Premiere: 19.01.2019, besuchte Vorstellung: 09.02.2019
Vorwort zu unseren drei Vanessa-Kritiken
Liebe Opernfreund-Leser,
ich erlaube mir als Herausgeber ein kurzes Vorwort, denn höchst selten kommt es vor, daß Der Opernfreund gleich dreimal über eine Oper berichtet. Wir treten immer wieder und mit Priorität für seltene Opern, Ausgrabungen und Entdeckungen ein – eine Aufgabe, die jeder Intendant eigentlich überall ordentlich erfüllen sollte – besonders an solch hochsubventionierten Theatern, wie in Deutschland.
Leider tun sie das nicht; sie trauen sich nicht! Man sieht überwiegend nämlich immer dasselbe. Aus den existierenden, rund 50 000 Musiktheaterwerken, die es seit 1600 gibt, werden die ewig gleichen 16 Opern immer und immer und immer wieder auf den Spielplan gesetzt. Die will das Publikum sehen… so die denkfaule Begründung.
Aber es gibt Ausnahmen. Hierzu zählt das grandiose, tolle Theater Magdeburg. Intendantin Karen Stone gehört zu den wenigen Theaterleitungen, die sich ihrer immensen Verantwortung für unser grandioses Weltmusik-Theater-Erbe vorbildlich widmet. Ihr gebürt dafür eigentlich das Bundesverdienstkreuz und der höchste Dank, den wir vergeben können. Wir tun das gerade mit gleich drei Kritiken und unserem Ehrenpreis, dem OPERNFREUND STERN.
Peter Bilsing (Hrg.)
Lieber Opernfreund-Freund,
das Theater in Magdeburg hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder um – zumindest in Deutschland – extrem selten aufgeführte Werke verdient gemacht; so ist mir beispielsweise Zdenek Fibichs Braut von Messina in der packenden szenischen Umsetzung von Cornelia Crombholz noch in lebendiger Erinnerung. Ganz so selten ist Vanessa, die erste Oper des US-amerikanischen Komponisten Samuel Barber auf deutschen Brettern nicht, in jüngster Vergangenheit gab es beispielsweise Produktionen in Hagen, Bremerhaven und an der Oper Frankfurt. Doch das was Generalintendantin Karen Stone da größtenteils mit eigenem Ensemble auf die Bühne gebracht hat, ist mindestens genauso fesselnd.
Samuel Barber, dessen bekannteste Komposition mit Sicherheit das 1938 als op. 11 verfasste Adagio for strings ist, hatte sich von seinem Lebensgefährten Gian Carlo Menotti, selbst erfolgreicher Opernkomponist und deshalb mit den Anforderungen an ein Operntextbuch bestens vertraut, ein Libretto verfassen lassen, und das Werk nach seiner erfolgreichen Uraufführung 1958 an der New Yorker MET in eine dreiaktige Fassung umgearbeitet. Erzählt wird die Geschichte von Vanessa, einer nicht mehr ganz jungen Frau aus noblem Hause, die über 20 Jahre auf ihren Geliebten Anatol gewartet hat, den sie zu Beginn der Oper erwartet. Es erscheint aber nicht ihr Anatol, der inzwischen verstorben ist, sondern dessen gleichnamiger Sohn, der sich aber nicht zu Vanessa, sondern zu deren Nichte Erika hingezogen fühlt. Gleichzeitig genießt er allerdings das Umwerben durch die reife Frau, verlobt sich schließlich mit ihr und geht mit ihr nach Paris. Erika bleibt allein zurück – das Kind, das sie von Anatol erwartet hat, hat sie verloren – und nimmt Vanessas Rolle ein, indem sie alle Spiegel verhängen lässt und fortan auf ihren Geliebten wartet.
Eine filmreife Kulisse hat Ulrich Schulz für Karen Stones szenische Umsetzung ersonnen, ein mondän wirkender Landsitz, vollgestopft mit Designermöbeln breitet sich vor dem Zuschauer aus, als der Vorhang sich hebt. Die überdimensionalen Panoramafenster geben den Blick frei auf eine ungeheure Tiefe erzeugendes Gebirgsmassiv, das von Schluchten durchzogen ist, und bieten deshalb gewissermaßen Cinemascope. Hollywoodwürdig sind auch die Roben, die der Ausstatter ersonnen hat, Pelzstola und umwerfende Abendgarderobe inklusive. Halbdurchsichtige Vorhänge teilen die Einheitsbühne mitunter und schaffen so den Raum für die Ideen Karen Stones, die die innerfamiliäre Schieflage zwischen Vanessa, die nicht altern will, ihrer Mutter, die nicht mehr mit ihr sprechen mag, und ihrer Nichte, unentschlossen und unsicher an der Schwelle vom Mädchen zur Frau, die sich romantische Liebe erhofft, beleuchten. Die drei Frauen leben unter einem Dach und doch bleiben sie jede in ihrer eigenen Welt gefangen. Keine vermag, ihre Sichtweise einmal zu ändern, keine strebt wirklich ein Miteinander an. In diese Welt dringt der junge Anatol, der Erikas Sehnsucht nach Romantik nicht bedienen kann und für den Vanessa sich nur deshalb allzu gern selbst Sand in die Augen streut, um nicht erkennen zu müssen, dass sie über 20 Jahre umsonst gewartet hat. Stones durchdachte und spannende Personenführung erzählt die dramatische Geschichte packend und leidenschaftlich, lässt – wie in einem guten Kinofilm – keine Sekunde Langeweile aufkommen.
Dass alles so perfekt gelingt, liegt aber nicht zuletzt auch an der ausgezeichneten musikalischen Besetzung. Noa Danon IST in diesen zweieinhalb Stunden gestern Vanessa, geht ganz in ihrer Rolle auf und verkörpert die mondäne Frau stimmlich und darstellerisch mit allen Facetten, lässt Hoffnung sich immer wieder mit Verzweiflung abwechseln und betört durch herrliche Piani. Emelie Renard, seit Beginn dieser Spielzeit neu im Magdeburger Ensemble, formt mit ihrem ausdrucksstarken Mezzo ein detailliertes Portrait der Erika, halb trotziges Mädchen, halb liebende Frau und macht neugierig darauf, mehr von dazu intensiv spielenden jungen anglo-französischen Mezzosopranistin zu hören. Kammersängerin Undine Dreißig ist seit nun 30 Jahren in Magdeburg engagiert und verleiht der alten Baronin Profil, singt ausdrucksstark, zieht mich auch durch ihr enormes schauspielerisches Talent in ihren Bann und komplettiert die Damenriege aus dem Hausensemble. Die männlichen Hauptrollen sind mit Gästen besetzt: Kammersänger Edward Gaunnt ist Ensemblemitglied am Badischen Staatstheater in Karlsruhe und hatte dort vor zehn Jahren erstmals die Rolle des alten Doktors in Vanessa inne; deshalb konnte der gebürtige Texaner für den eigentlich angekündigten Roland Fenes übernehmen, verleiht der Figur mit seinem sonoren Bassbariton etwas Erhabenes, glänzt aber auch mit umwerfendem Gespür für Komik. Ebenfalls aus den USA stammt Richard Furman, der seit der Spielzeit 2015/16 am Hessischen Staatstheater in Wiesbaden singt und mich dort – so ehrlich will ich sein – vor allem im italienischen Repertoire nicht immer hat überzeugen können. Nun muss ich Abbitte leisten, denn die Figur des Anatol kann man nicht perfekter singen, als Richard Furman das gestern Abend getan hat. Sein schlanker Tenor besticht durch bombensichere Höhe voller Brillanz, mühelose Registerwechsel, tiefen Ausdruck, betörende Lyrik und reiche Farben. Er spielt die undurchsichtige Figur vorzüglich, schont sich nicht und verfügt über nicht enden wollenden Atem, der ihm grandiose Effekte ermöglicht. Bravo!
Im Graben hält der aus Bulgarien stammende Stellvertreter des GMD, Svetoslav Borisov, die Fäden zusammen und spornt die Musikerinnen und Musiker der Magdeburgischen Philharmonie zu Höchstleistungen an. Er präsentiert eine Mixtur aus höchst expressiver Musik, die sich in schwelgerischen Bögen immer wieder charakterlich der Filmmusik nähert, lässt auch den liedartigen Passagen Raum, die Barber in seine Partitur gesponnen hat; so wird es also auch akustisch ein Hochgenuss im Opernhaus Magdeburg. Regie und Dirigat gehen Hand in Hand und nur so kann es so ein rundum perfekter Abend werden. Das Publikum im nahezu ausverkauften Haus – für so eine Rarität schon bemerkenswert – ist ähnlich begeistert wie ich, bejubelt alle Beteiligten und zollt nicht nur Noa Danon Tribut, sondern vor allem auch Svetoslav Borisov und seinem Orchester.
Ihr
Jochen Rüth
10.02.2019
Für Fotos stammen von Andreas Lander.