Premiere: 20. Juni 2019
Zugegeben, der letzte „Otello“ der Staatsoper war eine Zumutung, einer der Holender-Mielitz-Mißgriffe und so ärgerlich, dass man – obwohl man gerade diese Oper liebt – gar nicht mehr hinein gehen wollte (genau übrigens wie in die „Traviata“ von Jean-Francois Sivadier…). Einzusehen, dass man dergleichen eliminiert hat – aber wenn man nun eine Inszenierung bekommen hat, die zwar brauchbar ist (ein Bühnenbild, in dem alle Stars gastieren können), aber im übrigens nichts weiter, kein bißchen, das interessiert oder begeistert… dann ist das auch ein wenig mager. Dennoch, das sei gleich gesagt: Das Publikum zeigte sich beim Schlußbeifall von allem, was es sah, hoch angetan, und ein einziger Buh-Ruf für die Regie, der gleich unterging, fiel da nicht ins Gewicht. Heißt das, dass man damit richtig liegt?
Wenn man genau hinsieht, ist die Inszenierung von Adrian Noble voll von Fragwürdigkeiten im Detail, aber wer wird schon genau hinsehen, wenn man sich auf die Sänger konzentriert? Das Verschieben von Zeitebenen ist mittlerweile die Regel bei Inszenierungen, die als „modern“ gelten wollen, aber was der Anfang des 20. Jahrhunderts (anstelle des originalen 15. Jahrhunderts) zu der Geschichte beitragen soll, wird nicht klar, auch wenn wir erklärt bekommen, dass die Venezianer auf Zypern vor dem Hintergrund des Kolonialismus zu betrachten sind? Ja, was bringt das zur Geschichte?
Nichts davon in der Bühnenrealität zu erleben – nur der Chor, dem im Hafen von Famagusta (? jedenfalls besichtigt man dort als Tourist die Otello-Burg) begegnet, verwundert doch, denn man kann sich kaum vorstellen, dass Herren mit Zylinder und Damen im Gewand weit eher der Viktorianischen Zeit als des beginnenden 19. Jahrhunderts sich dermaßen über einen See-Sturm aufregen…
Optisch wird dieser durch Schattenspiele angedeutet, dieser erste Akt ist bekanntlich sehr schwierig zu lösen, die projizierten wilden Segel fallen wohl unter die „Spezialeffekte“ (Basil Twist) – aber die Ausstattung von Dirk Bird ist sicher wegen Unentschiedenheit und Aussagelosigkeit ein Schwachpunkt des Abends. Hat sich niemand überlegt, dass ein Feldherr aus einem Schiff, das eben im Sturm fast gekentert ist, nicht in einer picobello weißen Uniform (gewaschen, gestärkt, geplättet) aussteigen kann wie aus dem Ei gepellt? Otello, der hier kein Mohr ist (was hätten wir zu hören bekommen, wäre der Versuch unternommen worden, den Hauptdarsteller „schwarz“ zu schminken), bewegt sich in weiten weißen „arabischen“ Gewändern, wenn er nicht in Phantasieuniformen gesteckt wird. Das ist zumindest so weit kleidsam – weit, weit schlechter hat es Desdemona mit ihren Outfits getroffen…
Regisseur Adrian Noble ist ein Mann des Theaters, der sehr wenig Oper macht (meist in Wien), aber so etwas wie den 2. Akt, das kann er – genau diese Zeitspanne brauchen Verdi und Boito, um den glücklichen Otello in den Abgrund zu stürzen: Wie Jago hier seine Existenz durch Verleumdung unterminiert und der an sich starke, aber in tiefer Seele naive Mann in die Falle stolpert – das ist gut gemacht.
Der Kinderchor, der in der Oper zwischendurch als scharfer, bewusster Kontrast eingefügt ist, dürfte aber keinesfalls zu einer solchen Kitschorgie verkommen wie hier – zumal die Damen mit Rüschenkleidchen und Hütchen der Belle Epoque einfach extrem lächerlich wirken. Was für ein Mix ist das eigentlich? Wenn man bedenkt, dass zu vagen Allerwelts-Uniformen dann Roderigo im hellen Anzug und mit Panama-Hut durchs Geschehen schreitet?
Ein Mix auch in den „Dekorationen“, die mehr oder minder abstrakte Mauern darstellen, zu denen man dann einzelne Versatzstücke her- oder wegschafft – wenn Jago sein „Credo“ noch im Soldaten-Quartier singt (und sich vorher als Kaffee-Conaisseur und dabei als Zeitungsleser [!] erweist), braucht es dann dringend eine Bank für Desdemona und die Kinder…
Ja, was hier „rundum“ eigentlich erzählt wird, bekommt man nicht mit, aber die Geschichte bleibt wenigstens klar. Und vermeidet manches Klischee: Wenn Jago den „Löwen“ gefällt am Boden sieht, nimmt er Desdemonas Taschentuch und wischt sich seine (moralisch) schmutzigen Hände ab… Ehrlich: Wenn er seinen Fuß auf den besinnungslos liegenden Otello stellt, ist es eindrucksvoller.
Der Abend kommt absolut nicht als Konzept zur Geltung, wohl aber mit seiner Personenführung. Gute Abendregisseure werden da für spätere Besetzungen einiges Eindrucksvolle herausarbeiten können. Die Premierenbesetzung machte ihre Sache gut. Dass keiner der drei Sänger jenen Otello-, Desdemona-, Jago-Olymp erklomm, den man schon erlebt hat… na ja, das ist Alltag. Alltag in der Premiere, weshalb der Ansturm auf die Stehplätze sich auch in engen Grenzen hielt.
Vier der fünf großen Partien waren mit slawischen Stimmen besetzt, wobei Otello und Jago ihre Rollen nicht nur mit unglaublicher Härte, sondern auch ohne ausreichende Verdi-Technik angingen (weshalb Otello dann zum Finale des ersten Akts die Stimme im Hals stecken blieb, als er die Venus ansingen wollte…). Der Lette Aleksandrs Antonenko bewegt sich auf der ganzen Welt im höchst-dramatischen Fach, ist Otello allerorten (weil es einfach nicht so viele davon gibt, Botha ist auch schon tot), und er verfügt über das, was Verdi seinem Helden im hohen Maße abverlangt: attackierende, strahlende Spitzentöne. Antonenko setzt mit seiner harten Stimme vor allem auf Lautstärke, was, wie man weiß, seine Wirkung nie verfehlt. Nun, er ist erst Mitte 40, vielleicht wird man in der Rolle erst später wirklich gut, wenn man sie auch – singt. Das naive Riesenbaby hat ihm der Regisseur gut angepasst – aber das nimmt der Figur dann doch an Größe. (Alle, die heute über Placido Domingo schimpfen, sollen sich erinnern, was er in dieser Rolle an legitimer Wirkung erzielen konnte.)
Desdemona ist Olga Bezsmertna, die sympathisch Ukrainerin, auf die Dominique Meyer so sehr gesetzt hat, dass er ihr Rollen anvertraute, wo sie an großen Vorbildern scheitern musste. Um nicht missverstanden zu werden – sie singt die Desdemona ordentlich, aber gerade diese Partie erfordert (nicht nur – wenn auch vor allem – in den Piani, sondern in so vielen Nuancen!) weit mehr gesangliche Raffinesse, als sie zu bieten hat. Der Zauber, der von dieser Figur bestenfalls ausgehen kann, den vermisst man auch.
Der aus Weißrußland stammende Vladislav Sulimsky stellte sich in Wien als Jago vor. Darstellerisch der klassische Bösewicht, was kein Problem ist – wir brauchen uns über Jago nicht den Kopf zerbrechen, sein „Credo“ sagt alles: Er glaubt an die Schlechtigkeit der Menschen, weil er sich selbst als Maßstab nimmt, und weil er weder an Himmel noch Hölle glaubt, kann er Böses tun, so viel er will. Also intrigiert er Otello gar nicht hintergründig auf dessen Ende zu. Die Szene, wo er seiner Gattin Emilia das Taschentuch abnimmt, das Desdemona fallen gelassen hat, findet hier übrigens nicht nebenbei, sondern ausführlich und unübersehbar statt… Dass dieser Jago nur in Grenzen überzeugt, liegt an seinem Stimmmaterial: Dieses ist nämlich so hart und schnarrend, dass man es permanent als Reibeisen empfindet. Das ist auch bei einer so zynisch-negativen Figur irgendwann zu viel.
Margarita Gritskova ist die attraktive Emilia, jene Rolle, die Verdi / Boito fast vergessen haben, die erst am Ende kurz mit einem Ausbruch auf sich aufmerksam macht (und sie tat es eher schrill). Jinxu Xiahou, der Cassio des Abends, hatte fast so viel Metall und Kraft in der Kehle wie der Titelheld, weiß aber, wie man Verdi singt, und das verschaffte ihm einen Vorsprung. In der kleinen Partie des Lodovico zeigte Jongmin Park mit seinem bekannt schönen Baß dasselbe. Manuel Walser als Montano und Leonardo Navarro als Roderigo (der mit dem Panama-Hut) ergänzten. Wild bewegt der Chor, dazu der Kinderchor – Kinder aus der Opernschule.
Am Pult Myung-Whun Chung, der an der Wiener Staatsoper nicht immer überzeugende Verdi-Erlebnisse verschafft hat. Hart und laut galt ihm im Fall von „Otello“ als Synonym für Dramatik, und da gab es einiges Mitreißende, wenn die Wiener Philharmoniker auch mehr können, als nur gewaltsam loszuhacken. Wo es um die breite Lyrik geht, da war die Spannung weniger zu halten. Aber die Effekte des Abends funktionierten auf musikalischer Ebene (optisch war es eher tote Hose): Das erklärt auch den Jubel-Beifall nach der Premiere.
Renate Wagner 22.6.2019
Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn