Aufführung am 14.6.2021
Volksoper im Casino am Schwarzenbergplatz
Vor knapp zwei Jahren war im Wiener Konzerthaus das interkulturelle, mehrsprachige Musiktheaterprojekt „Orfeo & Majnun“ von Moneim Adwan, Howard Moody und Dick van der Harst als österreichische Erstaufführung zu sehen. Darin wurde die antike Sage von „Orpheus und Eurydice“, wie sie von Ovid in seinen Metamorphosen (10,1-105) geschildert wird, mit der Liebesgeschichte „Layla und Majnun“ (um 1188) des persischen Dichters Nizami von Gandscha (1141-1209) nach einer präislamischen, arabisch-beduinischen Legende, verbunden. Das von Komponist Detlev Glanert (6.9.1960*) als „Märchen für Musik“ benannte Musiktheaterwerk erlebte seine Uraufführung am 28. Mai 1988 als Auftragswerk der 1. Münchner Biennale für neues Musiktheater. Es war seine erste Oper. Die Neufassung von 2016 wurde sodann am 12. Mai 2017 an der Staatsoper Hannover erstaufgeführt und nun im Kasino am Schwarzenbergplatz als österreichische Erstaufführung vorgestellt. Das ursprüngliche Libretto stammte von Aras Ören und Peter Schneider und wurde von Regisseurin Ruth Brauer-Kvam und Nicolaus Hagg, der durch die Oper als Erzähler Zenne führt, für die Volksoper neu eingerichtet. Die Gesamtdauer betrug erquickliche und spannungsgeladene 100 Minuten.
Die Geschichte des Liebespaars „Leila und Madschnun“ wurde in der arabisch-persischen
sowie der türkisch-kurdischen und urdusprachigen Literatur in unterschiedlichen Formen ausgestaltet. Zu Beginn der Oper sieht man an der Wand des Casinos hinter den Musikern eine Einblendung, auf der die Übersetzung der Namen des Liebespaares samt der arabischen Umschrift (fälschlicherweise aber von links nach rechts, statt umgekehrt von rechts nach links geschrieben). Vielleicht war man vorschnell der Meinung, der durchschnittliche Besucher der Aufführung könne die arabischen Schriftzeichen ohnehin nicht lesen? Allerdings hätte dieser „Fehler“ sicherlich der Regisseurin auffallen können, da ja auch Ivrit von rechts nach links geschrieben wird. Wobei sich für mich noch eine weitere linguistische Frage auftut, weshalb Madschnun bei Glanert mit dem Vokal „e“ als „Medjnun geschrieben wird, obwohl es diesen Vokal zumindest im Arabischen gar nicht gibt? Aber solche Überlegungen möchte ich an dieser Stelle nicht weiter vertiefen. Der Inhalt dieser tragischen orientalischen Romeo und Julia-Liebesgeschichte ist schnell erzählt: Der türkische Zauberer Zenne erzählt das Märchen aus heutiger Sicht.
Leyla (arabisch: Nacht) und Medjnun lieben einander gegen den Willen der Gesellschaft. Der Dichter Medjnun ist in die Liebe verliebt, während Leyla in Medjnun den Menschen liebt. Leylas Eltern wünschen sich einen anderen Bräutigam für ihre Tochter und Medjuns Vater sorgt sich um seinen Sohn Qais, weil dieser nach Leyla verrückt (arabisch: „madschnun“, wörtlich „von Jinn besessen“) ist. Diese wird gegen ihren Willen aber mit einem anderen Mann verheiratet. Medjnun aber zieht sich in die Wüste zurück, wo er mit Tieren spricht, deren Sprache er durch seine absolute Liebe versteht. Leyla aber, von ihren Eltern zur Ehe mit einem anderen Mann gezwungen, verfällt und stirbt. Das von
Gerrit Prießnitz umsichtig geleitete Kammerorchester von 10 Musizierenden setzte sich aus erster und zweiter Violine, Viola, Cello, Kontrabass, Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Harfe, Schlagwerk, Klavier / Celesta und einer Oud, einer Kurzhalslaute aus dem Vorderen Orient, zusammen. Mag Glanert seine musikalischen Wurzeln auf die Spätromantik (Mahler) und den Impressionismus (Ravel) zurückführen, beweist die Musik zu Leyla und Medjnun ebenso den Einfluss der Moderne (Berg, Henze, Rihm) sowie zeitgenössischer Klangfarben. Und es mögen sich noch weitere, dem Verfasser dieses Berichtes unentdeckte „musikalische“ Anspielungen in der Partitur verborgen haben, dennoch bleibt seine Klangsprache authentisch und stets zuhörerfreundlich.
Ruth Brauer Kvam schuf eine sensible Regie samt spannender Choreographie, die sich auf den mit orientalischen Teppichen ausgelegten Fußboden des Casinos in heutigen Kostümen von Monika Rovan entrollte. Atilla Gümüssuyu trainierte die Sänger für die Aufführung auch in österreichischer Gebärdensprache, die während der Aufführung fallweise zum Einsatz gelangte.
Das darstellende Ensemble umfasste neben einem Erzähler noch neun Sänger und Sängerinnen. Mara Mastalir bot für Leyla einen in allen Registern angenehm tönenden Sopran in allen Lagen auf. Alexander Pinderak stand ihr mit seinem heldenhaften Tenor als Medjnun in nichts nach. Manuela Leonhartsberger besaß für die Rolle von Leylas dominanter Mutter den passenden kräftig-kantigen Mezzo. Bariton Günter Haumer trat in so unterschiedlichen Rollen wie Medjnuns Vater, als Jäger und am Ende der Oper noch als Arzt, der Medjnun heilen möchte, auf. Der aus dem Iran stammende Mehrzad Montazeri versah die Rollen des Schneiders, Bräutigams und Kriegers mit seinem sehr gut geführten, eher lyrischen Tenor. In den weiteren kleineren Rollen waren noch Tenor Christian Drescher als Schuster, Bariton Daniel Ohlenschläger als Schmied und Löwin, sowie die beiden Soprane Anna Nekhames und Johanna Arrouas als Morgenvogel und als Reh zu bewundern. Dieses neunköpfige Ensemble trat während der Oper aber auch als Schüler, Tiere und als Totenchor auf. Die gut besuchte Aufführung wurde am Ende von allen Zusehenden ausgiebig mit Applaus bedankt.
Harald Lacina, 15.06.21
Bilder: Volksoper / (c) Philine Hofmann