Wolfsburg: „Until the Lions“

Deutschlandpremiere am 20. April 2016, (Uraufführung London: 12.01.2016)

Tolles Tanztheater

Zu den 14. Movimentos Festwochen in Wolfsburg gibt es außer Lesungen, Konzerten, Jazz und Aufführungen der Movimentos-Akademie für Ballett-Nachwuchs auch wieder interessante Tanzabende mit internationalen Compagnien, diesmal aus Frankreich, Großbritannien und Italien. Das Festival steht in diesem Jahr unter dem Motto „Liebe“, die in allen Facetten nahe gebracht werden soll.

Gestern Abend stellte der britische Choreograph und Tänzer Akram Khan, weltbekannt seit seiner Show zur Eröffnung der Olympischen Sommerspiele in London 2012, sein neuestes Stück erstmals in Deutschland vor. Er kehrte damit zurück zu seinen Wurzeln: Die Familie stammte aus Bangladesch, und er selbst beschäftigte sich von Jugend an mit dem indischen rituellen Tanzstil Kathak und spielte zwei Jahre lang in Peter Brooks Inszenierung des indischen Epos „Mahabharata“ mit, wobei ihn gute und böse Frauenfiguren besonders faszinierten. Den Anstoß zu dem neuen Tanzstück gab letztendlich der von Karthika Nair über das Epos verfasste Gedichtband „Until the Lions…“, dessen Titel Khan übernahm (auf Deutsch lautet das gesamte Sprichwort: „Bis die Löwen ihre eigenen Historiker haben, wird die Geschichte der Jagd immer den Jäger rühmen.“).

Hier wird das Märchen von der Prinzessin Amba gezeigt, die entführt und entehrt wird; als sie erkennt, dass sie als Frau keine Rache an dem Mann üben kann oder Gerechtigkeit erfahren wird, tötet sie sich und kehrt als Mann zurück, um doch in dem Geschlechterkampf zu siegen. Für diese Konzentration auf drei Personen hat Khan eine zwingend einleuchtende Choreographie geschaffen, die von der Bühne (Karthika Nair) und dem Lichtdesign (Michael Hulls) wunderbar getragen wird. Eine überdimensionierte Baumscheibe mit Rissen unterstützt den Eindruck einer Manege, in der die drei gefangen sind mit ihren Taten und Gefühlen. Dazu gab es eine Originalkomposition von Vincenzo Lamagna mit dem Titel „Beautiful Noise“ (dessen Adjektiv nicht immer zutraf), die mit rhythmisch harten Schlägen, Anklängen an indische Weisen und gelesenen Texten von Karthika Nair durchsetzt war.

Akram Khan tanzte selbst die Rolle des Entführers, der Amba lässig über der Schulter hängend ums Rund schleppt. Energische Schritte, zackige Bewegungen charakterisieren ihn als Macho; dagegen drückt die Körperhaltung zum Ende hin aus, dass er um die Rache weiß und dass er nicht gewinnen kann, aber er kämpft bis zum bitteren Ende. Besonders gelungen ist ihm darstellerisch die Szene der fast liebevollen Vergewaltigung Ambas, wo sich die Körper ineinander zu verflechten scheinen. Diese besondere Biegsamkeit der Körper zeichnet auch Ching-Ying Chien (Amba) aus; sie führt als Prinzessin besonders grazile Gangart und vor allem Arm-, Finger- und Kopfbewegungen indischer Tanzkunst in Bestform vor. Das lange Haar wird bewusst eingesetzt, um durch ruckhafte Bewegungen des Kopfes den Partner damit zu berühren. Ihre Präsenz beherrscht auch die Szene, wenn sie Christine Joy Ritter als männliches Ich schließlich den Mann „durchbohren lässt“. Diese bewies mit teilweise auch animalischen Bewegungen ihre außerordentlichen Fähigkeiten im modernen Ausdruckstanz.

Das Publikum feierte begeistert alle Mitwirkenden mit stehenden Ovationen

Marion Eckels, 21. April 2016

Fotos (c) Thomas Ammerpohl

Weitere Vorstellungen: 21./22./23.04.2016