Frankfurt: „Filarmónica Joven de Colombia“, mit Hillary Hahn unter Andrés Orozco-Estrada

Das Filarmónica Joven de Colombia unter der inspirierenden Leitung von Andrés Orozco-Estrada gab am gestrigen Abend in der Alten Oper Frankfurt ein Konzert, das nicht nur ein musikalisches Erlebnis, sondern auch ein Bekenntnis der Leidenschaft und Hingabe zur Musik war. Orozco-Estrada, der selbst eine beeindruckende Karriere als Dirigent vorweisen kann, setzt sich leidenschaftlich für dieses Ausnahmeorchester ein, das die musikalischen Talente Kolumbiens auf höchstem Niveau fördert.

Das Konzert begann mit Wolfgang Ordoñez’ „Travesía (Fanfarria y Pajarillo) für Orchester”. Ordoñez ist ein kolumbianischer Komponist, der 1986 geboren wurde. Sein Werk „Travesia“ ist eine musikalische Reise durch die verschiedenen Regionen und Rhythmen Kolumbiens, uraufgeführt im Jahr 2012. Das Stück besteht aus zwei Teilen: Fanfarria und Pajarillo. Fanfarria ist ein festlicher und lebhafter Abschnitt, der die kulturelle Vielfalt und den Reichtum Kolumbiens widerspiegelt. Pajarillo ist ein traditioneller venezolanischer Tanz, der von der Harfe begleitet wird. Zu hören sind Elemente der kolumbianischen Folklore, ausgeführt u.a. von Maracas und Cuatro. Unter Orozco-Estradas engagierter Leitung entfaltete das Filarmónica Joven de Colombia eine klangliche Brillanz, die die kulturellen Schätze des Landes widerspiegelte. Die äußerst fähigen jungen Musiker des Orchesters zeigten nicht nur technische Versiertheit, sondern auch ein tiefes Verständnis für die Nuancen der Komposition. Hervorzuheben ist die einzigartige Partnerschaft zwischen Orozco-Estrada und dem Filarmónica Joven de Colombia, die weit über das rein Dirigentische hinausgeht. Diese Verbindung war während des gesamten Konzerts stets spürbar, was zu einer bemerkenswerten Synergie zwischen Dirigent und Orchester führte. Orozco-Estrada, dessen eigene musikalische Reise ähnlich begonnen hat, vermittelt den jungen Talenten nicht nur technische Finesse, sondern auch die emotionale Tiefe und Leidenschaft, die in der Musik liegt. Andrés Orozco-Estrada, ein unermüdliches Energiebündel, ist auch ein witziger und schlagfertiger Kommunikator. Mit Charme und Esprit moderierte er diesen Abend, das letzte neunte Konzert im Rahmen des aktuellen Europa Gastspiels des Orchesters. Das Orchester war sehr dafür, die Reihenfolge des Programms zu ändern. So gab es als zweiten Teil ein kurzes Werk von Jeans Sibelius, was ursprünglich die erste Programmhälfte beschließen sollte.

Hilary Hahn / © Dana van Leeuwen (Decca)

Die „Serenade für Violine und Orchester Nr. 2 g-Moll Op. 69” von Jean Sibelius besteht aus zwei Sätzen. Sie wurde 1912-1913 komponiert und ist Teil einer Sammlung von zwei Serenaden für Violine und Orchester. Der Stil von Sibelius zeigt nordische Melancholie und seine großen Liebe zur Natur. Dieses Werk ist ein weiteres Beispiel für Sibelius’ Fähigkeit, eine elegische Stimmung zu erzeugen, die von der Solovioline in kantablen Abschnitten vorgetragen wird. Die Zuhörer bestaunten die Vielseitigkeit und das einfühlsame Spiel von Hilary Hahn. Feingliedrig und empfindsam gab sie ihren Phrasen einnehmende Gestalt. Das Filarmónica Joven de Colombia begleitete die Solistin mit Präzision und Aufmerksamkeit. Orozco-Estrada lenkte das Orchester durch die feinen Schattierungen der Komposition und ermöglichte so eine berührende Darbietung.

Ein erster Höhepunkt des Abends war zweifellos dann Hilary Hahns Auftritt im „Violinkonzert e-Moll Op. 64” von Felix Mendelssohn. Die Zusammenarbeit zwischen der Stargeigerin und dem Orchester war von einer beeindruckenden Symbiose geprägt. Hahns fabelhaftes Geigenspiel vereinte technische Brillanz, melodische Raffinesse und eine unvergleichliche emotionale Intensität. Ihre Phrasierung war von einer poetischen Ausdruckskraft, die die subtilen Nuancen der Komposition hervorhob. Hahn spielte das Hauptthema des ersten Satzes mit einer kraftvollen und zugleich nuancierten Tongebung, die die dramatische Spannung des Satzes erhöhte. In der Durchführung zeigte sie ihre Virtuosität in einer brillanten Kadenz, die sie mit viel Geschmack und Eleganz ausführte. Der zweite Satz ist ein lyrisches und ruhiges Intermezzo. Die Violine singt darin eine sanfte und berührende Melodie, die von einem warmen Streicherhintergrund begleitet wird. Hahn verlieh diesem Satz eine besondere Anmut, die das Herz der Zuhörer berührte. Sie spielte mit einem reinen und klaren Ton, der die Melancholie und Zartheit des Satzes sensibel zum Ausdruck brachte. Der dritte Satz, das fröhliche Rondo, lässt an die Musik von Mendelssohns Sommernachtstraum denken. Die Violine führt ein spritziges und tänzerisches Thema ein, das von einem leichten und scherzhaften Orchester aufgenommen wird. Hahn bewies hier ihre Meisterschaft in der schnellen und präzisen Artikulation, die dem Satz einen funkelnden und spielerischen Charakter verlieh. Das Filarmónica Joven de Colombia spielte flott und mit sehr schlankem Ton. Dies war kein symphonischer Klang, sondern sehr licht und durchsichtig. Andrés Orozco-Estrada befeuerte sein Orchester mit viel Energie. Ganz begleitender Kavalier, gewährte er Hahn immer den Vortritt, wobei Dirigent und Solistin bestens aufeinander eingespielt wirkten. Die Zuschauer waren von der Darbietung hingerissen und spendeten frenetischen Applaus. Hilary Hahn bedankte sich großzügig mit zwei Zugaben.

Das Filarmónica Joven de Colombia ist zweifellos ein Ausnahmeorchester, das die musikalischen Talente Kolumbiens auf höchstem Niveau fördert. Diese Idee hat sich inzwischen mehr als ausgezahlt: Das Orchester ist zu einem Vorzeigeprojekt weltweit geworden. Die fähigsten musikalischen Talente Kolumbiens bekommen im Filarmónica Joven de Colombia die Chance, auf hochprofessionellem Niveau Orchestererfahrung zu sammeln, Kulturbotschafter ihres Landes zu sein und auf ihren internationalen Tourneen selbst die Welt zu entdecken. Es ist eine Freude, dieses Orchester zu hören und zu erleben. Wie eine große Familie wirkt dieser Klangkörper ansteckend mit seiner Fröhlichkeit.

Andrés Orozco-Estrada / © Werner Kmetitsch

Den krönenden Abschluss bildete Dmitri Schostakowitschs „Sinfonie Nr. 5 d-Moll Op. 47”. Es sollte eine Überraschung geben. Das Orchester war mit dem Dirigenten übereingekommen, das Werk als „Sinfonie der Bewegung und Gefühle“ vorzutragen. Dies wirkte zunächst als Gedanke befremdlich, da doch gerade Schostakowitschs Musik derart stark in ihrem emotionalen Gehalt ist, dass diese „Zutat“ nicht notwendig erscheint. Es war schon erstaunlich, wie synchron der große Klangkörper seine Bewegungsabläufe zu koordinieren wusste. Mit Gesten, z.T. lebhafter Mimik und unter Verwendung von Stoffbahnen oder Beleuchtungseffekten erhielt der Vortrag eine zusätzliche Dimension. Am ergreifendsten war der dritte Satz in der visuellen Gestaltung. Der Konzertsaal war fast komplett abgedunkelt, sodass das Orchester nahezu auswendig spielen musste, während auf der Bühne und im Publikum zahllose Batteriekerzen leuchteten. Ein Altar der Klage und Trauer, aus dessen Dunkel, die Orchestersolisten mit kleinen Lichtspots heraus geleuchtet wurden. Ergreifend!

Andrés Orozco-Estrada hat dieses Werk oft dirigiert, u.a. bei den Berliner Philharmonikern und demonstrierte einen sehr passionierten Zugang. Die Sinfonie ist ein sehr persönliches Werk, aus dem Leid, Schmerz und nur vermeintlicher Triumph spricht. Natürlich kommt auch hier die Groteske nicht zu kurz, so ist der zweite Satz eine Persiflage auf stalinistisches Bonzentum, während das anschließende Largo ein intensiver Klagegesang ist. Hier verarbeitete Schostakowitsch schmerzvolle Verluste seiner Freunde, die in den Gulag deportiert wurden. Er selbst hatte immer einen gepackten Koffer zu Hause, um bereit für eine von ihm stets befürchtete Verhaftung zu sein. Das lärmende Jubelfinale erscheint zwanghaft, wie unter Schlägen erzeugt und ist sicherlich keine euphorische Siegesmusik. Einzig die ewig wiederholten Ostinati in den Streichern, die Schostakowitsch als „Ich“ verstanden wissen wollte, zeugen davon, dass er sich nicht beugen ließ. Viel Raum also für vielerlei Interpretationsansätze. Orozco-Estrada dirigierte das Filarmónica Joven de Colombia mit leidenschaftlichem Engagement, wodurch die kraftvolle Dramatik der Sinfonie voll zur Geltung kam. Aber auch in den Ruhepunkten nahm er sich die Zeit, die seelenvollen Kantilenen voller Trauer zu beschwören. Sehr energisch setzte der Dirigent rhythmische Impulse und ließ vor allem die Streicher sehr sonor, mit intensivem Bogenstrich artikulieren. Das hatte Schärfe und Substanz. Die jungen Musiker zeigten eine beeindruckende Reife und technische Souveränität, was auf ihre intensive Ausbildung und ihre Hingabe zur Musik zurückzuführen ist. Die zahllosen Solobeiträge in den Holzbläsern, etwa das vor Intensität brennende Solo der Oboe im dritten Satz begeisterten wie auch die Soli von Horn oder Violine. Der Vortrag der Sinfonie war sehr bewegend, spannend und schmerzlich. Es war ein Bekenntnis, was dieses Orchester mit viel Empfindung vortrug und am Ende für eine seltene Euphorie in der Alten Oper sorgte. Das Publikum tobte stehend vor Begeisterung. Ein glücklicher Andrés Orozco-Estrada meinte berechtigterweise, dass nach einem solchen Werk nicht wirklich eine Zugabe sich gut anschicken würde. Aber es wurde noch einmal kolumbianisch unter Mitwirkung des Publikums, das sich sehr gut schlug, das spielfreudige Orchester mit treffsicheren Klatschsalven während der Darbietung zu begleiten. Die Begeisterung kochte über. Ausgelassene Lebensfreude, Glück und Zufriedenheit, wohin das Auge schaute. Ein herrlicher Abend!

Dirk Schauß, 22. November 2023


Besuchtes Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 21. November 2023

Wolfgang Ordoñez: Travesía (Fanfarria y Pajarillo) für Orchester
Jean Sibelius: Serenade für Violine und Orchester Nr. 2 g-Moll Op. 69
Felix Mendelssohn-Bartholdy: Violinkonzert e-Moll Op. 64
Dmitri Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 5 d-Moll Op. 47

Hillary Hahn, Violine
Filarmónica Joven de Colombia
Andrés Orozco-Estrada, Leitung