am 23.9.2019
Feministisches Regiekonzept zerstörte die märchenhafte Poesie mit Brachialgewalt
Die erste Premiere der neuen Saison im Theater an der Wien galt Antonín Leopold Dvořáks erfolgreichster Oper „Rusalka“. Das Libretto von Jaroslav Kvapil (1868-1950) geht auf slawische Volksmythen über die Rusálki (Wassergeister, Nixen) zurück, und ähnelt der bekannten deutschen Erzählung „Undine“ von Friedrich de la Motte Fouqué (1777-1843), Hans Christian Andersens (1805-75) Märchen „Die kleine Meerjungfrau“ sowie der altfranzösischen Sage um die schöne Melusine. Regisseurin Amélie Niermeyer stülpte ihrer Inszenierung eine geradezu zwanghafte feministische Sichtweise über, in der die Männer entweder brutal erscheinen (Der Wassermann), oder neurotisch (Der Prinz) oder mit einer Art Kilt bekleidet, die weibliche Note im Mann versinnbildlichen, um nur ja keinen Gedanken an ein lyrisches Märchen zu verschwenden. Stark sind in erster Linie die weiblichen Figuren und hier vor allem die rebellischen und aufmüpfigen Waldnymphen, die den Wassermann verspotten und gängeln, ähnlich den Rheintöchtern und Alberich. Apropos Wagner! Beim Mitlesen der deutschen Übertitel fielen mir noch andere Bezugspunkte zu Richard Wagner auf, dessen Werk Dvořák offenbar gekannt haben musste. So hat die Hexe Ježibaba, die Rusalka mit den Worten „Staletá moudrost tvá všechno ví, proniklas přírody tajemství, za nocí hlubokých o lidech sníš,
odvěkým živlům rozumíš…“ (Ihre jahrhundertealte Weisheit weiß alles, Sie haben die Geheimnisse der Natur durchdrungen, in der tiefen Nacht träumen Sie von Menschen, Sie verstehen die alten Elemente …) anspricht, eine Bühnenschwester in der Urwala Erda, der Welt weisestes Weib und Mutter der Nornen. Und der Prinz? Er trägt wohl einige Züge des noch pubertierenden Jung-Siegfried. Wenn dann die fremde Fürstin den Prinzen mit einem ungebändigten „Až požár můj vás popálí“ (Wenn mein Feuer dich verbrennt) in ihren Bann zieht, erinnert uns das nicht an Brünnhildes wilde Beschwörung im Finale des Siegfried: „Wie mein Blick dich verzehrt, erblindest du nicht? Wie mein Arm dich presst, entbrennst du mir nicht? Wie in Strömen mein Blut entgegen dir stürmt, das wilde Feuer, fühlst du es nicht?“ Im modernen Bühnenbild von Christian Schmidt steht ein Swimmingpool, der auf der linken Seite von Schilf gesäumt wird, in der Bühnenmitte. Dahinter befindet sich eine Art Kanaleingang, der vergittert und mit einem Schild „POZOR“ (Achtung) versehen ist. Auf der rechten Seite der Bühne befindet sich eine Garageneinfahrt, die geöffnet den Blick auf das Boudoir der mit einem Zigarettenspitz rauchenden Ježibaba frei gibt. Ein Treppenaufgang führt zum Zimmer des Prinzen, das sich über dem Kanal befindet. Lehnstuhl, Sofa und Stehlampe stehen rund um den Swimmingpool, dem Reich der Elfen und des Wassermanns.
Während er im ersten Akt noch mit etwas Wasser befüllt ist, soll Badeschaum im zweiten Akt wohl die intimere Situation versinnbildlichen, von der im dritten Akt dann nicht mehr über geblieben ist, da das Wasser des Pools bereits vertrocknet ist. Ein Kronleuchter der Firma Lobmeyr, der wohl das Schloss des Prinzen symbolisieren soll, wie man sie u.a. auch im Musikverein in Wien sehen kann, wurde vom Schnürboden herabgelassen und von den mit einem Kilt bekleideten Lakaien akribisch geputzt. Kirsten Dephoff verantwortete die alles andere als märchenhaften Kostüme, die x-beliebig auch in anderen Produktionen Verwendung finden könnten. Rusalka und die drei Waldnymphen tragen rote Strumpfhosen mit weißen Hemden, die am Rücken geschlossen sind. Im dritten Akt begehen sie einen kollektiven Selbstmord um kurze Zeit später wieder fröhlich aufzutreten. Stimmt ja, als Wesen ohne Seele können sie ja gar nicht sterben! Der bebrillte Wassermann trägt einen biederen blauen einen Anzug, damit nur ja keine märchenhafte Stimmung aufkeimt! Auf den verbleibenden weißen Seitenwänden spiegelt sich das Wasser bzw erscheinen Videoprojektionen von Jan Speckenbach, welche die Entourage des Prinzen beim fröhlichen Hochzeitsfest zeigen. Bei dieser betont feministisch ausgerichteten Regie muss der Prinz übrigens seine Männlichkeit erst einmal unter Beweis stellen, indem er splitternackt über die Bühne tänzelt.
Thomas Wilhelm steuerte eine eher unauffällige Choreographie bei, die jedoch bei dem zierlich das Bein schwingenden Prinzen peinliche anmutete, während Reinhard Traub die einzelnen Szenen mit gewohnter Präzision einleuchtete. Angesichts dieser szenischen Misere entschädigt wenigstens der musikalische Teil des Abends reichlich. Da ist einmal der 1983 in Freiburg geborene junge deutsche Dirigent David Afkham zu nennen, der am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien für slawische Romantik, die allerdings fallweise zu dramatisch ausfiel, sorgte. Der von Erwin Ortner geleitete Arnold Schoenberg Chor konnte seine Vielseitigkeit nunmehr auch in einer slawischen Oper unter Beweis stellen. Die Schwedin Maria Bengtsson reüssierte in der Titelrolle der Rusalka mit einem gut geführten Sopran voller Melismen. Sie besingt den „Silbernen Mond am Himmelszelt“, getragen von dem Wunsche eine Seele zu erhalten, mit dem berühmten „Ohrwurm“, der den Charakter eines Lullaby hat und mit dem Text von Edgar Yipsel Harburg und der Musik von Harold Arlen als „Over the Rainbow“ zu einem der bekanntesten Lieder der späten 1930er Jahre verarbeitet wurde. Günther Groissböck hinterließ für mich den stärksten Eindruck an diesem Abend. Nach der Meinung meiner Sitznachbarin, einer tschechischen Rezensentin, sollte der Wassermann eher wie ein Philosoph gezeichnet werden. Nun gut, bei diesem Regiekonzept durfte er nur markige Basstöne von sich geben und etwas gewalttätig den Waldnymphen und Rusalka gegenüber auftreten. Diese wehrte sich übrigens gegen seine körperlichen Übergriffe und quittierte sie mit einer schallenden Ohrfeige frei nach dem „wienerischen“ Motto „A g’sunde Watschen hat einem Erwachsenen noch nie geschadet!“.
Der Prinz des tschechischen Tenors Ladislav Elgr hörte sich für mein Empfinden wenig erbaulich an. Stellenweise bereiteten ihm die hohen Töne auch hörbar Schwierigkeiten. Darstellerisch lagen ihm vor allem die romantischen Szenen mit Rusalka bei ihrem ersten Zusammentreffen und im Finale. Kate Aldrich gab gesanglich eine wenig sinnliche fremde Fürstin, was sie jedoch mit ihrem ausdrucksstarken Spiel auszugleichen verstand. Natascha Petrinsky darf als Hexe durchaus mit einem grellen Mezzo aufwarten. Mondän gekleidet erteilt sie der Mensch gewordenen Rusalka einen Schnellsiedekurs in geschlechtlichem Umgang mit einem Mann. Ilona Revolskaya und Mirella Hagen, beide Sopran, sowie Tatiana Kuryatnikova mit ihrem Mezzo ergänzten als die drei Waldnymphen stimmlich einwandfrei und trotz des konfusen Regiekonzeptes äußerst spielfreudig. In den drei Dienerfiguren ergänzte mit stimmgewaltigen Bassbariton Markus Butter als Hegers, Juliette Mars und Johannes Bamberger wiederum gefielen als quirliger Küchenjunge und Jäger mit gut geführtem Sopran bzw. Tenor. Den stärksten Applaus erhielt Wassermann Günther Groissböck, dicht gefolgt von Maria Bengtsson als Rusalka und Johannes Bamberger als Jäger, Mitglied des Jungen Ensembles des Theaters an der Wien. Auf die übrigen Mitwirkenden verteilte sich ausgewogener Applaus.
Harald Lacina, 24.9.
Fotocredits: Herwig Prammer