Birgit Nilsson war 59 Jahre alt, als sie zum letzten Mal an der Wiener Staatsoper die Isolde gesungen hat. 2018 erhielt ihre Landsmännin (oder heißt es jetzt Landsfrau?) Nina Stemme den Birgit-Nilsson-Preis. Und nun macht es Nina Stemme ihrer großen Vorgängerin nach und sang kurz vor ihrem 60. Geburtstag ihre letzte Wiener Isolde, nachdem sie sich bereits vor einem Jahr – ebenfalls an der Wiener Staatsoper – von der Brünnhilde verabschiedet hat. Am 13. Juni 2013 sang Nina Stemme in der Premiere der McVicar-Inszenierung zum ersten Mal in Wien die Isolde, somit kam das Wiener Publikum leider nur sieben Mal in den Genuss, sie in dieser Partie live erleben zu können. Und ein Erlebnis war auch diese letzte Vorstellung – trotz der grauenvollen Produktion von Calixto Bieito, die leider zwischenzeitig die McVicar-Inszenierung abgelöst hat.
Bewundernswert, wie Nina Stemme diese Partie noch immer bewältigt. Sie bringt alles mit, was für diese Rolle benötigt wird. Die Stahlkraft in den dramatischen Ausbrüchen, den innigen Ausdruck in den lyrischen Passagen, leuchtende Spitzentöne, schöne Phrasierung und dazu ein überzeugendes Rollenporträt, das von Wut über Verzweiflung bis zur Verklärung am Schluss einen beeindruckenden Bogen spannt (und in dieser Bieito-Inszenierung will das was heißen). Die große Bandbreite der vokalen Gefühle gipfelte in einem überirdisch schön gesungenen Liebestod.
Ihr zur Seite Andreas Schager als unermüdlicher Tristan. Man hat den ganzen Abend über den Eindruck, als hätte sein metallisch strahlender Heldentenor unerschöpfliche Ressourcen. Wann hatte zuletzt ein Sänger bei den gefürchteten Fieberträumen im 3. Akt noch so viel Kraft, um die zehrenden Sehnsüchte und die erlittenen Qualen so farbenreich und mühelos besingen zu können?
Christof Fischesser war mit Wortdeutlichkeit und seinem weich strömenden Bass vokal ein eindrucksvoller König Marke. Darstellerisch wird er in dieser Inszenierung vom Regisseur völlig alleingelassen, da dieser dem Arrangement der nackten Statisten wohl mehr Bedeutung zugemessen hat.
Christa Mayer ist regelmäßigen Besuchern der Semperoper in Dresden bekannt. Dort wurde sie in der Zwischenzeit auch schon zur Sächsischen Kammersängerin ernannt. Seit 2008 tritt sie alljährlich bei den Bayreuther Festspielen auf und seit 2014 auch bei den Salzburger Osterfestspielen. In Wien war sie bisher nur in Konzerten zu hören, nun gab sie in dieser Aufführungsserie von „Tristan und Isolde“ ihr Debüt an der Wiener Staatsoper. Mit müheloser Kraft, ihrem dunklen Timbre und hervorragender Textverständlichkeit gestaltete sie differenziert und farbenreich die Brangäne, die in dieser Inszenierung unnötigerweise auch noch zwei Fische zu tranchieren hat.
Iain Paterson war mit zu kleinem Stimmvolumen nicht mehr als achtbar als Kurwenal. Vielleicht wäre da Clemens Unterreiner eine bessere Besetzung für Tristans treuen Freund? Als Melot gewann Unterreiner den Kampf gegen Kurwenal auf jeden Fall in vokaler Hinsicht. Auf der Bühne fand ja der vom Komponisten vorgesehen Kampf zwischen den beiden gar nicht statt.
Daniel Jenz als schönstimmiger Hirte, Jusung Gabriel Park als Steuermann und Hiroshi Amako als junger Seemann ergänzten die Besetzung zufriedenstellend.
Nachdem die Wiener Philharmoniker bereits am Vormittag unter Christian Thielemann mit Bruckners 8. Symphonie für eine absolute Sternstunde gesorgt hatten, präsentierte sich das Orchester der Wiener Staatsoper auch am Abend in Bestform und bot unter der musikalischen Leitung von Philippe Jordan einen Klangrausch von betörender Schönheit. Mir kam es so vor, als hätte Philippe Jordan die Lautstärke gegenüber der Premiere etwas gedämpft. Aber möglicherwiese habe ich diesen Eindruck nur deshalb erhalten, weil ich diesmal nicht auf der Galerie, sondern im Parkett gesessen bin, und da der akustische Eindruck natürlich ein anderer ist.
In den beiden Pausen gab es einen wahren Exodus von davonfliehenden Zusehern, darunter waren auch viele der vom Operndirektor so umworbenen U-27-Besucher. Aber der harte Kern der Wagnerianer harrte trotz der Inszenierung aus und feierte am Ende 15 Minuten lang die Künstler, allen voran Nina Stemme und Andreas Schager für ihre grandiosen Gesangsleistungen.
Mit dieser Vorstellung schließt sich wieder ein Kapitel des Wagnergesangs an diesem Haus. Wann wird die Wiener Staatsoper wieder eine nur annähernd so gute Interpretin der Isolde anbieten können?
Walter Nowotny, 12. März 2023
Besonderer Dank man unsere Freunde vom MERKER-online (Wien)
Tristan und Isolde
Richard Wagner
Wien
26. Februar 2023
Regie: Calixto Bieito
Dirigat: Philip Jordan
Orchester der Wiener Staatsoper