Mönchengladbach: „La sonnambula“, Vincenzo Bellini

Mit La sonnambula, zu Deutsch Die Nachtwandlerin, schuf Vincenzo Bellini im Jahr 1831 eine der Top-Opern des Belcanto-Repertoires, die mit der Premiere am Sonntag, den 21. Mai 2023 im Theater Mönchengladbach nun erstmals am niederrheinischen Gemeinschaftstheater zur Aufführung gelangte. Da diese Oper vor fast genau drei Monaten auch im benachbarten Düsseldorf ihre Premiere feierte, zitiere ich mich beim Inhalt ausnahmsweise selbst aus der seinerzeit erschienenen Kritik: „In einem kleinen Dorf in den Schweizer Alpen steht die Hochzeit von Elvino und Amina an, zu der das gesamte Dorf eingeladen ist. Auch die Wirtin Lisa ist anwesend, allerdings verzweifelt und wütend, denn Elvino war einst ihr Freund. Das der Dorfmusikant Alessio in sie verliebt ist, interessiert Lisa nicht. Im Gegenteil, sie weist ihn stets brüsk zurück. Auch die Müllerin Teresa ist anwesend, hat sie doch die Waise Amina großgezogen. Mit Rodolfo kommt ein vermeintlich Unbekannter in die Stadt, der diese allerdings aus alten Erinnerungen kennt. Später stellt sich heraus, dass es sich bei Rodolfo um den Sohn des inzwischen verstorbenen Grafen handelt, der die kleine Dorfgemeinschaft vor vielen Jahren verlassen hat. Rodolfo findet Quartier im Wirtshaus von Lisa. Ihre erotische Annäherung an den neuen Grafen wird allerdings durch die schlafwandelnde Amina jäh unterbrochen. Diese hält Rodolfo für Elvino und träumt von ihrer Hochzeitsfeier. Rodolfo lässt sie schlafen, was Amina allerdings zum Verhängnis wird. Als die Dorfgemeinschaft den neuen Grafen feiern will, liegt Amina in seinem Bett.  Die Situation scheint eindeutig und auch Rodolfos Unschuldsbeteuerungen und Erklärungen zur Schlafwandlerin helfen nicht weiter. Elvino, dem die offenbare Vertrautheit zwischen Rodolfo und seiner Braut schon zuvor aufgefallen war, bebt vor Eifersucht. Zudem ist er wütend über die vermeintliche Untreue und entschließt sich daher, doch Lisa zu heiraten. Amina ist hierdurch am Boden zerstört. Doch auch die Hochzeitsfeier mit Lisa soll nicht zustande kommen, da Teresa ein verfängliches Kleidungsstück präsentiert, welches Lisa vor dem Eintreffen von Amina in Rodolfos Schlafgemach ablegte. Plötzlich balanciert Amina erneut über den Dächern der Stadt, versunken im tiefen Schlaf und in tiefer Trauer um ihre große Liebe Elvino. Die Leute erkennen nun die wahren Hintergründe, so dass die Oper schließlich mit einem guten Ende für das ursprüngliche Liebespaar aufwarten kann.“

© Matthias Stutte

Dieses „gute Ende“ in Form der ursprünglich geplanten Hochzeit ist in der gelungenen Inszenierung von Ansgar Weigner am Theater Mönchengladbach allerdings nicht vorgesehen. Und dies ist auch gut so, denn bereits beim ersten Auftritt von Elvino bemerkt der aufmerksame Zuschauer, dass dieser die Liebe von Amina nicht so recht erwidert. Der reiche Gutsbesitzer wirkt abweisend, herrschsüchtig und wenig empathisch. Diesem Mann möchte man Amina nun wirklich nicht anvertrauen. In den sehr interessanten Gedanken zur Inszenierung verrät der Regisseur im Programmheft, dass Elvino „durch den frühen Verlust seiner Mutter und seinen daraus resultierenden Ängsten und Neurosen“ beziehungsunfähig ist und statt einer Ehefrau vielmehr einen „muttergleichen Engel“ sucht, so dass sich das Verhalten entsprechend erklärt. Und auch Amina scheint in der Liebe zu Elvino in ihrem Traum gefangen zu sein, sucht sie doch vielmehr nach einem „freien und selbstbestimmten Leben fernab der hermetischen Dorfwelt“, so Ansgar Weigner in den Erläuterungen seines Regieansatzes. Die Rolle von Aminas möglicher leiblicher Mutter wird ebenfalls thematisiert, allerdings sind diese Ansätze in der Inszenierung im Gegensatz zu den beiden gut herausgearbeiteten Hauptrollen nicht zu erkennen, wenn man das Programmheft zuvor nicht gelesen hat. Gleiches gilt für einen Vergleich mit Caspar David Friedrichs berühmten Gemälde der „Frau am Fenster“. Dies ist aber auch nicht tragisch, da Weigner insgesamt eine runde, recht düster daherkommende Geschichte erzählt, die den Zuschauer schnell in den Bann zieht. Großen Anteil hieran haben auch die wunderbaren Kostüme von Susanne Hubrich, die die Dorfgemeinschaft herrlich altmodisch kleidet, mit viel Liebe zum Detail. Das Bühnenbild von Hermann Feuchter bietet mehrere verschiebbare Elemente, die ohne großen Aufwand immer wieder die Räume abwechslungsreich gestalten und zudem einige gelungene Effekte erzeugen. Sehr stark beispielsweise, wie Amina zu Beginn des zweiten Aktes im Bühnenhintergrund durch schwarze Blenden vor dem weißen Hintergrund förmlich von jetzt auf gleich verschwindet.

© Matthias Stutte

Die Premiere in Mönchengladbach überzeugt zudem durch eine erstklassige Besetzung der Hauptrollen, allen voran Sophie Witte in der Titelrolle der Nachtwandlerin Amina. Mit klarem Sopran glänzend aufgestellt, macht sie mit ihrem „schönem Gesang“ das Belcanto-Erlebnis für den Zuschauer hörbar. Indre Pelakauskaite, Mitglied im Opernstudio Niederrhein, war in dieser Spielzeit bereits in einigen Rollen zu sehen, in denen sie immer wieder überzeugen konnte. Mit der Arie der Lisa (Tutto è gioia) gleich zu Beginn der Oper macht sie erneut nachhaltig auf sich aufmerksam und empfiehlt sich für größere Rollen. Auch die beiden männlichen Hauptrollen sind mit dem Tenor Woongyi Lee als Elvino und Matthias Wippich als Graf Rodolfo bestens aus dem hauseigenen Ensemble besetzt. Beeindruckend, welch starkes Ensemble hier stets zur Verfügung steht. Auch die kleineren Rollen sind mit Janet Bartolova als Teresa, Miha Brkinjac als Alessio und Jakob Kleinschrot als Notar treffend besetzt. Darüber hinaus dürfte es wenige Belcanto-Opern geben, bei denen der Chor eine so wichtige Rolle einnimmt wie bei La Sonnambula. Von Michael Preiser hervorragend einstudiert, agiert der Chor hier wie eine weitere Hauptrolle. Dass es im Chor des Theaters Krefeld-Mönchengladbach einige spielfreudige Darsteller gibt, kommt der Inszenierung sehr entgegen. Auch die Niederrheinischen Sinfoniker zeigen sich unter ihrem Generalmusikdirektor Mihkel Kütson bestens auf die Premiere vorbereitet. Aus dem Orchestergraben erklingt ein wunderbarer Bellini-Klang, der sich harmonisch mit dem Chor und den Solisten mischt.

© Matthias Stutte

Das anwesende Premierenpublikum zeigte sich am Ende sehr erfreut und spendete langen Applaus sowie lautstarke „Bravo“-Rufe für die Darsteller. Auch das Regieteam wurde für einen rundum gelungenen Opernabend gefeiert, der allerdings mehr Zuschauer verdient hätte. Trotz eines zeitgleich stattfindenden Fußballspieles der Borussia und dem Ende eines langen Wochenendes, welches gerne für einen Kurzurlaub genutzt wird, hätte dieser Premierenabend mehr Besucher verdient. So war der Theatersaal leider nur rund zur Hälfte besetzt. Die anwesenden Besucher dürften diese Aufführung aber sicherlich in guter Erinnerung behalten und alle anderen Opernfreunde der Region, sollten sich diese Inszenierung an einem der Folgetermine nicht entgehen lassen.

Markus Lamers, 23. Mai 2023


Die Nachtwandlerin (La Sonnambula)

Oper von Vincenzo Bellini

Theater Möchengladbach

Premiere: 21. Mai 2023

Inszenierung: Ansgar Weigner

Musikalische Leitung: Mihkel Kütson

Niederrheinische Sinfoniker

Weitere Vorstellungen: 27. Mai / 30. Mai / 1. Juni / 9. Juni / 17. Juni / 23. Juni / 25. Juni