Christopher Weeldons 2011 beim Royal Ballet London uraufgeführtes Ballett Alice’s Adventures in Wonderland nach Lewis Carrolls Erzählung mit der Musik von Joby Talbot, ist seit April 2017 auch beim Bayerischen Staatsballett zu sehen. Für die Produktion unter dem Titel Alice im Wunderland wurde auf Bob Crawleys Originalausstattung mit ihren phantastischen Einfällen zurückgegriffen. Fotorealistisch in Sepia-Tönen zeigt sich das altenglische Anwesen des Dekans Henry Liddell und seiner gestrengen Gemahlin. Bei Alice’ Sturz in den tiefen Brunnen, der ersten Station ihres Traumes, sieht man Schwarz/Weiß-Effekte in der Manier Jules Vernes. Angekommen in einem geheimnisvollen Garten, begegnet sie dem Herzbuben, der Herzkönigin und dem Weißen Kaninchen (bravourös: Javier Amo), das sie in einem Papierschiffchen immer weiter hinein ins Wunderland führt. Da ist zunächst ein idyllisches Landhaus mit einem Fisch- und einem Frosch-Lakai, von Konstantin Ivko und Dukin Seo brillant getanzt, aber auch der grotesken Herzogin (Robin Strona en travestie) und ihrer Angst einflößenden Köchin mit dem Hackebeil (Séverine Ferrolier).
Später bringt der Tanz einer Schmetterlingsraupe (sinnlich: Henry Grey) gar exotisches Kolorit ein. Bei der Herzkönigin überrascht ein rotes Gartenlabyrinth, im Schloss eine Spielkartentapete. Alle Register phantasievoller Bühnenzauberei werden hier gezogen, bis am Ende Alice aus ihrem Traum erwacht und sich mit Jack im Tanz wiederfindet.
Die Londoner Produktion wurde bereits zweimal auf DVD dokumentiert – entsprechend hoch liegt die Messlatte. Die Aufführung im Münchner Nationaltheater am 22. 11. 2018 zeigte das einem Staatsballett angemessene Niveau. Maria Chiara Bono gab die Titelrolle mit reizender Aura und märchenhafter Poesie. Auch technisch war sie souverän, vor allem ihre wirbelnden Pirouetten verfehlten ihre Wirkung nicht. Jack, der Gärtnerjunge bei Alices Eltern, der wegen eines vermeintlichen Diebstahls entlassen wird, war Dmitrii Vyskubenko mit sympathischer jugendlicher Ausstrahlung.
Als Herzbube zeigte er am Ende des 1. Aktes im Pas de deux mit Alice vitalen Schwung und hohe Sprünge, begeisterte auch in seinem Solo bei der Herzkönigin sowie dem nachfolgenden Tanz mit Alice mit lyrischer Emphase. Prisca Zeisel war die Königin der Herzen und brillierte vor allem in der Parodie von Auroras Rosen-Adagio mit sicheren Balancen. Ähnlich spektakulär ist die Doppelrolle des Zauberers angelegt, der als verrückter Hutmacher steppend ein Kabinettstück bietet. Jonah Cook erhielt dafür verdienten Szenenbeifall.
Tom Seligman brachte mit dem Bayerischen Staatsorchester die stilistisch vielfältige Komposition mit ihrem Walzerschwung, den minimalistischen Effekten, Cluster-Rhythmen, Orientalismen, Tschaikowsky-Zitaten und lyrischem Melos effektvoll zur Wirkung.
Bern Hoppe 27.11.2018
Bilder (c) Wilfried Hösel