LOOK BACK: 10 Jahre Umbau / Renovierung des Opernhauses
Wieder recycelter Artikel von 2011
Über das Leiden im Allgemeinen…
Über das Leiden im Wuppertaler Opernhaus im Besonderen
Und auf dem Weg zum eigenen Licht, Komm sag, was wünschst du mir.
Ich wünsch dir Liebe ohne Leiden. Und eine Hand die deine hält.
Ich wünsch dir Liebe ohne Leiden. Und dass dir nie die Hoffnung fehlt.
Und dass dir deine Träume bleiben (…) Dubidubididuh…(Udo Jürgens)
Ein Opernhaus ist etwas Wunderbares. Üblicherweise bereitet es den Bürgern Freude. Soll es ja auch. Sie können stolz sein, wenn sich ihre Stadt heutzutage noch solchen Luxus leisten kann. Immerhin wird jeder Platz mit durchschnittlich mindestens 150 Euro Steuergeldern bezuschußt. Das ist erheblich mehr als das Städtische Hallenbad benötig oder alle Museen zusammen. Viele kulturinteressierte Bürger leiden darunter, daß ihre Stadt eben kein Opernhaus hat. Dieses Leiden ist jedoch nicht vergleichbar dem Leiden der Bürger in der Nachbarstadt, die zwar ein Opernhaus haben, aber nicht hingehen, weil man dort alles so schrecklich modernisiert und man die guten alten Opern einfach nicht wieder erkennt. Merke: Auch Opernverhunzung fördert Leiden. Seelisches Leiden.
Nichts von alledem in der wunderbaren Stadt Wuppertal, denn man hat ein schönes altes Opernhaus. Auch werden hier im Allgemeinen keine Opern verhunzt. Und hier wird vom artigen Publikum selbst eine mißglückte, langweilige und stellenweise wirklich dilettantische Regiearbeit (wie aktuell beim „Fliegenden Holländer“) noch lauthals, dankbar und stolz bejubelt. Auch dem bei der Holländer-Premiere wirklich indiskutabel schlecht vorbereiteten Orchester, welches klang, als habe man kaum geprobt, wird vom zahlenden Volk applaudiert. Motto: Wenn wir die Melodien noch erkennen können, kann es so schlecht nicht gewesen sein! Selbst ein einzelner Trompeter (ich konnte es prima sehen aus dem ersten Rang!) fand alles so grausig, daß er sich im dritten Akt klammheimlich für gut zwanzig Minuten aus dem Orchestergraben entfernte; wahrscheinlich hatte er in dieser Zeit auch nichts zu spielen, sonst hätte es wohl Ärger mit dem Dirigenten gegeben…
Doch zurück zum körperlichen Leiden. Hier sei mir ein kurzer Exkurs über die Baulichkeit des Wuppertaler Opernhauses erlaubt. Das gute alte traditionelle Haus, ehemals das Stadttheater Barmen, war ein Jugendstil-Prachtbau, denn damals, vor dem Zusammenschluß 1929 mit Elberfeld hatte die Stadt Barmen Wuppertal noch Geld bzw. edle und freigiebige Sponsoren – alles lief über eine Stadttheater-Aktiengesellschaft. Dieser schöne Bau wurde im Krieg 1943 leider zerstört. Die Erbauer hatten wohl die Vorstellung, daß der Mensch (Anno 1905) durchschnittlich 1,75 Meter groß und im Rücken stets preußisch steif ist. So gehörte es sich, Ausnahmen waren nicht vorgesehen. Also baute man schmale Sitze mit steilen Rücklehnen und gerade mal genug Raum für kurze Beine. 50 Jahre später, beim Wiederaufbau nach dem Krieg, würden die Planer, so durfte man annehmen, diesen Fehler erkannt haben. Aber nein. Der Neubau (1955 eröffnet) machte schon von außen wenig her und brachte von Anbeginn eine völlig mißglückte, weil Klaustrophobie erzeugende Sitzgestaltung mit. Bei der Neugestaltung 2009, also gut weitere 50 Jahre danach (in deren Rahmen mit viel Trara für teuer Geld „Sitzpatenschaften“ an zahlungswillige Spender verkauft wurden) waren wir Großgewachsenen sicher, daß man der kräftig angestiegenen Durchschnittsgröße der Menschen, also auch der Theaterbesucher Rechnung tragen würde. Selten hörte man mehr Selbstlob als bei der Neueröffnung des Wuppertaler Opernhauses. Und tatsächlich: Nach zwei Jahren erstrahlte das auf riesigen Plakaten gefeierte Gestühl – in neuen Farben. Aber auch nur in neuen Farben!
Bei näheren Hinsehen und Probesitzen kam das böse Erwachen… Denn o Graus! Statt man, wie in der Düsseldorfer Oper 2-3 Reihen entfernt hätte, um den Sitz- und Bein-Komfort der Parkettbesucher zu verbessern, hatte man sogar die letzte einigermaßen „humane“ Reihe (bisher einziges Refugium für Langbeiner – aber auch das nur auf den Außenplätzen) auf Zwergenmaß angepaßt – verschlimmbessert! Die Rücklehnen hingegen waren so steil wie eh – hatte man sie evtl. nur neu bezogen? -, die Sitze hatten das Maß für die maximale Gesäßgröße 38 behalten und die Armlehnen zwischen den Sitzen hatte man praktischerweise auf die Größe einer Zigarettenschachtel verkleinert. Vorbild Bayreuth? Von der nach einigen Wochen bereits abblätternden Farbe des Foyers und den sich in Windeseile zerlegenden Sisal-Teppichen im Eingangsbereich wollen wir liebe schweigen. Es sind ja nur Steuergelder verschwendet worden…
Was sind das bitte nur für Ignoranten, die für ein Heidengeld solchen Mist planen, genehmigen, realisieren und abnehmen? Ich vermute, daß diese gestalterischen Genies niemals selbst ein Opernhaus oder eine Kulturstätte besuchen, geschweige denn die Absicht haben, in solchen Sitzen eine Wagner-Oper anzuhören.
Da man nun im Wuppertaler Opernhaus als 2-Meter-Mensch außer auf zwei Plätzen (die ich natürlich nicht verraten werde, weil ich da selber sitze!) nirgends in körperlichem Wohlbefinden die Oper genießen kann, sollte man an der Kasse ein Schild mit folgendem Inhalt aufstellen:
Achtung! Wegen der falsch konstruierten Sitze, besonders auf dem Rang (die Lehnen dort drücken den Oberkörper nach vorne, anstatt ein entspanntes Zurücklehnen zuzulassen), und des mangelhaften Fußfreiraums zwischen den Reihen, können wir leider nur Karten an Personen verkaufen, die nicht größer als 175 Zentimeter sind. Wir bitten um Verständnis und müssen uns dahingehend vor Schadenersatzforderungen schützen. Wenn Sie sich darüber ärgern, dann verprügeln Sie bitte den Bauherrn, den Architekten, den Designer, der für diesen baulichen Unsinn verantwortlich ist bzw. die Stadtverordneten, die verantwortlichen Ignoranten im Bauamt und den Intendanten, der so etwas genehmigt hat. (Letzterer hat sich übrigens unmittelbar nach der Tat der Bestrafung durch die Pensionierung entzogen.)
Im Wuppertaler Opernhaus werden großgewachsene Menschen ständig diskriminiert und mißhandelt. Oder wie würden Sie zweieinhalb Stunden Sitzfolter nennen? Für mich ein Fall für die Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Wuppertal.
Nebenbei: so lockt man keine Besucher aus anderen Städten an und so vertreibt man lokale Opernfreunde nach Düsseldorf, Essen, Gelsenkirchen oder Dortmund (wobei auch dort nur das Parkett genießbar ist). Unter uns: Wenn also der Rezensent geschlagene zweieinhalb Stunden dermaßen leiden muß, konzentriert darauf seinen Schmerz nicht zu artikulieren, was soll da noch für eine Kritik rauskommen? Deswegen schreibe ich jetzt auch nichts mehr über diese grausige Produktion.
Peter Bilsing 3.3.2021 / 2011
PS
Leidenschaft für Oper – so ist unser Leitmotiv. Mit Leiden an sich, hat das aber nicht direkt zu tun. Doch täglich werden wir eines besseren belehrt. Auch in Coronazeiten vor dem TV beim Betrachten mancher Streams. Immerhin sitzen wir aber dabei zuhause gemütlich im Ohrensessel. Da ist Vieles erträglicher…