Landshut: „Il ritorno D’Ulisse in patria“

Witz, Spiellaune und musikalisch vom Feinsten: Barockszenen aus Niederbayern

Das Landestheater Niederbayern (früher: südostbayerisches Städtetheater) bespielt die Musiktheater in Passau, Straubing und Landshut. Die Neuproduktion des „Ritorno“ hatte an den Spielstätten in Straubing und Passau jeweils schon im Februar Premiere. Zur Realisierung des Projekts verpflichtete man erfahrene Spezialisten: Wolfgang Katschner, ECHO-Preisträger und Leiter der Berliner Lautten Compagney für die Musik und für die Regie den Südafrikaner Kobie van Rensburg, der schon als Sänger von Barockmusik eine internationale Karriere hinter sich hat und sich vor etwa zehn Jahren auch der Regie zugewandt hat. Was dabei herausgekommen ist, das sei vorweggenommen, kann sich nicht nur sehen lassen, sondern kann für kleine Bühnen mit einfachen szenischen Möglichleiten geradezu als maßstabsetzend bezeichnet werden. Selbst einem Publikum, dem das ‚recitar cantando‘ und die wenig opulente Partitur vielleicht etwas spröde vorkommen, wird hier allein durch den Witz der Inszenierung und die schauspielerische Leistung ein Abend geboten, der nachhaltig beeindruckt.

Die Geschichte ist allgemein bekannt; sie behandelt den zweiten Teil der Odyssee, in der Odysseus (Ulisse) nach zehn Jahren inkognito in sein altes Reich zurückkehrt, mit List und Kraft und im Widerstreit der Götter die Freier Penelopes austrickst und letztere schließlich davon überzeugen kann, dass er es tatsächlich ist. Nicht umsonst ist auch der Ritorno eine Karnevalsoper gewesen: Van Rensburg legt eine spritzige, unterhaltsame, aber nie flache Regiearbeit vor, für die er auch in teils drastischer, aber nie vulgärer Populärsprache von vorgestern die deutschen Übertitel erstellt hat („Scheißgefühl, wenn man Ulisse zum Feind hat“, sagt Antinoo, einer der Freier.) Er inszeniert die lineare Dramaturgie des Stoffes flüssig und nahe am Libretto. Wirkliche Verwicklungen sind nicht vorhanden, aber etliche lockernde Überraschungen, die jeweils witzig und originell auf die Bühne gebracht werden, die kongenial von Dorothee Schumacher und Lutz Kemper erstellt wurde. Die zeichnen auch für die überaus einfallsreichen schönen Kostüme verantwortlich. Das einfache Bühnenbild besteht im Wesentlichen nur aus verschiebbaren weißen Wandelementen, die in verschiedenen Bühnenhorizonten quer eingebaut sind und auf welche wegen der vielen schnellen Szenenwechsel des Werks jeweils zur Handlung passende Standbilder projiziert werden. So gibt es keine Video-Flimmerei, sondern immer nur handlungstragende oder –verdoppelnde Projektionen, die der Regisseur selbst entworfen hat. Als Requisiten dienen lediglich Bündel von senkrechten prismatischen Strukturen, aus denen sich Felsen am Strand von Ithaka oder z.B. auch der Thron der Penelope zusammensetzen lassen. Da die Elemente aus Leuchtschirmen gebaut sind, können auf ihnen Lichteffekte realisiert werden. Zum zweiten Teil der Oper kommen im Hintergrund lediglich zwei Säulen dazu, die den Palast der Penelope suggerieren.

Van Rensburg lässt die Götter auf bis zu 30 cm hohen Kothurnen und ihren „Zunftstangen“ auftreten, wodurch sie wie auf Stelzen herumlaufen, was nicht besonders zu ihrer Seriosität und Solidität beiträgt. Im Prolog werden die allegorischen Figuren Amor, Fortuna und Tempo wie die Götter ausstaffiert und mit der Umana Fragilità konfrontiert, die die Nichtsnutzigkeit der Götter beklagt. Ähnlichkeiten mit dem Umgang des rheinischen Karnevals mit unseren Herrscherfiguren sind rein zufällig… Es geht aber auch um Erbauung, Erziehung und Moral; mit schmunzelnd erhobenem Zeigefinger wird klargemacht: gewisse Dinge stehen bloß den Oberen zu. Köstlich die Konfrontation des karnivoren Vielfraßes Iro mit dem bescheidenen Vegetarier Eumete (Hirte). Super die Szene des Nettuno, der von Giove die Erlaubnis erhalten hatte, die Phäaken im Meer zu versenken. Denn diese hatten sich erfrecht, Ulisse in seine Heimat zu bringen. Ihre Galeere, von Statisten mit übergeworfenen Decken lebhaft schwankend dargestellt, wird leider von einem weißen Hai versenkt. Köstlich die drei Freier der Penelope: Pisandro, Anfinomo und Antinoo, die kostümmäßig besonders hervorgehoben sind und in ihrer persiflierten Werbung um die Königin wie eine Vorschau auf die drei Freier der Arabella wirken. Zugleich wurden sie von sechs „Boxenludern“ umschwärmt. Schließlich Penelope, die wohl am liebsten ihre Rolle als getreue keusche Hinterbliebene noch weiter gespielt hätte, als an der Identität des zurückgekehrten Odysseus kein Zweifel mehr bestand. Denn er hatte ja die Beschaffenheit der Decke von beider Ehebett, die gerade als riesiges rotes Tuch vom Bühnenhimmel flatterte, genau beschreiben können. Die Oper wurde auf gut zweieinhalb Stunden reine Spielzeit eingekürzt und hatte somit auch eine gut verdauliche Länge. Bühneneffekte, stete Bewegung im Personal und viele sehenswerte Einfälle sorgten für Kurzweil . Nur wenn die Darsteller wichtige Botschaften zu verkünden hatten, stellte die Regie sie dozierend an die Rampe.

Es spielten Musiker der niederbayerischen Philharmonie ergänzt um etliche Musiker mit Originalinstrumenten: Cembali, Orgel, Theorben, Harfe, Laute, ein schnarrendes Regal (zur Begleitung des tiefen Basses von Nettuno), Blockflöten und auch Zinken. Hier und da hatten die Instrumentalisten zwar Mühe mit ihren Instrumenten, aber dem Dirigenten Wolfgang Katschner gelang durchgängig ein nuancenreicher leichter Monteverdi-„Swing“ mit seinem feinen Klangbild. Vierzehn überwiegend sehr junge Sänger gaben die neunzehn Rollen, dazu noch ein Vokalensemble für die drei Phäaker. Allen Protagonisten war eine sehr gute schauspielerische Einstellung zu bescheinigen. Die leichten, beweglichen Stimmen passten sehr gut in den kleinen historischen Theaterraum mit seinen knapp 400 Plätzen und sorgten für beste Textverständlichkeit beim überwiegenden recitar cantando. Nur die Penelope hat ein größeres Maß an kantablen Ariosi; Sabine Noack sang sie mit weichem ausdrucksstarkem Mezzo und höchst ansprechender Noblesse. Albertus Engelbrecht brachte mit feinem dunklem Tenor einen facettenreichen Ulisse, Emily Fultz mit gut geführtem koloratursichern Sopran die beiden Rollen der Giunone und des schwarz glitzernden Amore mit kleiner schwarzer Armbrust. L’Umana fragilità im Prolog sang mit gefälligem Counter Roland Schneider ebenso wie den Freier Pisandro, der witzigerweise beim Scheitern seines Versuchs, Ulisses Bogen zu spannen, vor Schreck in sein Naturregister verfiel. Besonders fiel unter den Freiern noch der Bassbariton Michael Wagner mit großer Spielfreude auf, der sich auch stimmlich in dieser Rolle als Macho und Freier-Chef spürbar wohlfühlte. Anna Janiszewski überzeugt mit schönem schlanken Mezzo als Ericlea. Oscar Imhoffs Tenorbuffo gefiel in der dankbaren Rolle des Iro ebenso wie Dávid Szigetvári mit feinem beweglichem Tenor als Telemaco. Mandie de Villiers-Schutte überzeugte mit schimmerndem Sopran als Melanto und gab zum Schluss auch noch die kleine Rolle der Minerva. Wolfgang Frisch leicht und stilsicher sowohl als schwärmerischer Liebhaber Eurimaco wie auch als Giove. Der tiefe kernige Bass von Nikolaus Beer eignete sich prächtig für den Nettuno. Etwas schwächer die Fortuna der Elizabeth Immelmann.

Die letzte der drei Premieren des Ritorno fand in Landshut ein volles Haus vor, das Sängern, Dirigenten und Regisseur verdientermaßen einhellig und anhaltend zujubelte. Die Heimkehr des Odysseus wird in Landshut noch am 11. und 31. März sowie am 1. April gegeben und in Passau noch am 10. und 30. März. Diese Städte in Niederbayern sind zudem sowieso immer eine Reise wert.

Manfred Langer, 06.03.2012

Fotos: Peter Litvai