Zürich: Mozart, Bruckner

Wolfgang Amadeus Mozart
Klavierkonzert Nr.22 in Es-Dur

Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 7 in E-Dur

Als eine „symphonische Riesenschlange“ bezeichnete der scharfzüngige Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick einst Bruckners 7. Sinfonie. Hanslicks Einschätzung mag leicht despektierlich klingen, unrecht hatte er damit jedoch nicht. Denn die an- und abflauenden Spannungsbögen mit ihren endlos scheinenden Steigerungswellen erinnern tatsächlich an die Windungen einer Schlange, ihr Aufbäumen, ihr Zurücksinken , ihr Aggressionspotential. Allerdings ist es eine symphonische Schlange, der man über knapp 70 Minuten gerne zuhört, sich von ihr vereinnahmen, ja geradezu blenden lässt. Gerade im zweiten Satz, diesem unter die Haut gehenden Adagio, türmen sich die beiden Motive (Wagner-Tuben Motiv und das Zitat aus Bruckners eigenem Te Deum) in Modulationen auf, winden sich, und kommen erst ganz spät zum Höhepunkt – der allerdings ist dermassen orgiastisch und erotisch-sinnlich komponiert, dass man kaum glauben kann, dass er aus der Feder des tiefgläubigen Einzelgängers Bruckner stammt.

Wenn dann noch ein so erfahrener Dirigent wie Bernard Haitink am Pult des exzellent und mitreissend spielenden Tonhalle-Orchesters Zürich steht, dann ist gerade auch in diesem Moment Gänsehaut und wohliger Schauer garantiert. Dieser Kulminationspunkt in Bruckners 7. Sinfonie gehört zu den umstrittensten Takten der Musikliteratur. Auf Drängen von Schülern und Freunden fügte Bruckner (der eigentlich ungestimmte Instrumente wie Becken und Triangel nicht mochte) dann eben doch einen Beckenschlag ein. Später wurde er überklebt, wieder eingefügt, wieder gestrichen, so dass man bis heute nicht genau weiss, was Bruckner wirklich wollte. Haitink beliess ihn in seinem Konzert von gestern Abend – meines Erachtens zu Recht. Der Beckenschlag ist an dieser Stelle (Bruckner möge mir den Ausdruck nachsehen) einfach geil. Doch nicht nur der spannende Aufbau dieses Adagios liess einen am Sesselrand in der Tonhalle Maag kleben. Im ersten Satz wurde man von Beginn weg durch die wunderschön warm intonierten Kantilenen der tiefen Streicher in einen spannungsvollen akustischen Strudel gezogen, einen Sog, der stets klar strukturiert und doch überaus sinnlich gehalten war.

Mal zog Zuversicht wellenartig in den voll besetzten Saal, dann wieder horchte man der zerklüfteten Spannung und der originellen Harmonik in der Durchführung, hörte die Orchesterfamilien wirkungsvoll aufblühen, war fasziniert vom strahlenden, tadellos intonierenden Blech. Fantastisch gestaltete Haitink zusammen mit dem konzentriert und präzise seine Intentionen ausführenden Tonhalle-Orchester das Scherzo, mit seinem mal aufbrausenden, dann wieder wiegenden Charakter, unterbrochen durch den ruhigen Fluss des Trios, in dem besonders die Holzblasinstrumente für wunderbar zarte Einsprengsel sorgten. Nach dem architektonisch so herrlich disponierten Finale mit seinen „Rheingold“ – und „Meistersinger“ – Zitaten und dem paradiesischen Blechbläser-Choral, gab es für das Publikum kein Halten mehr, stehende Ovationen für den bald 90jährigen Maestro und das einmal mehr auf allen Positionen exzellente Tonhalle-Orchester Zürich. Ein Glanzmoment, den man eben nur live erleben kann.

Vor der Pause wurde Mozarts Klavierkonzert in Es-Dur KV 482 gespielt, mit Till Fellner am Flügel. Fellner nahm mit seinem schmeichelnden Anschlag, der subtil abgestuften, spannungsvollen Dynamik, den stupend ausgeführten Trillerpassagen und der virtuosen Kadenz für sich ein. Zart und empfindsam erklang das Andante, durch sparsamen Pedaleinsatz sehr klar gehalten und nie allzu verquollen-weinerlich. Quasi attacca bogen die Musiker in das Rondo-Finale ein, in dem Fellner noch einmal seine herausragende Trillertechnik präsentieren durfte, ein einfühlsames cantabile im Andantino-Zwischenteil evozierte und mit einer herrlichen Kaskade in die Coda führte. Ein besonders Lob gebührt auch in diesem Werk den Holzbläsern, welche man in der Akustik der Tonhalle Maag ganz besonders prominent wahrnimmt.

So schön dieses Mozart-Konzert auch gespielt und interpretiert wurde, Bruckners „Riesenschlange“ nach der Pause erwürgte beinahe die Erinnerung daran. Ähnlich war es schon, als Haitink in der letzten Saison hier die vierte Sinfonie Bruckners aufgeführt hatte, auch damals wurde vor der Pause ein Klavierkonzert von Mozart gespielt. Vielleicht sollte man mal versuchen, Bruckner mit einem Werk aus dem späten 20. oder dem 21. Jahrhundert zu kombinieren und zu konfrontieren. Ein Werk, das imstande wäre, der Schlange die Stirn zu bieten.

Kaspar Sannemann 22.9.3018