Berlin: „Das Rheingold“

Premiere am 12.6.2021

Optisches Kunterbunt zu akustischer Wagnerfeier

Ungemein motivierend muss für alle an der Produktion Mitwirkenden die Probenarbeit Stefan Herheims an Wagners Rheingold gewesen sein, sollte er auch ihnen seine Sicht auf Welt und insbesondere Oper mitgeteilt haben, die er auf einer der Premiere vorangehenden Pressekonferenz geäußert haben soll: Es gehe um nichts Geringeres und Betrüblicheres als die Totenfeier für die Gattung Oper. Das beflügelt doch die Schaffenskraft und –freude ungemein, lässt aber umso mehr in Staunen geraten, wenn man auf der Bühne nicht allüberall Särge, sondern Fluchtkoffer sieht, diese doch nun zum unsäglich großen Überdruss immer wieder von Renaissanceoper bis modernem Musikdrama missbrauchten Gebrauchsgegenstände, die neben dem Flügel, der bereits Hundings Hütte zierte, die Bühne beherrschen.

Herheims Ring ging an der Deutschen Oper der von Götz Friedrich voraus, und auch in ihm traten Menschen unserer Zeit auf und zwar, als Walhall in Flammen aufgeht und eine schüchterne Schar sich am Bühnenrand drängte, voller Furcht, aber auch sichtbar von Hoffnung auf einen Neuanfang beseelt. Einer durch die Musik gerechtfertigten Hoffnung, da die zum Menschsein verurteilte Walküre durch die Rückgabe des Rings an den Rhein den Zustand der ursprünglichen Harmonie wieder hergestellt hatte. Herheim entzieht sich dem Drama um Götter, Halbgötter und Fabelwesen, indem er aus dem Weltendrama ein gesellschaftskritisches Stück macht mit den Göttern als Aristokraten, den Riesen als Bürgertum und den Nibelungen als Proletariat. Platter geht’s nimmer! Die Existenz des Flügels auf der Bühne rechtfertigt die Regie mit den schönen Worten, er sei das „musikalisch-optische Tor zur Phantasie“, da er beim Schaffensprozess präsent gewesen sei. Da dürfte wohl kaum eine Operninszenierung mehr ohne denselben auskommen. Ein weiteres Moment der Inszenierung sind Utensilien wie die Mephistomaske von Gustav Gründgens für Loge oder der Hitlergruß deutscher Soldaten (=gleich Nibelungen, aber in der Wehrmacht erst nach dem 20.7.44 Pflicht) von der Regie damit begründet, dass die Berliner Oper viel Wagner, so auch in der Nazizeit gespielt habe. Dabei wird übersehen, dass die Städtische Oper, die Vorgängerin der Deutschen, eine Gründung der Charlottenburger Bürger als Gegenstück zur Residenzoper, der Staatsoper, war.

Einmal mehr wird hier ein Weltbild nicht aus den Tatsachen heraus entwickelt, sondern eine individuelle Sicht der Dinge den Tatsachen übergestülpt.

Ist die Inszenierung als Totenfeier für die Gattung Oper gedacht, dann hat diese wenigstens einmal mehr vielen Menschen einen Arbeitsplatz verschafft, eben den bereits erwähnten Kofferträgern, die sich schnell nicht nur derselben, sondern auch ihrer Kleidung bis auf die Unterwäsche, natürlich Schiesser-Feinripp (später auch Wotans Lieblingsmarke, Kostüme Uta Heisecke), entledigen und mit oder ohne Rheintöchter und ohne Rücksicht auf das Geschlecht sich allerlei sexuellen Vergnügungen hingeben. Sind diese ca. 30 Statisten mal nicht auf der Bühne, weil sie auch nicht für die Bewegung unendlicher Stoffbahnen Bühne neben Herheim Silke Bauer) benötigt werden, dann können sehr packende Szenen entstehen, denn der Regisseur versteht etwas von Personenregie und provoziert die Sänger zu darstellerischen Höchstleistungen, auch wenn diese nicht immer goutiert werden können, so wenn Freia, zunächst ein hirnloses Dummchen, später, durch die Liebe Fasolts erweckt, zur hingebungsvollen Geliebten wird. Insgesamt sind die Götter rechte Deppen, und was bei Wagner noch leichte Ironie ist, so die Eifersucht Frickas, wird in der Herheim-Produktion zur schonungslosen Satire. Wenig nachvollziehbar ist, dass Alberich einer der Flüchtlinge bzw. Kofferträger, das Rheingold sein Blasinstrument ist- wozu dieses dann noch rauben? Die Regie verstrickt sich in viele Widersprüche und Ungereimtheiten, deren letzte der der Zwillinge im Uterus von Erda ist, die bekanntlich Mutter der Walküren, aber nicht von Siegmund und Sieglinde ist. Da hat sich Wotan wohl im Souffleurkasten, in den er zu einem Schäferstündchen mit Erda gestiegen ist, anstatt mit Fricka nach Walhalla zu wallen, vertan.

Hervorragend und damit den Rezensenten versöhnlich stimmend, sind die meisten Sängerleistungen und zu recht erscheinen zuerst einmal Wotan, Alberich und Loge zum Schlussapplaus vor dem Vorhang. Derek Walton ist ein sehr jugendlicher Göttervater, attraktiv auch im Schiesser-Slip, mit farbigem, angenehm timbriertem Bassbariton und lobenswerter Textverständlichkeit. Für Markus Brück hätte man sich gewünscht, dass er seinen so wunderschönen Bariton am Vorabend hätte dem Rodrigo angedeihen lassen können. Als Alberich begann er verhalten, verhalf der Boshaftigkeit des Nibelungen durch Timbreverfärbungen Gehör und konnte voll überzeugen mit der Verfluchung der Liebe wie der des Ringes, machte aus dem Nachtalben eine tragische Figur. Kaum eine Wagnerpartie ist dankbarer als die des Loge. Thomas Blondelle, gerade erst an der Komischen Oper der Zigeunerbaron, zog alle Register eines alle Qualitäten eines lyrischen wie eines Charaktertenors besitzenden Sängers und dazu eines großen darstellerischen Talents, das durch die Regie häufig in Puck-Nähe gerückt wurde. Grosssprecherische Tölpelhaftigkeit bzw. eitles Schönlingsgetue kennzeichnen Donner und Froh. Die Sänger Thomas Lehman und Matthew Newlin mussten dies in überzogener Form darstellen, waren vokal sehr ordentlich. Als Richard-Wagner-Karikatur mit entsprechendem Barrett, in KZ-Jacke, dazu mit einem durchdringenden Charaktertenor begabt, war Ya-Chung Huang ein hervorragender Mime. Denkt man an „Siegfried“, dürfte ein Protest gegen diese Sicht angesagt sein. Andrew Harris und Tobias Kehrer verkörperten Fasolt und Fafner, beide mit markanten Bässen begabt. Annika Schlicht hatte für Fricka das Königinnenmuttergehabe in der Darstellung und ließ einen wunderschön ebenmäßigen Mezzosopran strömen. So blond wie ihre Perücke war der Sopran, den Jacquelyn Stucker für eine Freia einsetzte, die die jugendspendenden Äpfel als ihre Brüste vor sich hertrug. Kein Wunder, dass die Kerle andauernd danach grapschten. Judit Kutasi, die bereits am Abend zuvor als Eboli triumphiert hatte, war die warmstimmigste Erda, die man sich denken kann. Harmonisch fügten sich die Stimmen der drei Rheintöchter Valeriia Savinskaia, Irene Roberts und Karis Tucker zueinander.

Hätte man sich als Rezensent die Erlaubnis gegeben, mit geschlossenen Augen die Vorstellung zu verfolgen, dann hätte man höchstes Rheingold-Glück genießen können, denn auch das Orchester unter Donald Runnicles war in Hochform, zeichnete feinste Stimmungen und erfüllte das Herz mit Andacht, akustisch war das keine Totenfeier für die Oper, sondern ein Wiederauferstehungsfest.

Fotos Bernd Uhlig

13.6.2021 Ingrid Wanja