Wien: „Die letzte Verschwörung“, Moritz Eggert

Lotte de Beer hat in ihrer Eigenschaft als Direktorin der Wiener Volksoper keine Zeit verloren. Auch Musiktheater muss Neues bieten, und das erreicht man am besten durch Auftragswerke. Nach der Tradition des Hauses wurde der Versuch mit dem Genre „Operette“ unternommen, wobei der deutsche Komponist Moritz Eggert „Die letzte Verschwörung“ eine „Mythos-Operette“ nennt und von der Handlung her ganz in die Gegenwart (und Zukunft) holt.

Ob es kritisch gemeint ist, ironisch oder nur lustig – jedenfalls gibt es in der Inszenierung der Hausherrin zwar sehr viele Video-Elemente, aber jedenfalls, das sei zur Beruhigung gesagt, weil es ja nicht mehr selbstverständlich ist, stehen wirkliche Menschen auf der Bühne. Immerhin.

© Barbara Pálffy

Mit wirklichen Menschen kommt die Geschichte um die titelgebenden „Verschwörungen“ allerdings nicht aus. Es beginnt scheinbar real – mit einer Talkshow. Talkmeister Friedrich Quant hat einen Verschwörungstheoretiker zu Gast. Und wie das Leben so spielt, gleitet er in diese Welt, als er sich darauf einlässt. Es beginnt noch harmlos mit der Behauptung, die Welt sei ja doch eine Scheibe. Dann tauchen die „Reptilienwesen“ als heimliche Herrscher auf. Oder sind es doch die Illuminaten? Nein, der „Kanzler“ (der auch singt „Wir sind nicht in Ibiza“), der von einer dämonischen Russin offenbar ein Menschenvernichtungsprogramm gekauft hat, erweist sich ebenso als Reptil wie diese. Nicht genug damit – nun tauchen auch noch die Außerirdischen auf. Und damit letztlich eine Prise Horror dabei ist, werden Kinder geschlachtet (die man zuerst als Pizza verspeist hat)…

Wie klingt das? Wie ein C-Movie aus einem Hinterhof-Studio in Hollywood, das gar nicht erst ins Kino kommt, sondern gleich als DVD billig verramscht wird. Ein Blödsinn reiht sich an den nächsten, und wenn Friedrich Quant als zentraler Held auch seine Familie verliert, eine Geliebte gewinnt, zum Blog-Star (oder Influencer?) wird und tatsächlich im Strudel der Geschehnisse untergeht – eine richtige Geschichte wird das nicht. Und auch keine, die sich wirklich mit den Verschwörungstheorien auseinander setzt, die ja, wie wir wissen, ziemlich gefährlich sein können. Im Grunde ist alles nur Vorwand für eine Riesenshow, wo immer man sie entfesseln kann. Was ja im Rahmen des Musiktheaters legitim sein mag.

© Barbara Pálffy

Aber Operette? Der Komponist erzählt, wie viel er zitiert und variiert hat. Er lässt die Sänger tonal singen und probiert tatsächlich vieles aus, so dass man wirklich nicht bezweifelt, wie gut er die vielen Musiksprachen beherrscht (Wikipedia verzeichnet eine stattliche Anzahl seiner Bühnenwerke). Aber die wahre, die schwungvolle, die melodiöse Operettenqualität hat er nicht. Das ist Musik, die eben da ist, aber keine, der man besonders gerne zuhört oder die aufhorchen machte. Und die Idee, dass man irgendeine Melodie behalten könnte, ist so weit entfernt wie das Raumschiff, in das sich die Aliens begeben, um wieder abzureisen.

Lotte de Beer, die sich am Ende einen Kurzauftritt als Regisseurin gönnt (nur bei der Premiere, oder wird sie das bei allen Vorstellungen tun? Kontakt zum Publikum und so…), lässt die Geschichte flott ablaufen, kann aber natürlich nicht verhindern, dass die evidente Dummheit der Geschichte immer wieder schmerzt. (Sicher, Operetten-Libretti haben sozusagen ein verbrieftes Recht, dumm zu sein, aber so?) Man hat gewusst, dass sich am Ende alles als Traum herausstellen würde, pardon, als „Simulation“ des „Systems“, um es zeitgemäß für unsere digitale Welt auszudrücken. (Und natürlich ist Bill Gates an allem schuld.) Ein „Moderator“, der immer wieder aus dem Off Details der Geschichte erzählt, hilft bei dem Handlungs-Durcheinander, auch wenn man ihn nicht immer versteht, wenn die Musik zu laut ist. Und die Sänger versteht man, wie im Musiktheater so oft, sowieso einfach zu wenig. Wenn man aber die Übertitel zur Hilfe nimmt, merkt man, dass man bei diesem Text nichts versäumt.

© Barbara Pálffy

Das Bühnenbild von Christof Hetzer tritt hinter dem Videodesign von Roman Hansi zurück, das mit der heute üblichen Perfektion funktioniert, Jorine van Beek darf sich als Kostümbildnerin besonders austoben, wenn es um Reptilien und Außerirdische geht. Dennoch konzentriert sich der Showcharakter auf einzelne Szenen, es ist viel schlichtes „Theater“ dabei, das nicht so aufregend ausfällt.

Timothy Fallon, den fülligen Tenor mit der durchdringenden Stimme, hat man schon in „Orpheus in der Unterwelt“ kennen gelernt, hier spielt er den von alle Verschwörungstheorien gebeutelten Durchschnittsmenschen sehr überzeugend. Als etwas glanzlose Verführerin holt ihn Rebecca Nelsen von seiner Frau weg. Diese darf in Gestalt von Wallis Giunta neben der Gattin noch viel komischer die russische Oligarchin spielen, die sich mit „Kanzler“ Daniel Schmutzhard im Bett als Reptilin outet.

© Barbara Pálffy

Jakob Semotan als Quants Manager, Orhan Yildiz als düsterer Verschwörungstheoretiker (soll er als FBI-Mann derselbe oder ein anderer sein?), Aaron Pendleton als der Mann, der Quandts Frau wegschnappt, sowie Annelie Sophie Müller als superschlanke Fernseh-Chefin haben noch größere Rollen. Am Pult steht Steven Sloane.

So sieht also eine „Mythos-Operette“ von heute aus. Ein Großteil des Publikums fand das lustig und klatschte heftig. Ein einsamer Buhrufer stand für jene, die eher meinen: Das brauche ich nicht wirklich.

Renate Wagner, 26. März 2023


Die letzte Verschwörung

Moritz Eggert

Volksoper Wien

Uraufführung

Premiere: 25. März 2023

Inszenierung: Lotte de Beer

Dirigat: Steven Sloane

Orchester der Volksoper