erratischer Block erhebt. Der beiden Hauptthemen des zweiten Satzes (Andante) werden von den tiefen Streichern geprägt, erst von den Celli, dann diese wunderbare Melodie in den Bratschen, begleitet von den präzisen Pizzicati der restlichen Streicher. Meisterhaft gelingen die spannenden Überleitungen, der verdeckt aufkeimende Jubel, das abrupte Absinken in mystische Tiefen und dann die im Pianissimo verklingenden Wirbel der Pauke, die einem den Atem stocken lassen. Dafür hat der Paukist einen Extraapplaus mehr als verdient, wie auch die Blechbläser, welche im Jagdscherzo Enormes zu leisten haben, und diese Aufgabe mit Brillanz und Bravour meistern. Nach dem von Flöte und Klarinette geprägten Trio mit seinem so beruhigend wiegenden Charakter erklingt nochmals der Hauptteil des Scherzos, eine schon fast gefährlich soghafte Wirkung des rasanten Hörnerklangs und Trompetenschalls stellt sich ein. Wuchtig und brucknerisch mitreissend dann die kathedralenhaften Blöcke im Finalsatz. Auch hier nimmt Haitink die Bezeichnung “bewegt, doch nicht zu schnell“ sehr genau, ermöglicht dadurch eine grandiose Durchhörbarkeit des thematischen Materials, das bei ihm nie einfach zum effektvollen Auftürmen missbraucht wird, sondern auch er (wie Pires zuvor bei Mozart) spürt den Gedanken des Komponisten nach, forscht, grübelt in den dräuenden Klängen, arbeitet Herzklopfen und tänzerische Motive heraus, lässt Themengruppen gegeneinander kämpfen. Man bemerkt ein beinahe erotisches Beben und Pochen in diesem hochromantischen Wald, wo sich Hänsel und Gretel fürchten, wo aber auch immer wieder eine unheimliche Ruhe vor dem Sturm einkehrt, ein Sturm, der manchmal sehr wild daher braust, und doch grandios ist und süchtig nach mehr macht … . Dirigent und Orchester wurden nach diesen 70 Minuten deshalb auch mit stürmischen Ovationen gefeiert. Mehr als verdient!
Dies war mein erster Besuch in der Interimsspielstätte der Tonhalle Gesellschaft Zürich. Für drei Spielzeiten residiert das Orchester in der Maaghalle im Kreis fünf (nur wenige Schritte vom Bahnhof Hardbrücke und diversen Bus- und Tramhaltestellen, also mit ÖV beinahe besser zu erreichen als der Saal am See). Die in diese Industriehalle hineingebaute, hölzerne Konzertsaal-Box übertrifft die Erwartungen. Akustisch profitieren vor allem die Holzbläser und das Blech, auch der Flügel klang ausgezeichnet. Für die Streicher fehlt es vielleicht etwas an den Möglichkeiten zur Ausbreitung des Klangs, was zu Lasten der Wärme geht, dafür jedoch für eine beinahe kristalline Klarheit sorgt. Bei Tutti im Fortissimo besteht natürlich noch mehr die Gefahr der pastosen Lärmigkeit, doch an diesem Abend hatte Haitink dieses Problem erstaunlich souverän im Griff.