Vorstellung am 24. Februar 2019
Mit der neuen Inszenierung von Guiseppe Verdis „Otello“ macht das Haus einen mutigen Schritt einer Neudeutung des „Librettos von Arrigo Boito nach Shakespeare“. Der Stoff des dramatischen Geschehens geht zurück auf eine der „zehn Geschichten über die Vor- und Nachteile verschiedener Arten von Liebe“ des Giovanni Battista Giraldi (1504-1573), genannt Cinzio, die 1565 im piemontesischem Mondovi erschienen sind. Bereits bei Giraldi war die Geschichte im Venedig und auf Zypern um 1488 verortet, als die eigentlich bis in die Jetztzeit ständig umkämpfte Insel im östlichen Mittelmeer unter venezianische Herrschaft gelangt war. Selbst der Handlungsfaden um die unglückliche Liebe der Disdemona (altgriechisch: unter einem Unstern stehend) und die handelnden Personen waren nahezu identisch vorgegeben. Wahrscheinlich 1603 bis 1604 hat William Shakespeare den Stoff dramatisiert, dabei die Handlung gestrafft, den handelnden Personen Namen gegeben und aus der gemeinschaftlichen Ermordung der umbenannten Desdemona durch den „Moor“ und dem Fähnrich mit allen seinen Konsequenzen, die Affekthandlung des Othello sowie seiner Selbsttötung gestaltet.
Bereits 1816 hatte Gioachino Rossini eine Oper „Othello oder der Mohr von Venedig“ nach einem Libretto des Franceso Maria Berio zur Aufführung gebracht. Rossini verlegte die Handlung seines nur selten aufgeführten Werkes ausschließlich nach Venedig. Erst dem Schriftsteller Arrigo Boito gelang es, 1879 dem Otello alles gedankliche Beiwerk Shakespeares auszusparen und die Konzentration auf das Grundgeschehen der Handlung zu einer Libretto-Skizze zu führen. Gemeinsam mit Boito hat Verdi , nicht ohne den Einfluss Richard Wagners, das erste echte italienische Musikdrama gestaltet und 1887 zur Uraufführung gebracht.
Die in London geborene und unter anderem auch in Griechenland aufgewachsene Olivia Fuchs hat am Opernhaus Magdeburg den Höllenritt gewagt, die individual-psychologische Handlung Boitos mit dem Zypernkonflikt der 1970er Jahre zu verbinden. Im August 1960 wurde Zypern nach einem antibritischen Aufstand aus der Kolonialabhängigkeit entlassen. Trotz der charismatischen Führungspersönlichkeit des Erzbischofs Makarios kam es auf der Insel nicht zur Kooperation der zypern-griechischen und zypern-türkischen Volksgruppen. Mehrfache Provokationen der „Mutterländer“ Griechenland und die Türkei verhinderten jegliche Ansätze einer Befriedung. Personell und materiell von der „Athener Militär-Junta“ unterstützt, putschten am 15. Juli 1974 Generale der zypriotischen Nationalgarde mit dem Ziel des Anschlusses Zyperns an Griechenland.
In dieser Gemengelage verortete Olivia Fuchs ihr mutiges Konzept und brachte es konsequent auf die Bühne. Damit war vorbestimmt, dass Boitos Libretto ordentlich werde Federn lassen müssen. Verdis Musik kam aber zu voller Geltung:
Der griechische General Otello betritt das Hauptquartier der Putschisten, das Touristenhotel „Ledra Palace“, nachdem die Feuergefechte zwischen den Wachen des Erzbischofes und Staatsoberhaupts Macarios verhallt sind. Auf der Insel befinden sich noch Touristen, so dass eine makabre Situation entsteht. Während die Urlauber im hinteren Bereich der Bühne ihren gewohnten Beschäftigungen nachgehen, sich auch mit den putschenden Milizionären vermischen, lässt sich Otello , abgetrennt von einer Gitterstruktur feiern und beginnt seinen Stab zu ordnen. Die Benachteiligung des Iago und die daraus entstehenden Kabalen sind bekannt. Der als Regierungswachhabender abgesetzte Monsato wird im Trubel verletzt. Desdemona mausert sich zur First Lady des Putschisten-Staats.
Mit vom Triumph ob des Putscherfolges inspiriertem Duett Desdemonas und Otellos endet der erste Akt der Inszenierung der Olivia Fuchs. Die bewegliche Gitterstruktur wird als wichtiges Gestaltungselement den aufgeschlossenen Opernfreund über den Abend begleiten.
Im zweiten Akt setzt sich die fragile Situation fort. Hinter den Gitterstrukturen entwickelt sich eine fröhliche Stimmung der Inselgäste. Desdemona lässt sich als Blumenkönigin feiern und bedankt sich mit freimütigem Benehmen. Nicht zuletzt um Otello eifersüchtig zu machen. Im vorderen Bühnenbereich befeuert Iago Otellos Eifersucht. Als Desdemona sich bei ihrem Mann für eine Begnadigung Cassios verwendet, weiß Iago Othellos Argwohn gegen beide wachzurufen. Mit der Verdichtung der Intrige verdichten sich auch die Gitter.
Mit einem von höchster Leidenschaft geprägten Duett führen Otello und der intrigante Iago den zweiten Akt zu einem der musikalischen Höhepunkte.
Zwischen der Handlung des zweiten und des dritten Aktes, während sich die Besucher mit einem Glas Wein oder Wasser stärken, hat es außerhalb des Hotels „Ledras Palace“ auf der „Politischen Weltbühne“ Wesentliches entwickelt:
Vorgeblich des Schutzes der türkisch-zypriotischen Minderheit und um den “Status quo ante“ der Züricher Vereinbarung wieder herzustellen, landeten ab dem 20. Juli 1974 türkische Truppen an der Nordküste Zyperns und besetzten über ein Drittel des Insel-Territoriums. Diese Invasion der Türkei aktivierte den UN-Sicherheitsrat und die NATO. Drohte doch ein bewaffneter Konflikt zwischen zwei Mitgliedern des Militärpaktes. Der internationale Druck führte zum Sturz der „Athener Militärjunta“ und zur Rückkehr der griechischen Exilregierung nach Athen.
Der dritte Akt sieht einen nachdenklichen Otello am inzwischen Touristen-freien Hotel, als ihm die Ankunft eines Beamten aus Athen angekündigt wird. Offenbar ist dem General bewusst geworden, wie sich „seine Sache„ entwickelt hat. So begrüßt er seine Gattin zunächst zwar mit ironischer Galanterie. Als diese erneut für Cassio bittet, macht sich seine Spannung frei und sein Zorn wallt auf. Er trifft allerdings auf eine selbstbewusstere Desdemona. Zu Boden geworfen, sendet sie Otello verachtende Blicke. Der auftretende Athener Abgesandte übermittelt Otello den Befehl, unverzüglich nach dem Mutterland zurückzukommen. Der angestrebte Anschluss Zyperns an Griechenland ist abgebrochen Die Persönlichkeit des Otello ist gescheitert: Politisch/militärisch und als Ehemann. Damit bleibt dem vierten Akt der Oper nur noch eine „Verwaltung der Katastrophe“.
Die Bühne zeigt die dreigeteilten Räume des Paares. Über dem Gebäude das Gitterwerk, allerdings über dem Bad der Dame zerstört. Desdemona, höchstnervös, muss sich erbrechen und singt zwischen Toilettenbecken und Ehebett ein makaber-verstörendes „Lied an die Weide“. Otello befindet sich in einer psychisch ausweglosen Verfassung und kann eigentlich nur seine Spannung lösen, indem er Desdemona erschießt, sich selbst ersticht.
Für Zypern war das Ergebnis des Putschversuchs, dass die Insel und Seine Hauptstadt Nikosia bis heute geteilt bleiben. Etwa 120 000 Menschen flohen nach dem südlichen Teil der Insel. Umgekehrt verließen 65 000 Angehörige der türkisch-zypriotischen Bevölkerung den südlichen Teil Zyperns. Auch die seit 1959 auf Zypern stationierten 2700 UN-Soldaten konnten diese Entwicklung nicht verhindern.
Als Stütze und Gerüst des „Pseudo-Premierenabends“ erwies sich die frisch aufspielende Magdeburgische Philharmonie. Der Generalmusikdirektor Kimbo Ishii nimmt Verdis wuchtige Dramatik wie ein Monument an, um in kleinen Oasen umso überraschender wundervolle Poesie erblühen zu lassen. Dabei sind die Musiker hervorragende Sängerbegleiter, loten die ständigen Kontrast glänzend aus und sind den von Thomas Ziesch recht aggressiv vorbereiteten Chören des Theaters Magdeburg, der Magdeburger Singakademie sowie des Opernkinderchors des Georg-Philipp-Telemann-Konservatoriums adäquate Partner.
Dazu der fragilen Situation angepasst das wunderbare Bühnenbild von Yannis Thavoris.Selten erlebt man die Beziehung von Otello und Desdemona in mitten des Kampfgeschehens so ausweglos und zugleich berührend, wie in der Inszenierung der Olivia Fuchs. Der australische Gastsänger Aldo di Toro meistert die Titelrolle mit einem warmen dunkel gefärbten Tenor, der durchaus auch mühelos strahlende dramatische Ausbrüche ermöglicht. Dabei spart er auch nicht in den Schluss-Szenen am schluchzenden Pathos.
Für die erkrankte Raffaela Lintl sang die aus den Niederlanden stammende und im Essener „Otello“ agierende Gabrielle Mouhlen die Desdemona. Bei aller Fraulichkeit symbolisierte ihre Darstellung keine typische Desdemona, sondern nimmt eher eine Außenseiterrolle ein. Gesanglich bietet sie Außerordentliches.
Ein Erlebnis der besonderen Art war der Iago des georgischen Bassbaritons Gocha Abuladze. Seine dunkle flexible den Raum füllende Stimme verfügt für diese Hauptpartie über das notwendige Volumen. Noch etwas Schliff, und er wird alle großen Rollen seines Faches singen können. Auch darstellerisch konnte er dem hinterhältigen Bösewicht ordentlich Statur verleihen.
Den Cassio sang der gleichfalls aus Essen entliehene Carlos Cardose hell, klangschön und mit grazilem Schmelz. Der Tenor Benjamin Lee bot mit schöner Klangfarbe und guter Darstellung einen ordentlichen Roderigo, während der Bassist Paul Sketris dem Montano eine bemerkenswerte Intensität gab.
Von der Emilia der stimmschönen Altistin Isabel Stüber Malagamba und dem würdevoll-expressiven Gesandten Lodovico des Johannes Stermann hätte man gern noch mehr gehört.
Obwohl in der Pause wenige Besucher das Opernhaus verlassen hatten, gaben die Verbliebenen den Agierenden und dem Inszenierungsteam einen stürmischen Applaus ohne ein einziges „Buh“.
Thomas Thielemann 12.3.2019
Bilder (c) Nilz Böhme