Premiere am 19. November 2017
Der „Tannhäuser“ beehrte das Hessische Staatstheater immer wieder in den letzten Jahrzehnten, dabei in sehr unterschiedlichen Deutungen. Anfang der 1980ziger Jahre inszenierte Intendant Christoph Groszer im Stile Wolfgang Wagners recht brav mit gigantischer „Liebesmuschel“, gefolgt von Dominik Neuner, der sich 2001 für eine sehr stilisierte Deutung in geometrischer Optik entschied. Wiesbadens aktueller Intendant Uwe Eric Laufenberg ging nun mit einer weiteren Eigeninszenierung an den Start, diesmal sekundiert von Rolf Glittenberg (Bühne) und dessen Frau Marianne (Kostüme). Hier ist vor allem die vorzügliche Akustik der Raumgestaltung zu loben. Sie ermöglicht, dass die Sänger in jeder Position bestens zu hören sind.
Nach seiner schwachen Ring-Inszenierung zeigte Laufenberg in seiner Inszenierung mehr Phantasie. Der Zuschauer kann sich an schönen Bühnenraumgestaltungen erfreuen, in welche diesmal (im Vergleich zur Ring-Inszenierung) der Hintergrund für Videoeinblendungen (Videos: Gérard Naziri), u.a. Naturstimmungen, gelungen genutzt wird. Lediglich in den ersten 20 Minuten nervt die Dauer-Videoberieselung, zumal diese die schwache Venusberggestaltung nicht überdecken kann. Tannhäuser ist bei Laufenberg der schwarz gekleidete Künstler, der zwischen den beiden Welten Wartburg/Hörselberg hin- und hergerissen ist. Im ersten Aufzug gibt es viel nackte Haut der viel beschäftigten Statisterie zu erleben.
Der Vorhang öffnet sich zum Pilgermotiv der Ouvertüre. Wir sehen die Pilger, die sich eine Videoübertragung mit Papst Franziskus ansehen. Unter ihnen Tannhäuser, dem das derart zusetzt. dass er eine Sauerstoffmaske benötigt. Doch was ist das? Einige Männer entkleiden sich, tanzen und springen um die Pilger herum. Küsse werden ausgetauscht…Die Pilger ergreifen die Flucht. Wir sind im Venusberg. Geraune im konservativen Wiesbadener Publikum. Sie sind völlig nackt! Männer und Frauen tanzen auf und um vielerlei Sofamöbel herum, welche sie immer wieder neu positionieren. Allerdings kaschiert das ständige Verrücken der Möbel nicht den szenischen Leerlauf, der hier überdeckt werden soll. Dazwischen Venus Champagner schlürfend. Das soll also die große andere Welt der Verführung sein? Nackerte und ein wenig Champagner? Schnell langweilt das Szenische, da Nacktheit allein eine kaum aussagestarke Personenführung zwischen Venus und Tannhäuser kaschieren kann. Da können noch so viele Videofilme den Zuschauer überfrachten. Es findet keine wirkliche Interaktion statt. Beim Szenenwechsel zeigt sich eine Waldlandschaft am Horizont, die linke Bühnenseite ist überreich mit Geweihen behängt. Ja, ja, die Jäger kommen! Doch halt, zu erst sind die Pilger an der Reihe, die, sauber und modern eingekleidet, an einem Glaskasten Halt machen. Darin ein blondes Schneewittchen…., doch nein, es ist Jungfrau Maria. Vor ihrem Glasgrab legen die Pilger Blumengebinde ab. Als am Ende des ersten Aufzuges Tannhäuser „zu ihr zu ihr“ singt, wacht die vermeintlich Leblose auf und wir erkennen, es ist Elisabeth! Von den Toten auferstanden…..Vorhang!
Im zweiten Aufzug bei ähnlich geschlossenem Bühnenraum mit überlangen Sofas nun also der sog. „Sängerkrieg“. Hier gelingen Laufenberg spannungsreiche Szenen. Elisabeth wirkt zunächst vergrämt in ihrem schwarzen Trauerornat. Wie schnell blüht sie auf, als Tannhäuser wieder da ist. Das ist bewegend und schlüssig in den Szenen entwickelt. Die Chorszenen und der Sängerkrieg sind gut choreographiert, so dass die Inszenierung hier erkennbar an Fahrt gewinnt. Allein den einzelnen Beiträgen der Sänger-Wettstreiter fehlt der szenische Biss, das wirkte dann doch wieder recht brav. Und dann sind sie wieder da! Die Nackten! Beim Sängerwettstreit! Skandal und Elisabeth kann bei so viel nacktem Fleisch nun nur noch eines tun: Beten!
Der dritte Aufzug schließlich zeigt eine Schneelandschaft mit kleinem Campingzelt und übergroßem liegendem Kreuz auf der Bühne. Hier gelingen Laufenberg anrührende und z.T. poetisch anmutende Bildwirkungen. Elisabeth verharrt reglos in der Schneelandschaft, während Wolfram im kleinen Zelt die Nachtwache hält. Die Pilger kehren heim, immer noch neu eingekleidet wirkend. Na ja, offenkundig war die Pilgerreise nach Rom nicht erkennbar anstrengend. Nach ihrem Gebet entledigt sich Elisabeth aller irdischer Zier, sie legt alle Kleider ab und schreitet völlig nackt durch den Schnee in die Nacht. Der gebrochen wirkende Tannhäuser lebt seine Romerzählung, z.T. rücklings liegend auf dem Kreuz aus. Venus betritt letztmalig mit ihrem nun bekleideten und ermüdetem Gefolge die Bühne. Dieser letzte Auftritt wirkt hier lediglich wie eine Pflichtübung. Keine wirkliche Gefahr für Tannhäuser! Am Ende schreitet auch er von der Bühne, während sich am Bühnenhorizont eine angedeutete Lichtpyramide eröffnet. Ein starkes Bild.
Spannend war diesmal die musikalische Seite. Sabine Cvilak als Elisabeth, vielbeschäftigte Sopranistin in Wiesbaden (sie wird noch Arabella und Katja Kabanowa singen), war eine sängerisch und darstellerisch überzeugende Gestalterin. Stimmlich war sie gegenüber ihr sehr grenzwertigen Sieglinde kaum wiederzuerkennen. Die Mittellage erklang warm und wohltönend. Die Höhe blieb diesmal im Körper verankert, spreizte sich nicht und war auch hier angenehm zu vernehmen. Ihre totale Identifikation mit der Rolle war jederzeit spürbar. Jordanka Milkova als Venus konnte weder szenisch noch stimmlich die notwendige Sinnlichkeit transportieren. Die junge, attraktive Sängerin verfügt über eine schöne Stimme, die jedoch recht eindimensional eingesetzt wurde. Gestalterisch war sie nicht in der Lage, zu differenzieren. Zu vieles klang pauschal und gedanklich nicht durchdrungen. Hinzu kamen Intonationstrübungen in der hohen Lage. Hier musste Milkova vor den hohen Tönen nach-atmen, um die notwendige Kraft bereitzustellen. Ab der Mittellage aufwärts war die Textverständlichkeit unzureichend. Eine nur tonale Bewältigung einer Partie formt keinen Charakter….
Ein schön gesungener Wolfram holt sich zumeist den größten Erfolg beim Publikum. So auch geschehen auch in Wiesbaden. Als Wolfram gab Benjamin Russell einen heftig bejubelten Partner an der Seite von Tannhäuser. Sängerisch betonte er mit seinem sehr hellen Bariton das Lyrische seiner Rolle, konnte aber auch den dramatischeren Anforderungen im dritten Aufzug genügen. Vorzüglich die Textverständlichkeit und die Linienführung seiner Phrasierung. Mit einer ähnlich hellen Baritonstimme war vor vielen Jahren Robert Dean Smith in Wiesbaden engagiert und wechselte dann später zum Tenor. Vielleicht geht Russell in der Zukunft einen ähnlichen Weg.
Young Doo Park war ein stimmlich vorzüglicher Landgraf, dessen herrlich timbrierter Bass in dieser Partie bestens zur Geltung kam. Unter den Minnesängern ragte der großartige Thomas de Vries als Biterolf heraus. Auch hier zeigte er, wie überzeugend charakteristisch er gestalten kann. Aron Crawley war ein heldisch auftrumpfender Walter, der jedoch zu nachlässig artikulierte. Verlässlich in den Ensembles sangen Joel Scott als Heinrich und Alexander Knight als Reinmar. Stella An war ein stimmfrischer Hirt.
Und Tannhäuser? Seine Leistung war für mich die große positive Überraschung des Abends! Mit Lance Ryan war ein sehr erfahrener Wagner-Tenor zu hören, der mit den fordernden stimmlichen Anforderungen keinerlei hörbare Probleme hatte. Natürlich sind seiner Stimme die vielen Wagner-Abende anzuhören. Sein Vibrato ist mitunter unstet oder kaum vorhanden. Viele Haltetöne geraten steif und manche Vokalverfärbung trübt den Höreindruck, Auch brach die Stimme im Piano. Aber der Tannhäuser benötigt gerade auch solche Farben! Sein von jeher polarisierendes Timbre kann Ryan überzeugen nutzen, um hier jedoch den Außenseiter erlebbar machen. So erinnerten manche kopfigen Pianofärbungen an seinen hiesigen sehr überzeugenden Peter Grimes. In seinem Ausdrucksspektrum zeigte er sehr viele Facetten, die bei seinen Wagner-Heroen so bisher nicht zu hören waren. Verblüffend großzügig geriet seine Phrasierung. So war Ryan in der Lage große Bögen mit endlos erscheinendem Atem zu singen. Gerade der Tannhäuser benötigt eine dramatische Deklamation, eine wissende Textgestaltung. Viele Nuancen sind notwendig, um die unendlichen Farbanforderungen von Flehen über Ironie bis zum Sarkasmus abzubilden. Davon brachte Ryan sehr viel in seine Interpretation ein. So konnten sich die Zuhörer natürlich dann auch über seine packende Romerzählung freuen. Einzig sein „Da ekelte mich der holde Sang“ wirkte zu angenehm im Klang, hier braucht es viel mehr Expressivität!
Albert Horne hat seine Chöre für die sehr schwierigen Anforderungen bestens vorbereitet. Sowohl in Ausdruck, als auch in der darstellerischen Beweglichkeit, waren Chor und Extra-Chor des Staatstheaters einmal mehr ausgezeichnet. Gelegentliche Intonationstrübungen bei den Pilgergesängen störten nicht maßgeblich.
Als neuer GMD stellte sich Patrick Lange vor. Erkennbar gut war das Hessische Staatsorchester präpariert. Lange bevorzugte sehr flotte Tempi und wahrte den gesamten Abend ausgezeichnet die Balance in den einzelnen Instrumentalgruppen. Manches geriet dann aber auch zu schnell wie etwa das Vorspiel zum 3. Aufzug oder Elisabeths Gebet „Allmächtge Jungfrau“. Hier wäre mehr Mut für kontemplative Momente wünschenswert. Sein Orchester musizierte transparent und farbenfroh. Wunderschön erklangen die Holzbläser gerade im 3. Aufzug und das viel geforderte Blech musizierte schlank und kultiviert. Interpretatorisch vermeidet Lange alles Lärmende. Wenn gefordert, so konnte er aber auch wunderbar üppig ausmusizieren. So geriet das Bacchanale in seiner Orgiastik mitreißend und der Chor der Gäste mit den außerordentlich schneidig aufspielenden Fanfaren erklang geradezu überrumpelnd in seiner Klangpracht. Im Bacchanale hatte dann auch das Schlagzeug in der Proszeniumloge seine besonderen Momente mit spielfreudiger Verve und Genauigkeit.
Großer Premierenjubel für alle. Kein Widerspruch!
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Bilder (c) Monika und Karl Forster
Dirk Schauß 21.11.2017