Wuppertal: „Don Giovanni“, Wolfgang Amadeus Mozart

„Wenn ich alle die heiraten müsste, mit denen ich gespaßt habe, so müsste ich leicht 200 Frauen haben“ schrieb Wolfgang am 25. Juli 1781an seinen Vater Leopold, der ihm wieder in seine Beziehungen reingeredet hatte. Ist Don Giovanni mit seiner Sucht nach sexuellen Abenteuern also autobiografisch zu verstehen? Im 2. Akt bekennt er, dass die Weiber „ mir nötig sind wie das Brot, dass ich esse. Nötig, wie die Luft, die ich atme“. Und wenn Don Giovanni am Ende den toten und längst begrabenen Vater Donna Annas auf dem Friedhof herausfordert, bricht da eventuell aus der Tiefe seines psychoanalytischen Ichs lange unterdrückter Protest gegen den väterlichen Zwang und des musikalischen Drills seiner Kindheit und Jugend aus ihm heraus? Nur wenige Wochen nach dem Tode des Vaters hatte Mozart im Juli 1787 mit der Komposition zum Giovanni begonnen Wie dem auch sei, was hat man im Barmer Opernhaus daraus gemacht?

© Axel J. Scherer

Die schicksalhaften d-Moll Akkorde der Ouvertüre, die unaufhaltsamen, leise punktierten Viertel im Bass wecken Unheil und nehmen das Grauen der Friedhofszene am Ende musikalisch vorweg. Aber schon während dieser musikalisch-dramatischen Einleitung taucht eine braun gekleidete, langsam lasziv sich bewegende -im Programm als „Verführung“- bezeichnet Figur auf, lenkt ab vom musikalischen Geschehen und ersetzt im Verlauf der Oper offenbar eine stringente Personenregie. Bald betreten weitere Figuren das dunkel getäfelte, große Zimmer, welches an ein Herrenzimmer der 1970er Jahre erinnert.

Im Allegro molto des zweiten Teils der Ouvertüre saust das Orchester unter GMD Patrick Hahn sehr geschwind los, bis Leporello, der Diener und Spießgeselle des Don Giovanni, sich und seine Lage beklagt. Donna Anna platzt herein, verfolgt Don Giovanni.  Ihr Vater taucht auf, fordert den Frauenheld zum Duell, kann ihm nicht Paroli bieten und stirbt, wobei Don Giovanni die Hilfe der „Verführung“ in Anspruch nimmt.

Musikalisch beeindruckten Donna Anna mit hellem, starken Sopran, Don Giovanni und Leporello mit differenziertem ausdrucksstarkem Gesang und lebendiger Bühnenpräsenz, Wenn Leporello der unglücklichen Elvira das Register aller 2063 Geliebten  erläutert – samt aller Vorlieben für Blondinen, Brünette, Blassen, für fülligere im Winter, schlanke im Sommer, wird deutlich, wie sehr diese Tragödie immer wieder durch Witz in Text und Musik ironisch gebrochen wird.  Der vollständige Originaltitel lautet „il dissoluto punito ossia Don Giovanni Dramma giocoso in due atti“ übersetzt: „der bestrafte Wüstling oder Don Giovanni, ein heiteres Drama“.

© Axel J. Scherer

Donna Elvira, von Don Giovanni verlassen, glänzte mit großem, gleichwohl beweglichem Sopran meisterlich bravourös und ausdrucksvoll in allen Koloraturen, musste sich dann aber in einer merkwürdigen Szene mit der „Verführung“ und deren verstärktem Team betatschen lassen.  Der biedere Don Ottavio ist entsetzt, als Donna Anna ihm von der versuchten Vergewaltigung durch Don Giovanni erzählt, und erschrickt, als sie ihn um Rache am adligen Lustmolch bittet. Zwar zeigt er sich dieser Aufgabe nicht gewachsen, überzeugte aber mit strahlendem Tenor, besonders, wenn er seine Heißgeliebte tröstet. Warum er mit der Pistole zunächst auf sie zielte, blieb unklar.

Die oben am Bühnenportal projizierten Untertitel, in moderne Jugendsprache übersetzt, steigerten den Witz des gesungenen, italienischen Originaltexts nicht, wirken eher deplatziert.  Die Kostüme kombinierten den Retro-Charme der 70er Jahre mit der Mode des 18. Jahrhunderts.

Musikalisch bestach das Orchester unter dem temperamentvollen Patrick Hahn vor allem durch Energie und Geschwindigkeit, obwohl „Reich‘ mir die Hand mein Leben“ oder auch die lyrische Kanzonette mit der Zitter natürlich dem Publikum trotzdem zu Herzen gingen. Elvira bleibt trotz seiner Untreue verliebt. Und Zerlina schwankt lange, ob sie sich ihm vielleicht hingeben soll – die Ambivalenz der Frauen gegenüber diesem Herzensbrecher wird in der Inszenierung durchaus spürbar. Don Giovanni wird kurz vor der Französischen Revolution zunehmend weniger toleriert, oder? Oder was ist gemeint, wenn beim Maskenball am Ende des ersten Aktes freier Sinn und die Freiheit besungen werden? Auch hier wirkt die Personenregie matt und bar zündender Einfälle. Kaum verschwindet Don Giovanni mit Zerlina von der Bühne, schreit sie um Hilfe. Don Giovanni beschuldigt Leporello, aber die Frauen lassen sich nicht mehr täuschen.

Nach der Pause hat sich das Bühnenbild geändert. Das holzgetäfelte Zimmer wurde rechts nach hinten in einen unbestimmten Raum geöffnet, in welchem später der Komtur in weißem Anzug erscheint. Von Friedhof keine Spur. Sein Grab wurde angedeutet durch ein im Boden steckendes Schwert, dessen Parierstange zusammen mit dem Griff ein mageres Kreuz bietet. Seine elektronisch verstärkte Stimme übertönt Don Giovanni. An der von links langsam aus den Kulissen herausrollende Tafel von Putinschen Ausmaßen wird das gemeinsame Mal mit dem Komtur stattfinden.  Donna Elvira hat inzwischen begriffen, „in welchen Höllenpfuhl gräßlicher Verbrechen“ sich der Ex-Liebhaber verstrickt hat. Ihre Arie im 2. Akt geriet zum musikalischen Höhepunkt des Abends.

© Axel J. Scherer

Theatralisch unübertroffen, mahnt der Komtur Don Giovanni, zu bereuen und sich zu bessern. Vergeblich, Höllenqualen und Flammen -zunehmendes Rotlicht auf der Bühne simuliert die drohende Hölle- peinigen den uneinsichtigen Frevler. Schwarze Todesgeister führen ihn nach hinten dem Teufel zu, wie Leporello berichtet. Er hat, singt er, alles genau gesehen -vielleicht die grandioseste Schlussszene der Operngeschichte.  Die verbliebenen Sängerinnen und Sänger fassen im Schlusssextett zusammen: Donna Elvira geht ins Kloster, Masetto und Zerlina gehen nach Hause zum Abendessen. Donna Anna und Don Octavio geloben sich ewige Treue.  Leporello strebt ins Wirtshaus. Und die Moral von der Geschichte erfährt das begeisterte Publikum im berühmten Finale „Also stirbt, wer Böses tat“. Don Giovanni und seine Erotik sind zum Teufel. Verlust oder Fortschritt? Das bleibt offen.

Fazit: Stimmlich und musikalisch- orchestral ein vorzüglicher Opernabend, der den Witz und die Ironie Mozarts trotz teilweise nicht recht plausibler Inszenierung glänzend widerspiegelte. Mein Sitznachbar, nach eigenen Worten eigentlich kein Opernfan und eher zufällig anwesend, sagte mir beim Herausgehen, keine Minute des Abends missen zu wollen. Also Nix wie hin!

Johannes Vesper, 2. Juni 2025


Don Giovanni
Wolfgang Amadeus Mozart

Wuppertaler Bühnen

31. Mai 2025

Inszenierung: Claudia Isabel Martin
Musikalische Leitung: Patrick Hahn
Sinfonieorchester Wuppertal