Wuppertal, Konzert: „Bach, Chopin, Debussy, Szymanowski“, Krystian Zimerman

Als Magier der Klavierkunst wurde er angekündigt, weltbekannt ist er. 2022 wurde er vom japanischen Kaiser mit dem Praemium imperiale der Japan Art Association ausgezeichnet, eine Art „Nobelpreis für Musik“. Und seit dem 1. Preis des Warschauer Chopin Wettbewerbs 1975 gibt es nicht nur mehr als dreißig Alben bei der Deutschen Grammophon, sondern auch immer Konzerte in Deutschland: 359 in 87 Sälen und 73 Städten (Franz Xaver Ohnesorg 2022). Und am 27.05.2024 kam die „lebende Legende“ zum 3. Mal nach Wuppertal. 2014 war er hier mit Beethoven-Sonaten, 2021 mit Brahms und Chopin zu hören. Der Perfektionist liebt den Großen Saal vor allem auch wegen seiner Akustik. Von daher braucht dieser den Vergleich mit anderen großen Konzertsälen der Welt nicht zu fürchten. Bemerkenswert also, daß Zimerman bei 15 bis 20 Konzerten im Jahr hier auftritt.


© Bartek Barczyk

Zur Eröffnung dieses Klavierabends (Neudeutsch Solorecital) gab es von Johann Sebastian Bach (1985-1750) die Partita Nr. 2 c-Moll (BWC 826). Mit erhabenen festlichen punktierten schweren Akkorden (Grave) begann dieses ursprünglich jedenfalls in Teilen für seine 2. Frau als Klavierübung geplante Werk. Klare und flinke Zweistimmigkeit wird bald variiert und umspielt. Mit überraschenden Intervallen im weiteren Verlauf wechseln sich verschiedene musikalische Episoden ab. Mit einer differenzierten Dynamik, die auf dem ursprünglichen, von Bach benutztem Cembalo oder vielleicht auch Hammerklavier nicht oder kaum möglich war, scheinen sich diese Stücke von barocken Tänzen zu Charakterstücken zu entwickeln. Mit angedeuteter Agogik führte die Interpretation von glasklaren, durchsichtigen Strukturen zu improvisatorisch ruhelos getriebener Motorik, lebendig herausgespielten Stimmen in den komplexen Sätzen und zu zunehmender, zuletzt nahezu orchestraler stellenweise fast zu schneller Verdichtung, , beim Publikum aber zu geöffneten Mündern und Rutschen auf die vordere Stuhlkante. Wie hätte Bach wohl komponiert, hätte er schon einen Steinway- Flügel zur Verfügung gehabt? Zum ersten Mal starker Applaus.

Wohl als Hauptwerk des Abends folgte die Sonate in b-Moll von Frederic Chopin op.35. Sie beginnt mit langsam bedeutungsvoll punktierter Sexte in Moll abwärts bevor doppio movimento zerrissene, höchst emotional Achtelketten losrasen, deren Thema später in ruhiger Vergrößerung den Sturm unterbricht. Aber selbst bei ruhigeren Phasen bleiben die Achtel in der Tiefe bedrohlich wie die zusätzlichen starken Baßschläge. Das Scherzo stürmt im rhythmisierten ¾ Takt fast noch geschwinder los mit parallelen chromatischen Sextakkorden. Das elegische, nachdenklich beseelte Walzer-Zwischenspiel, später mit absteigenden Achteln im Baß spendet Trost in diesem. aufregenden Hexenritt. Das immer wieder notwendige Pedal setzte der Pianist sehr diskret und kultiviert ein. Endlich folgt der berühmte Trauermarsch des 3. Satzes., dem das punktierte Ostinato-Thema mit kleiner Terz im Baß bei langem Crescendo die Schwermut verleiht. Zu Herzen gehende Stecknadelmusik! Nahezu ohne Pause brauste zuletzt das kurze, höllisch schnelle Presto der Unisono-Triolen des letzten Satzes los. Da bebte die Seele in Fieberwahn und Gottfried Benn dichtete zu op. 35: „Zwei Augen brüllen auf: spritzt nicht das Blut von Chopin in den Saal, damit das Pack drauf rumlatscht“. Nein das Publikum sprang in frenetischem Beifall mit begeisterten Bravi von den Sitzen auf.

Nach der Pause gab es die „Estampes“ von Claude Debussy (1862-1918) aus dem Jahre 1903, die den Beginn seiner „impressionistischen“ Klavierwerke markieren. Man mag kaum glauben, daß Mahlers 5. Sinfonie um die gleiche Zeit komponier worden ist. Debussy nutzt im ersten der drei Stücke („Pagodes“) Eindrücke traditioneller Musik aus Indonesien. Gamelan heißen dortige Ensembles mit Bronzegongs oder anderen Metallophonen, Flöten, Trommeln auch Gesang. Seit der Weltausstellung in Paris war man dort davon angetan und Debussy hat klavieristisch versucht. diese Tonsprache allein auf dem Klavier darzustellen. Das Werk hat er seinem Malerfreund Jaques Emile Blanche gewidmet. Im 2. Stück (La Soirée dans Grenade) ging die musikalische Reise nach Granada, wurden musikalische Bilder und Tänze aus Andalusien lebendig und das letzte Stück (Jardins sous la pluie) reflektierte musikalisch sozusagen das moderne Klima. Da prasseln die Noten in Sechzehntel- und Achteltriolen wie Regen auf Blätter. Entspricht die Zahl der Noten pro Zeit den Regentropfen, dann scheint es sich schon damals zumindest zeitweise um Starkregen gehandelt zu haben.

Nahezu gleichzeitig entstanden die Variationen h-Moll von Karol Szymanowski (1882-1937), der, geboren in der damals von Russland annektierten Ukraine, sich schon als 13jähriger in Wien für Richard Wagner begeisterte. Nach dem Abitur hatte er privaten Kompositionsunterricht genommen. Seine Variationen über ein ukrainisches oder südpolnisches Volkslied(?) stellen technisch eine Herausforderung für den Pianisten dar, der vollgriffig, Kaskaden hinauf und hinunter mit und ohne Orgelpunkt vor allem bei der hochkomplexen letzten Variation zum Tastenlöwen mutiert. Trotz einzelner Unschärfen hier zeigte sich am Schluss das Publikum wieder begeistert mit stehenden Ovationen. Mit Blumen und einer seelenvollen Zugabe endete dieser eindrucksvolle Klavierabend,

Johannes Vesper, 18. Juni 2024

Besonderer Dank an unsere Freunde von den Musenblättern (Wuppertal)


Klavierfestival Ruhr

Wuppertal
Historischen Stadthalle

Nachtrag vom
27. Mail 2024

Bach, Chopin, Debussy, Szymanowski
Solist: Krystian Zimerman