Wien: „Cabaret“

… wenn es passiert, dass die Intensität des Stückes so groß ist, dass man nicht dazu kommt, die Darbietungen wirklich zu genießen…

Volksoper Wien, 22.10.2020

TRAILER

Die Volksoper ist,wie ich schon des öfteren geschrieben habe, das wichtigste Haus in Wien für „klassische“ Musicals. „Cabaret“ fällt, wie auch das parallel gespielte „Sweet Charity“, gerade noch in diese Periode. Schon ein paar Jahre später, beginnend mit „Godspell“ oder „Hair“, änderte sich dann die Instrumentierung – weg vom klassischen Big-Band-Sound hin zu rockigeren Tönen.

Trotz der Musical-Tradition der Volksoper feierte das Stück erst im Vorjahr seine Wiener Erstaufführung – und dem Leading Team ist da ein großer Wurf gelungen! Regisseur Gil Mehmert, Choreographin Melissa King erweckten das Berlin zu Ende der 20er-Jahre zum Leben, die Kostüme von Falk Bauer sind der Periode entsprechend. Die Bühnenbildnerin Heike Meixner setzte klug die Drehbühne ein, sodass die Szenenwechsel vom Kit-Kat Club zur Pension der Frau Schneider harmonisch und rasch ausgeführt werden können.

In unseren Breiten wurde das Stück besonders durch die grandiose Verfilmung aus 1972 bekannt – Liza Minelli als Sally Bowles setzte da einen Meilenstein und Joel Grey ist als Conférencier noch immer unübertroffen. Interessant ist, dass für die Verfilmung das Autorenteam John Kander und Fred Ebb noch drei Songs hinzufügten, die in der Bühnenversion nicht vorhanden waren. Die Volksoper entschied sich für eine Produktion in deutscher und englischer Sprache und übernahm vom Film auch das bekannte Lied „Mein Herr“.

Der viel zitierte „Tanz auf dem Vulkan“ beschreibt die letzten Jahre der Weimarer Republik, in denen, bedingt auch durch die Weltwirtschaftskrise, die Bevölkerung sich dem ganz linken und ganz rechten politischen Lager zuwendete (was man aktuell auch in den USA sehen kann, obwohl es ja dort nicht wirklich ein „linkes“ Lager gibt), gleichzeitig aber nicht daran glaubte, dass die braunen Horden tatsächlich so extrem agierten wie sie sich gebärdeten. Als Beispiel dafür sei in diesem Stück der Gemüsehändler Schulz genannt (unaufdringlich gespielt vom Volksopernboss himself, Robert Meyer), der ja bis zum Schluss die Angriffe auf sein Geschäft verharmlost – so lange, bis es für ihn zu spät ist. Das erinnert auch sehr auf eine Szene des „Ship of Fools“, in der Heinz Rühmann in der Rolle des Julius Löwenthal sinngemäß meint „Was können sie schon mit uns machen? Alle töten?“.

Oliver Liebl als Ernst Ludwig, ein höherrangiges SA-Mitglied, überzeugte sehr in seiner Darstellung – er beherrschte das Ende des 1.Aktes – die ersten Zeichen der Nazi-Herrschaft schlugen sich auch auf die Applausfreudigkeit des Publikums nieder – die Stimmung war da wirklich gedrückt.

Die Rolle des Conférenciers ist in diesem Musical eine ganz wichtige, und auch eingedenk des fast übergroßen Schattens von Joel Grey ist es besonders wichtig, hier eine ausdrucksstarke und überzeugende Persönlichkeit zu finden. Dies gelang in dieser Produktion – Ruth Brauer-Kvam ist ein androgyner Marionettenspieler, schauspielerisch und gesanglich herausragend und schwebte de facto als Todesengel über allen anderen Mitwirkenden.

Die weibliche Hauptrolle der Sally Bowles war bei Bettina Mönch bestens aufgehoben. Sally ist ja nicht wirklich eine Sympathieträgerin, sondern im Prinzip recht rücksichtslos. Das konnte Frau Mönch gut rüberbringen. Gesanglich ließ sie keine Wünsche offen – sie beherrscht die Technik bestens und hat eine echte „Rockröhre“. Der Clifford Bradshow wurde von Jörn-Felix Alt fast etwas zu brav verkörpert, allerdings passte diese Darstellung für einen Schriftsteller recht gut. Dagmar Hellberg setzte als Fräulein Schneider all ihre Routine ein und sorgte auch für die „Berliner Schnauze“ – sie ist die einzige, die nicht hochdeutsch sprechen musste. Sehr gut auch Johanna Arrouas als Fräulein Kost.

Für die kleineren Rollen sei hier ein Pauschallob ausgesprochen, ebenso für das Orchester der Volksoper Wien unter der Leitung von Lorenz C. Aichner.

Der Abend war sehr intensiv und machte sehr betroffen. Es ist ein wichtiges Stück in einer großartigen Produktion.

Kurt Vlach, 26.10.2020

Bilder (c) Barbara Palffy