Aufführung am 10.02.2022
(Ballett Zürich)
Das von mir wahrgenommene gute Dutzend Zuschauer, welches in der Pause seine Mäntel abholte und das Opernhaus verliess, hat den spannenderen Teil der Aufführung verpasst. Denn nach der Pause folgten die stärksten choreografischen Einfälle in Christian Spucks als spartenübergreifendem Abend konzipiertem Stück MONTEVERDI. Doch gerade das „Spartenübergreifende“ wird (im Gegensatz etwa zu Spucks sehr erfolgreichen und begeisternden Abenden WINTERRREISE oder MESSA DA REQUIEM) zum Problem. Während man den Text des Requiems ungefähr im Kopf hat und die Liedtexte zu Schuberts Zyklus ebenfalls (oder sie zumindest gut versteht), ist man bei den Auszügen aus dem siebten und achten Madrigalbuch von Claudio Monteverdi auf die Übertitel angewiesen und muss somit quasi multitaskingfähig sein, ein Auge auf den Tanz (und gleichzeitig auf die Sänger) und das andere auf die Übertitel richten.
Ich schaffte das nicht. Vielleicht sind ja die Texte auch gar nicht so wichtig (aber sie werden nun mal eingeblendet), denn Spuck geht es gar nicht darum, die Textinhalte zu vertanzen oder gar zu verdoppeln, sondern es geht ihm um ein Aufnehmen und Weiterspinnen von durch die Musik ausgelösten Stimmungen. Dabei verzichtet er in seiner Choreografie auf eine stringente, durchgehende Handlung. Und doch scheint das alles eingebettet zu sein in eine tragisch endende schwule Beziehung. Zwei Männer (wunderbar getanzt von Luca Afflitto und Achille de Groeve) begegnen sich voller Zärtlichkeit, können sich in die Arme des Partners fallen lassen, eine tröstliche, ja berührende Choreografie zur dezent aus dem Hintergrund erklingenden Schlagermusik (ab Spulentonbandgerät). Murolos REGINELLA wird am Ende nochmals anklingen (die schwule Beziehung wird kein gutes Ende nehmen …). Monteverdis Musik – und die einiger seiner Zeitgenossen, die Spuck verwendet hat (Marini, Ferrari, Rognoni, Trabaci) – handelt ja auch vorwiegend von unerfüllter Liebe, Verlassenheit, Abschied, Verlust ja gar von versehentlicher Tötung der Geliebten. Dazwischen wird immer mal wieder das Spulentonbandgerät eingeschaltet, welches Klangfetzen von Schlagern wie Azzurro, Caprifischer, Come prima oder Luna rossa gedämpft erklingen lässt. Das alles passt eigentlich recht gut zusammen, ist in sich sehr stringent gewählt. Die Tänzerdes Balletts Zürich setzen die Choreographie mit wunderbar fliessender Anmut und fantastischer Präzision um. Zur durch den Countertenor Ayeh Nussbaum Cohen mit leidenschaftlicher Intensität vorgetragenen Ferrari-Arie Queste pungenti spine treten fünf Paare und das Ensemble auf, man bewunderte die wunderschön ausgeführten, langsamen Armbewegungen, die sanften Landungen nach den Hebungen. (Raffaelle Queiroz, Loïck Pireaux; Katja Wünsche, Cohen Aitchison-Dugas,; Giulia Tonelli, Achille de Groeve; Mélissa Ligurgo, Alexander Jones; Elena Vostrotina, Jesse Fraser) Der Wand entlang schleicht während des gesamten Abends ein „Ritter von trauriger Gestalt“, ein Zwitterwesen zwischen Don Quijote und Monteverdi selbst.
Dieses „der Wand entlang schleichen“ hat man auch schon in der WINTERREISE gesehen. Überhaupt scheint vieles an diesem Abend vom Bewegungsvokabular und den choreografischen Abläufen her etwas repetitiv und dadurch mit dem ununterbrochen dämmrigen, nur in den Wärmegraden leicht changierenden Licht zusammen zu Ermüdung führend (Lichtdesign: Martin Gebhardt). Die von Schwarzschimmel befallenen Wände (Bühne: Rufus Didwiszus) tragen zu dieser demprimierenden Bunker-Endzeitstimmung bei. Auch die Kostüme von Emma Ryott sind in gedeckten Farben gehalten, oftmals in weitgeschnittenen Hosen, Schlabberpullis und Spagetti-Träger-Tops, dann auch mal (für Rognonis Vestiva i colli) in knöchellangem Tüllrock mit Goldtop – auch für die Männer. Oftmals scheinen in den Kostümen auch Anklänge an die Mode der Enstehungszeit der Musik auf: Renaissance-Halskrausen und enges Wams. Nach der Pause gewinnt der Abend etwas an Spannung. Vor allem der grosse Pas de Deux mit Giulia Tonelli und Lucas Valente zu Monteverdis trauriger Legende Il combattimento die Tancredi e Clorinda wird dank der spannungsgeladenen Kraft der beiden zu einem Höhepunkt des Abends. Giulia Tonelli und Lucas Valente lassen einen regelrechten Geschlechterkampf zwischen Liebenden entstehen – Annäherung und Zurückweisung erzeugen ein gewaltiges Spannungsfeld, das quasi in einem Martyrium kulminiert. Der kraftstrotzenden Virilität Valentes steht Giulia Tonellis energiegeladener Tanz in keinster Weise nach, bis zur totalen Erschlaffung des Körpers. Endlich kam etwas Dramatik in den sonst eher gepflegt dahingetanzten Abend.
Danach, zu Celentanos Azzurro (und zur Entspannung) ein anmutiges Bild: Damen in senfgelben Roben besteigen Stühle, arrangieren sich zu einem sehr ästethischen Tanz mit den Stühlen. Grandios auch der Pas de Deux von Katja Wünsche und William Moore zu Monteverdis Lamento d’Arianna, das von der Mezzosopranistin Siena Licht Miller ergreifend gestaltet wurde. Eindrücklich auch die Hinführung zu einem Tableau vivant der gesamten Compagnie (einige blutüberströmt) zusammen mit allen Sängern: Den wunderschön intonierenden Sopranitinnen Louise Kemény und Lauren Fagan, der herausragenden Mezzosopranistin Siena Licht Miller, dem markanten Countertenor Aryeh Nussbaum Cohen, den stilsicher und sauber singenden Tenören Edgaras Montvidas und Anthony Gregor und dem mit warm strömenden Bass einnehmenden Brent Michael Smith. Sie alle verhalfen dem Abend zu musikalischer Grösse, unterstützt vom Orchestra La Scintilla unter der kompetenten Leitung von Riccardo Minasi.
Fazit: Trotz manch anmutiger Formationen und einger Szenen von choreografischer Wucht war es ein Abend ohne Kohärenz, mit einem Konzept, das mehr versprach als es zu halten imstande war. Statt eines Hohelieds auf die Melancholie überwog auf weiten Strecken eine deprimierende, einschläfernde Stimmung, welche von Licht, Bühne und Kostümen noch unterstützt wurde.
Kaspar Sannemann, 13.2.22
© Gergory Batardon