Triest: „La Bohème“

Immer wieder gibt es erfreuliche Überraschungen – und das in der sogenannten italienischen „Provinz“!

Beim Studium der Termine des Teatro Verdi Trieste stellt der Opernfreund fest, dass es nicht allzu weit von Triest ein zweites Teatro Giuseppe Verdi gibt – und zwar in der friulanischen Kleinstadt Pordenone, die man vor allem wegen ihrer malerischen historischen Altstadt mit Dom, herrlichem gotischen Palazzo Communale und den in Laubengängen sich öffnenden Häusern der Gotik, der Renaissance und des Barocks mit freskengeschmückten Fassaden kennt. Als kulturinteressierter Österreicher – Pordenone bildete immerhin vom 10. bis zum 16.Jahrhundert eine österreichische Enklave – ist man sofort entschlossen, diesem Teatro Verdi in Pordenone einen Besuch abzustatten. Und dann kommt eine weitere Überraschung: In Pordenone gibt es seit 2005 ein modernes, architektonisch bemerkenswertes Theater mit fast 1000 Plätzen – siehe dazu: Teatro und siehe die beiden Fotos, die gerade erst in diesen Tagen bei einem Gastspiel der Berliner Symphoniker gemacht und mir für diesen Bericht zur Verfügung gestellt wurden:

Copyright: Luca D’Agostino-Phocus Agency, teatro Verdi, Pordenone

Das Teatro Communale Giuseppe Verdi Pordenone hat ein reiches und vielfältiges Jahresprogramm mit Theater, Ballett, Orchesterkonzerten und gastierenden Opernproduktionen – siehe: cartellone

Sehr erfreulich auch die Akzeptanz durch das lokale Publikum und die Auslastung des Hauses: In der Saison 2011/ 12 waren es bis einschließlich März bereits 47.670 Besucherinnen und Besucher! Ich erlebte ein Gastspiel des Teatro Giuseppe Verdi di Trieste im Teatro Giuseppe Verdi di Pordenone. Die Produktion in der Regie von Elisabetta Brutta und in den Bühnenbildern des Teatro Regio di Parma hatte am 13.April ihre umjubelte Premiere in Triest gehabt und ist nun auf Tournee – nach Udine eben nun in Pordenone.

Alle Produktionsbilder: Fondazione Teatro Lirico "Giuseppe Verdi" – Trieste,Parenzan- Visualart TS

Und es erwies sich, dass eine völlig traditionelle Inszenierung mit liebevoller Personenführung berühren kann und gar nicht verstaubt wirkt, wenn überzeugende Sängerpersönlichkeiten auf der Bühne stehen und der Dirigent stilbewußt führt.

Dieser „maestro concertatore e direttore“ war an diesem Abend Donato Renzetti, der heute zweifellos zu den erfahrensten italienischen Opernkapellmeistern zählt. Er verstand es, stets die richtigen Akzente zu setzen, wunderbare Rubati, Crescendi und Decrescendi dem gut disponiertem Orchester zu entlocken und die Sänger wahrhaft zu tragen und auch im Forte nie zuzudecken. Das war großartige italienische Operntradition!

Die junge Rossana Potenza (siehe: Rossana_Potenza ) hatte unter Renzetti schon an mehreren Häusern die Mimi verkörpert – und sie überzeugte mich an diesem Abend uneingeschränkt. Sie war keine vordergründig strahlende Diva, sondern ein berührend einfaches Mädchen mit warmer, in allen Lagen ausgewogener Stimme und uneitler Körpersprache. Mit Recht hatte sie am Schluß den größten Beifall.

Ihr Rodolfo war der Franzose Jean Francois Borras – auch er stellte eine durch und durch überzeugende Figur auf diie Bühne. Ich hatte ihn in dieser Rolle schon vor knapp zwei Jahren einmal gehört. Seither hat er seine Legatokultur erfreulich weiterentwickelt – bombensichere Spitzentöne werden nicht als Selbstzweck präsentiert, sondern sehr schön in die Gesangslinie eingebunden. Der Albaner Gezim Myshketa hat mit seinen erst dreißig Jahren wahrhaft „una voce ricca“ – dunkel-timbriert mit kernigen Höhen. Nur einige wenige Male forcierte er unnötig – und dann klang die Stimme flach. Aber er ist zweifellos auf dem Wege zu einer großen Karriere.

Die überaus erfahrene Daniela Mazzucato ergänzt als Musetta gekonnt und gebührend effektvoll. Der Bassist Dario Russo – aus dem Opernchor von Catania hervorgegangen – zeigt als Colline prächtiges Material, das noch weiter zu kultivieren sein wird. Einzig der Schaunard von Massimiliano Gagliardo fiel ein wenig ab – zu hart und zu wenig fundiert klang sein Bariton. Die kleinen Rollen sind durchwegs adäquat besetzt. Der Chor (samt Kinderchor) zeigte sich spielfreudig und klangschön.

Es war ein uneingeschränkt zu genießender Puccini-Abend – ganz aus der natürlichen Emotion heraus auf hohem Niveau interpretiert und vom vollen Haus dankbar aufgenommen. Um also zum Anfang dieses Berichts zurückzukommen: Die italienische „Provinz“ hat sich an diesem Abend von ihrer allerbesten Seite gezeigt – und das in einem wunderschönen modernen Theatergebäude mit ausgezeichneter Akustik!

Es empfiehlt sich, die weiteren Opernpläne Pordenones zu verfolgen – im nächsten Jahr ist dem Vernehmen nach ein „Barbiere di Siviglia“. Pordenone im Friaul ist zweifellos einen Besuch wert!

Hermann Becke

Und ganz zum Schluß noch etwas anderes:

Versäumen Sie nicht, durch die wunderbare friulanische Bergwelt zu wandern. Und wenn Sie dies tun wollen, dann kommen Sie nicht an folgender wunderbarer Homepage vorbei: http://www.sentierinatura.it/ . Und wenn Sie schon nicht wandern, dann schauen Sie zumindest die prachtvollen Panoramaaufnahmen an !