Paris: „Don Pasquale“

Aufführung am 16.06.2018

Eine austauschbare Inszenierung

Gibt es so etwas wie einen Zeitgeist? – Anscheinend ja, denn manchmal kommen Intendanten und Regisseure an vollkommen verschiedenen Orten auf genau die gleichen Gedanken. „Don Pasquale“, 1843 am Théâtre-Italien in Paris uraufgeführt und seitdem als „Dramma Buffo“ im Repertoire der Opéra Comique, wird nun zum ersten Mal an der „großen Oper“ gespielt – einen Monat nach der Scala, wo das Werk seit einem Vierteljahrhundert vom Spielplan verschwunden war. Und wenn man die Rezension von Eva Pleus im Merker (5/2018) liest, bekommt man den Eindruck, dass es sich zweimal um die gleiche Inszenierung handelt. Denn in Paris und in Mailand interpretierten zwei unterschiedliche Regisseure „Don Pasquale“ auf genau die gleiche Art und setzen ihr Konzept mit genau den gleichen Mitteln um: eine aufwändige Drehbühne mit sehr viel Video, eine ganzabendliche Modeschau für Norina und eine Neuinterpretation der Titelrolle, die von einem alten Hagestolz, der plötzlich Frühlingsgefühle entwickelt, mutiert zu einem geknechteten Mann, der viel zu lang gebückt unter dem kastrierenden Pantoffel seiner Mutter ging (in Paris seine alte herrische Haushälterin).

Nadine Sierra als sexy Norina in einer abendfüllenden Mode- und Videoshow

Genau wie Eva Pleus kritisch über die Regie von Davide Livermore an der Scala berichtet, kann ich jetzt Damiano Michieletto an der Opéra de Paris kaum Komplimente machen. Das viele Auf- und Abbauen der aufwändigen Videoinstallationen und die Auf- und Abgänge der Kamerateams während der großen Arien störte nur die Handlung und die vollkommen offene Bühne (die Rückwand wurde als Projektionsfläche benutzt) war akustisch extrem Sänger-unfreundlich. Hat der Bühnenbildner Paolo Fantin noch nie in einer Oper gearbeitet? Der Kostümbildner Agostino Cavalca – der jetzt an der Pariser Oper debütierte – sicherlich, denn wir haben schon viele schöne Kostüme von ihm gesehen. Aber noch nie so viele hässliche wie jetzt – was offensichtlich zum Regiekonzept gehörte. Mit als einziger Ausnahme die bildschöne Norina, der wirklich jedes Kostüm wirklich fantastisch stand. (Aber wie kann eine mittellose Witwe sich solch aufwendige Designerkleidung leisten? Und warum will eine solch vermögende und umworbene Frau dann so ein altes Schreckgespenst heiraten?)

Zum Glück war die Titelrolle mit einem erfahrenen Sänger besetzt, der aus jedem Regiekonzept noch etwas machen kann. Michele Pertusi hat diese Rolle schon an der Staatsoper gesungen (und wird sie dort auch wieder singen) und gehört zweifelsohne zu den aktuellen „Rollenträgern“ (wie man in Paris sagt). Er sang nicht nur makellos, sondern konnte auch den manchmal schwierigen Rezitativen Form und Inhalt geben und ein wirkliches Rollenprofil aufbauen. Nadine Sierra war an seiner Seite als Norina vor allem sehr „sexy“: den ganzen Abend hindurch zeigte sie ihre schönen Beine und während sie in ihrer ersten Arie dreimal ihr Kostüm wechselte, durften wir auch noch ihren ganzen Körper aus allen nur erdenklichen Blickwinkeln bestaunen. Sie zeigte sich extrem spielfreudig, frech und keck und hatte eine wunderschöne Stimme (eine ihrer Paraderollen ist die Gilda). Neben solch einem „Traumpaar“ ist es schwierig als konkurrierender Ernesto aufzutreten. Lawrence Brownlee hatte es verständlicherweise nicht leicht, auch weil er in dieser Rolle vollkommen fehl am Platze schien. Er wirkte wie ein pummeliger Vorstadtgauner mit sehr schlechten Manieren (sollte er einen ordinären Drogenhändler darstellen?). Und wenn er sich zusätzlich im Programmheft als „einer der größten aktuellen Belcanto-Tenöre“ vorstellen lässt, hatte er schon in Voraus unsere Sympathie verspielt (da gibt es bei ihm – zumindest in dieser Rolle – noch reichlich viel „Luft nach oben“). Auch Frédéric Guieu war als Notar falsch besetzt. Wir freuen uns immer, wenn Mitglieder des Hauschors eine kleine Rolle bekommen, aber in diesem Fall war der Sänger sichtlich überfordert und bekam seine wenigen Sätze einfach nicht hin. Zum Glück wurde Dottor Malatesta durch Florian Sempey gesungen, ein junger, spielfreudiger Bariton aus dem Opernstudio der Opéra de Paris, über den wir in den letzten Jahren schon oft im Merker geschwärmt haben. Doch jetzt fehlte uns schon in der zehnten Reihe sein sonst so warmes Timbre. Und das lag nicht an ihm (er klang keineswegs indisponiert), sondern am Bühnenbild und auch am Dirigenten, der seine einzige Arie schnell und lieblos dirigierte.

Evelino Pido braucht man nicht mehr vorzustellen: ein anerkannter Belcanto-Spezialist, dem wir viele schöne Abende verdanken. Er dirigierte die Ouvertüre mit Intelligenz, Interpretation und großem Können. Mit vielen kleinen rubati und Temposchwankungen sorgte er dafür, dass sie nie langweilig wurde. Doch gleich im ersten Akt sattelte er auf eine Art Einheits-Tempo um und nahm Malatestas „Bella siccome un angelo“ ungewöhnlich schnell. Er übersprang dabei sogar die in der Partitur angegebenen Orgelpunkte und Pausen. Außer Michele Pertusi hielt er den ganzen Abend Sänger, Chor und Orchester an einer sehr kurzen Leine, was ab einem gewissen Punkt klangfarbenarm, seelenlos und unmusikalisch wirkte. Schade, denn so wurde diese Produktion szenisch und musikalisch völlig austauschbar. Sie wird nächste Spielzeit weiterreisen nach London und Palermo. Vielleicht werden ihr dort andere Künstler Leben einhauchen können. Wir sind gespannt!

Waldemar Kamer

Bis zum 12. Juli im Palais Garnier, www.operadeparis.fr

Copyright der Bilder: Vincent Pontet